Von Jewgeni Krutikow
Zuallererst existiert kein Panzer als ein Ding an sich – wohlgemerkt, wie jedes andere komplizierte Kriegsinstrument. Er erfordert ständige Wartung, Ersatzteile, Munition und eine effektive Infrastruktur im Hinterland. Auch die Besatzungen sollten sich idealerweise abwechseln.
Beispielsweise benötigen die aus den Lagerhallen von Rheinmetall entkonservierten Leopard-Panzer eine bedeutende Zugabe in Form von Ingenieurversorgung. Diese existiert heute in der Ukraine nicht. Für einen erfolgreichen Einsatz von Panzern muss ein Netz von rückwärtigen Wartungsstellen eingerichtet werden, wo technische Dienste und Menschen versammelt werden, die mit dieser Technik arbeiten können.
Ukrainer, die Panzer der Typen Leopard, Challenger und Abrams reparieren und warten können, gibt es gegenwärtig ebenfalls nicht. Sie können mit gewissen Einschränkungen innerhalb von einigen Monaten ausgebildet werden. Man kann vermuten, dass diese Rolle zuerst von Polen eingenommen wird. Doch in jedem Fall wird dies die Perspektive des Einsatzes westlicher Panzer durch die Ukraine einschränken, denn solche Wartungsstellen müssen sich möglichst nah an der Frontlinie befinden und gleichzeitig vor russischen Angriffen geschützt sein. Doch Ersteres widerspricht offen dem Letzteren.
Die Ukraine wird mindestens fünf solcher Wartungsstellen einrichten müssen: drei für die Leopard-Panzer, wegen ihrer voraussichtlichen Menge, eine für die britischen Challenger und eine für die gasturbinengetriebenen Abrams. Es kann keine Dutzende solcher Stellen geben, folglich werden sie für russische Raketen- und Luftangriffe äußerst verwundbar.
Doch das Wichtigste ist – wie konkret und zu welchem Zweck wird diese Technik eingesetzt werden? Eine Antwort auf diese Frage ist für die ukrainische Strategie zum jetzigen Zeitpunkt von prinzipieller Wichtigkeit.
Ursprünglich zog das ukrainische Militär vor, Panzerverbände entlang der ganzen Frontlinie zu verteilen. Die Panzer sind zu großen Verbänden, den Brigaden, zusammengefasst, doch hierarchisch unterstehen diese Brigaden dem Befehl sogenannter Frontabschnitte. Beispielsweise untersteht die 17. Panzerbrigade dem Frontabschnitt West, weswegen sie zu einer operativen Reserve wurde, die vom ukrainischen Militär zum Stopfen von Verteidigungslücken bei Soledar und Artjomowsk genutzt wurde.
In schwierigeren Situationen wurden die Panzer quasi einzeln über befestigte Stellungen und Infanterieeinheiten verteilt. Sie wurden als selbst fahrende Artillerie nach dem Prinzip "Hit and Run" eingesetzt, darunter auch in Stadtgebieten.
Es gibt Vermutungen, dass westliche Kampfpanzer, die der Ukraine geliefert werden, in irgendeiner Form von ebenfalls westlichen Kommandanten befehligt werden. Dies bedeutet, dass die Lieferungen westlicher Panzer auch ihre Organisationsstruktur bestimmen werden. Sie werden nicht über einzelne Brigaden verteilt, sondern zu einer Panzerarmee unter einem einheitlichen Kommando zusammengefasst. Drei unterschiedliche Typen von westlichen Panzern werden auch drei Armeetypen bedeuten.
Solche Verbände werden ausschließlich für Offensiven aufgestellt. Sollten die Javelin-Panzerabwehrraketen die "russischen Horden" aufhalten, so sollen die Leopard- und Abrams-Panzer den Erfolg von Offensiven sichern. Doch die Panzer müssen in die jetzige Struktur der ukrainischen Streitkräfte integriert werden.
Diese Integration ist ein langer und schwieriger Prozess. In der Ukraine gibt es nicht so viele Militärübungsplätze, wo dies getan werden kann. Eines davon ist das Panzerausbildungszentrum "Desna" bei Tschernigow, das aus den Sowjetzeiten übrig blieb. Sein Hauptproblem ist die Nähe zu russischen und weißrussischen Grenzen, die breite Bekanntschaft und die moralische Veraltung. Darüber hinaus ist das Gebiet Tschernigow von potenziellen Einsatzorten neuer Technik weit entfernt. Die komplizierte Logistik lässt Zweifel an der Möglichkeit aufkommen, einen Zusammenhalt der neuen Panzerbrigaden mit bestehenden ukrainischen Infanteriebrigaden zu gewährleisten.
Gewöhnliche Ausbildungszentren, die sich nicht für Panzer spezialisieren, auf deren Grundlage das ukrainische Militär die neuen bezifferten Brigaden aufstellt, liegen in der Zentralukraine und in Podolien: in Poltawa, Kriwoi Rog, Dnjepropetrowsk und Winniza. Die Ausarbeitung des Zusammenhalts von existierenden Einheiten und neuen Brigaden mit westlichen Panzern wird voraussichtlich gerade in diesen Gebieten erfolgen. Theoretisch könnte Poltawa zu derjenigen Region werden, wo es für das ukrainische Militär logisch wäre, Versorgungs- und Wartungsstellen einzurichten.
Es gibt mindestens drei Frontabschnitte, an denen das ukrainische Militär ursprünglich den Einsatz von großen Panzerverbänden plante.
Erstens bei der von Kiew geplanten großen Offensive am südlichen Frontabschnitt (auch Saporoschje-Frontabschnitt genannt) in Richtung der Schwarzmeer- und Asowmeerküste. Das strategische Ziel der Offensive wäre die Unterbrechung der Landbrücke in die Krim und die Besetzung von Schlüsselstädten Melitopol und Berdjansk. Bis zuletzt hatte das ukrainische Militär versucht, zu diesem Zweck an diesem Frontabschnitt einen Schwerpunkthammer zu bilden.
Der zweite ist der nördliche Teil der Lugansker Volksrepublik. Das politische Ziel ist klar: eine Besetzung des Ballungsraums von Sewerodonezk und ein Durchbruch der Front der LVR mit anschließendem Vorstoß zur alten russischen Grenze. Ein Einsatz von großen Panzerverbänden ist hier durch das Gelände erschwert, das Flüsse und große Wälder aufweist.
Es ist wichtig zu beachten, dass westliche Panzer schwerer als die russischen beziehungsweise sowjetischen sind. Dies schränkt ihre Einsatzmöglichkeiten ein. So werden die Abrams-Panzer kaum die kleinen Brücken über den Sewerski Donez überqueren können und mit großer Wahrscheinlichkeit im Herbst im "Sherwood-Wald" [ein Waldgebiet östlich der Straße Isjum – Slawjansk. Anm. d. Ü.] stecken bleiben. Unter allen Kampfpanzern, die vom Westen der Ukraine angeboten werden, passen zu den ukrainischen Bedingungen nur die Leopard-Panzer, die ursprünglich gerade für diesen Kriegsschauplatz konzipiert wurden.
Drittens ist der Versuch einer ukrainischen Gegenoffensive gegen Soledar und Artjomowsk (ukrainisch Bachmut) aus dem Ballungsraum Slawjansk–Kramatorsk–Konstantinowka. Auf den ersten Blick ist das die am wenigsten offensichtliche Richtung, doch alles kann sich in den kommenden Monaten ändern.
Die Lage an der Kontaktlinie ändert sich relativ schnell. Zum Herbst kann für das ukrainische Militär die politische Notwendigkeit erwachsen, einen nur irgendwie bedeutenden Ort zurückzuerobern. Bereits jetzt wurden einzelne Versuche von Gegenangriffen auf Soledar unternommen. Doch theoretisch kann dieser Frontabschnitt als panzergefährdet angesehen werden, berücksichtigt man die erhaltene rückwärtige Struktur in Slawjansk und Kramatorsk.
Kramatorsk wurde vom ukrainischen Militär in eine rückwärtige Versorgungs- und Kommandostelle verwandelt. Hier könnte eine bequeme Basis für die Leopard-Panzer eingerichtet werden. Das heißt, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausgerechnet Kramatorsk als die am Besten vorbereitete Basis für die Aufstellung einer Panzerarmee durch die Ukraine angesehen werden sollte.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass bis zum Herbst die Ukraine überhaupt keinen Panzerverband für einen Durchbruch benötigen wird, und dass die ganzen Panzer weiterhin als selbstfahrende Artillerie zur Unterstützung von Infanteriestellungen eingesetzt werden.
Doch am Wahrscheinlichsten wird eine Analyse des Einsatzes von Panzern beim ukrainischen Militär die westlichen Militärspezialisten zur Schlussfolgerung leiten, dass die Aufstellung beliebiger Schwerpunkthammer aus Panzern in der Ukraine ohne zusätzliche Unterstützung sinnlos ist. Die Ukraine wird mobile Luftabwehrsysteme nach dem Vorbild russischer Komplexe Tor und Panzir fordern, um Panzerkolonnen auf dem Marsch zu begleiten. Darauf werden Forderungen nach Granaten mit vergrößerter Reichweite und abgereichertem Uran folgen. Anders gesagt, liegt vor uns nur der Anfang einer sehr großen Geschichte – es sei denn, das Handeln der russischen Streitkräfte wird ihr ein Ende setzen.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.
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