Eine Analyse von Andrew Korybko
Der neu wiedergewählte dreimalige brasilianische Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva, der im Volksmund Lula genannt wird, hat eben erst die außenpolitischen Erwartungen seiner Wählerbasis zunichtegemacht, indem er als erster BRICS-Staatschef die Sonderoperation Russlands in der Ukraine öffentlich verurteilte. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Jair Bolsonaro, der dies nicht tat und für seinen Pragmatismus viel Kritik in den westlichen Mainstream-Medien erntete, überschritt Lula diese Grenze und verglich Russlands Engagement in der Ukraine sogar mit dem Vorgehen der USA gegen Venezuela.
In einer Bemerkung, die er am vergangenen Montag in Buenos Aires machte, verurteilte der Staatschef Brasiliens, eines der Gründerländer der BRICS, auf schockierende Weise Russlands Vorgehen in der Ukraine: "Genauso wie ich gegen eine territoriale Besetzung bin, wie Russland dies gerade in der Ukraine getan hat, so bin ich gegen eine zu starke Einmischung in den venezolanischen Prozess."
Damit deutete Lula an, dass Russlands militärische Operation, um die Integrität seiner roten Linien der nationalen Sicherheit in der Ukraine wiederherzustellen – nachdem die NATO sie dort überschritten hat –, moralisch auf derselben Stufe steht wie die hybride Aggression der USA gegen Venezuela. Lula hat natürlich das Recht auf seine Meinung – auch als brasilianisches Staatsoberhaupt – und dahingehend, öffentlich seine Ansichten zu äußern. Allerdings haben außenstehende Beobachter auch das Recht, seinen unerwartet scharfen Angriff gegen Moskau zu kritisieren, zumal er damit die Erwartungen seiner multipolar ausgerichteten Basis im In- und Ausland verrät.
Brasilien sollte versuchen, ein pragmatisches Gleichgewicht zwischen den beiden Blöcken des Neuen Kalten Krieges zu finden, indem es dem Weg folgt, den das BRICS-Mitglied Indien im vergangenen Jahr beschritten hat, anstatt sich mit einer Bemerkung in die Debatte einzumischen, auf die Art, wie es Lula getan hat, und was offensichtlich seinen russischen Amtskollegen irritiert haben wird. Es besteht kaum ein Zweifel, dass Lula innenpolitisch mit der liberal-globalistischen Ideologie der regierenden Demokraten in den USA verbündet ist, während er öffentlich behauptet, Russlands und Chinas Vision einer multipolaren Zukunft zu teilen.
Er hätte eine viel ausgewogenere Herangehensweise an diesen Konflikt zum Ausdruck bringen können, wenn er gewollt hätte, genau wie seine Amtskollegen in den anderen BRICS-Staaten China, Indien und Südafrika es im vergangenen Jahr getan haben. Stattdessen entschied sich derselbe Mann, der für seinen meisterhaften Umgang mit Worten berühmt ist, dafür, Russlands Spezialoperation in der Ukraine mit der hybriden Aggression der USA gegen Venezuela zu vergleichen, was die Frage aufwirft, ob dies ein seltener Fehltritt dieses begnadeten Rhetorikers war oder eine absichtliche unfreundliche Ansage.
Was auch immer seine wahren Absichten gewesen sein mögen, es lässt sich nicht leugnen, dass seine Bemerkung gemischte Signale aussendet, zumal er am selben Tag das Interesse Brasiliens an der Schaffung einer gemeinsamen Währung innerhalb der BRICS bekundete. Lula wird jedoch Anfang Februar in die USA reisen, um sich mit dem "Freundfeind" seines Landes zu treffen, mit dem es in einer komplexen wirtschaftlichen und militärischen Beziehung steht und der für seine Inhaftierung verantwortlich war.
Es ist in der Tat möglich, dass Brasilien pragmatisch zwischen dem US-geführten kollektiven Westen und dem gemeinsam von BRICS und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) geführten Globalen Süden balancieren kann, so wie es Indien erfolgreich handhabt. Aber damit dies geschehen kann, sollte sich Lula an der Rhetorik des indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi orientieren, der es ablehnte, Russlands Spezialoperation in der Ukraine öffentlich zu verurteilen, geschweige denn, diese mit dem nackten US-Imperialismus gleichzusetzen.
Hoffentlich war das nur ein Ausrutscher von Lula und kein Signal für seine zukünftige Außenpolitik.
Aus dem Englischen
Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe. Er ist auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien, Chinas "Neue Seidenstraßen"-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt sowie hybride Kriegsführung spezialisiert.
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