Bundeswirtschaftsminister Habeck (Bündnis 90/ Die Grünen) sei aus Berlin zugeschaltet, weil er im Moment hauptsächlich damit beschäftigt sei, "die Deutschland GmbH zu retten". Mit diesen Worten eröffnete der Moderator Markus Lanz in der gleichnamigen ZDF-Talksendung sein Gespräch mit dem deutschen Wirtschaftsminister am Dienstagabend. Zunächst fragte sich Lanz, wie stark Habeck die Diskussion um die Waffenlieferung wohl von seiner eigentlichen Arbeit in den Bereichen Wirtschaft und Klima ablenkt.
Die Leute machten sich Sorgen, man habe "sehr viele neue rote Linien hingemalt". "Leopard war so 'ne rote Linie, die haben wir mittlerweile gerissen." Jetzt wolle die Ukraine Kampfjets und U-Boote. Lanz fragte, was der deutsche Vizekanzler dem entgegenzusetzen habe.
Es handele sich um eine wichtige Diskussion, die Deutschland insgesamt gut bestanden habe, so der Wirtschaftsminister. Es sei richtig gewesen, der Ukraine auch Kampfpanzer zu geben. "Wir erleben ja einen fast altmodischen Krieg, das ist ganz bedrückend und fürchterlich. Da brauchen Sie, um eine russische Offensive am Boden abzuwehren, Verstärkung am Boden." Man habe so lange gezögert, "weil es richtig war, darauf zu drängen, dass diese Entscheidung gemeinsam mit den Amerikanern gefällt wird".
Sowohl der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz Christoph Heusgen als auch die Parteivorsitzende der SPD Saskia Esken sowie Grünen-Parteichef Omid Nouripour hätten die Lieferung von Kampfjets nicht ausgeschlossen. Lanz wollte daher wissen, wie der Vizekanzler dazu stehe. Von einer Debatte, die im Moment über U-Boote oder Flugzeuge geführt wird, halte Habeck wenig. Er finde nicht nur jetzt, sondern "generell nicht richtig, Kampfjets zu liefern." Wir tun das, was wir für angemessen halten, ohne selbst Kriegspartei zu werden. Das heiße: maximale Unterstützung, ohne Deutschland, Europa oder die Welt in diesen Krieg hineinziehen zu lassen. Ab welchem Punkt man zur Kriegspartei werde, sei nicht so leicht auszumachen, räumte Habeck ein.
"Das ist natürlich nicht ganz klar, wo dort die Linie verläuft."
Habeck respektiere auch die Sorgen derjenigen, denen schon die Entscheidung, Kampfpanzer zu liefern, zu weit geht. Er sei da anderer Meinung, aus seiner Sicht müsse man jedoch den Unterschied zwischen der Lieferung von Kampfpanzern und Kampfjets wahren. Der fundamentale Unterschied zwischen diesen Kriegsgeräten bestehe darin, dass man für die Wartung der modernen westlichen Kampfjets die Hilfe des Westens brauche. Daher befürchte er, dass man mit der Lieferung von Kampfflugzeugen wahrscheinlich den entscheidenden Schritt zu weit geht und zur Kriegspartei wird".
Verrutschter Satz statt Kriegserklärung an Russland
Lanz fragte Habeck auch danach, wie er die Aussage der Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/ Die Grünen) einschätzt, dass "wir … einen Krieg gegen Russland (kämpfen)". Eine der roten Linien, die die Bundesregierung die ganze Zeit versucht auszuloten und auszubalancieren, sei es, nicht Kriegspartei zu werden. Das sei "für Annalena genauso wichtig wie für mich" stellte Habeck klar. Für ihn verrate "die gewollte Missinterpretation des Satzes viel". Die Aussage der Außenministerin werde aus dem Kontext gerissen, der "etwas verrutschte Satz" skandalisiert. Es sei Unsinn zu behaupten, Baerbock wolle Russland den Krieg erklären.
Zur Illustration leitete Lanz einen Einspieler mit einem Ausschnitt aus einer Sendung des russischen Staatsfernsehens mit den Worten ein: "Wir schauen uns mal an, wie sich die russische Propaganda genau so einen Satz nimmt, und was daraus entsteht".
In dem Ausschnitt ("Markus Lanz" / Min 11.50 - 12.40) aus der russischen Sendung wird Baerbock mit dem nationalsozialistischen deutschen Außenminister Ribbentrop verglichen. Zudem wurde kritisiert, dass die deutsche Außenministerin bei ihrer Aussage auf der Tribüne der parlamentarischen Versammlung des Europarats von niemandem zurechtgewiesen wurde. Das Vierte Reich erkläre Russland hier den Krieg.
Russische Propaganda verdrehe systematisch Ursache und Wirkung
"Niemand, der einer liberalen und rationalen Weltordnung zugewandt ist, kann gut finden, was im russischen Staatsfernsehen oder was russische Medien hier in Deutschland machen",
kommentierte Habeck den Filmausschnitt aus dem russischen Fernsehen. Er wolle daran erinnern, dass die erste Begründung für den völkerrechtswidrigen Angriff, der viele Zehntausende Menschen das Leben gekostet hat, jene gewesen war, die Ukraine vom Faschismus zu befreien – die Ukraine, die von einem jüdischen Präsidenten regiert werde. Die russische Propaganda verdrehe somit systematisch Ursache und Wirkung, Opfer und Täter. Er fügte hinzu:
"Das einzige, was die Wahrheit ist, ist die Lüge, die wir aus Russland hören und sie werden sich immer neue Opfer für ihre Propaganda suchen. Sie werden sich immer was rauspicken, aus dem Kontext reißen und gegen die Intention verdrehen. Der Missbrauch, das ist doch das erkennbare Muster der russischen Berichterstattung."
Eingeständnis und Bedauern, dass Anti-Russland-Allianz nicht so groß ist wie erhofft
Anschließend leitete Lanz zum nächsten Thema über. Bei der Pressekonferenz anlässlich des Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Brasilien sei klar geworden, dass das Land weder Panzer noch die Munition liefern werde, die insbesondere für die deutschen Panzer gebraucht werde. Lula gehe sogar noch weiter – Stichwort russische Propaganda, fügte er ein – und gebe der Ukraine eine Art Mitschuld an diesem Krieg. Schließlich musste der Wirtschaftsminister jedoch eingestehen, dass die Allianz gegen Russland nicht die erhoffte Größe erreicht hat:
"Es ist bedauerlich, dass es nicht gelungen ist, aus dieser Allianz, die sich gebildet hat, um die Ukraine zu stützen, mehr zu machen", sagte er.
Inoffiziell gebe es hingegen eine ganze Reihe von Staaten, die die Ukraine direkt oder indirekt unterstützten, obwohl sie sich der Allianz gegen Russland nicht offiziell angeschlossen hätten. Zugleich gebe es aber auch eine große Reserviertheit von Ländern, die man gut in dieser Allianz gebrauchen könnte.
Habecks Verständnis für Länder, die sich aus ihrer historischen Situation heraus nicht gegen Russland positionieren
So, wie es dem Bundeskanzler in Brasilien ergangen ist, sei es Habeck auch bei seinem Besuch in Südafrika Ende letzten Jahres ergangen. Man werde sich nicht einmischen, der Krieg sei ein europäischer Krieg und eine russisch-ukrainische Angelegenheit, bekam er dort zu hören.
Auf seinen Einwand hin, bei Unrecht könne man sich nicht neutral verhalten, wiesen die Südafrikaner darauf hin, dass sie von der Sowjetunion unterstützt worden seien, als Ihnen Unrecht geschah. In der Zeit der Unterdrückung, des Rassismus und der Apartheid habe der Westen lange weggeschaut und stattdessen gute Geschäfte mit dem Apartheidsregime gemacht.
Es sei die Sowjetunion gewesen, die die Befreiungsbewegung unterstützt hat, sei ihm bei seinem Besuch erläutert worden. Daher gebe es eine Art emotionale historische Verbindung zwischen dem afrikanischen Land und Russland.
Deutschland dürfe moralisch nicht überheblich werden
Er wolle damit sagen, dass "wir … auch nicht immer alles richtig gemacht" haben. Das solle die Zurückhaltung dieser Länder nicht entschuldigen, es sei aber eine Erklärung aus dem jeweiligen Kontext der Länder.
"Ich möchte ein bisschen den Punkt setzen, dass wir nicht mit moralischer Überheblichkeit … andere Länder in ihrer historischen Situation sofort verurteilen müssen."
Abschließend halte er jedoch an der Notwendigkeit, die Ukraine zu unterstützen, fest: Man müsse nun beharrlich, ruhig und hinter den Kulissen daran arbeiten, dass die Unterstützung der Ukraine breiter wird.
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