Kurz vor dem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe zur Unterstützung der Ukraine auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein nimmt insbesondere der Druck auf Bundeskanzler Scholz zu, von der deutschen Vorsicht bei den Waffenlieferungen an die Ukraine noch weiter abzurücken.
Nicht genug die erst Anfang Januar beschlossene Lieferung von Marder-Panzern, bei denen es noch den Verweis gab, man werde nicht unvorsichtig, schließlich handele es sich ja nur um Schützenpanzer ‒ jetzt geht es um Kampfpanzer und, wie der aktuellen ukrainischen Wunschliste zu entnehmen ist und der gern zitierte Bundeswehr-Professor Carlo Masala schon früh im Januar ankündigte, wohl bald auch um Kampfflugzeuge. Politik und Medien verschiedener Couleur verweisen darauf, dass andere Länder wie Großbritannien und nun auch Schweden der Ukraine Panzer zugesagt hätten, während Finnland oder Polen die Leoparden ausliefern können. Doch Berlin blockiere dies und halte somit vermeintlich unumgängliche Hilfen an die Ukraine zurück.
Innerhalb des Parlaments wird hart gestritten und die vor einiger Zeit aus der Regierung abgewählte CDU/CSU machte sich besonders stark für die Lieferungen von Kampfpanzern, die auch einige Stimmen der Ampelparteien befürworten. "Einen Antrag der Unions-Fraktion zur Lieferung deutscher Kampfpanzer vom Typ Leopard 1 beziehungsweise Leopard 2 (20/5219) überwies der Bundestag nach einer hitzigen Debatte zur weiteren Beratung in den federführenden Auswärtigen Ausschuss. Die Union hatte eine sofortige Abstimmung gefordert, scheiterte aber am Votum der Koalitionsfraktionen, der AfD- und der Linksfraktion", heißt es auf der Seite des Bundestags.
Als gebe es eine Abmachung, eine Art Verpflichtung, der sich die Bundesregierung entziehe, warf der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Johann Wadephul dem Bundeskanzler vor, seine Zurückhaltung ‒ die Scholz so begründet hatte, dass er keinen Alleingang in der Sache mache und die NATO nicht in einen Krieg gegen Russland geraten dürfe ‒ sei der eigentliche Alleingang. Deutschland sei "Bremsklotz" unter den NATO-Verbündeten.
"Die Weigerung des Bundeskanzlers und die Nicht-Lieferung Deutschlands ist ein Alleingang, der falsch ist, der unverantwortlich ist und die Ukraine in einer entscheidenden Situation im Stich lässt", ereiferte sich Wadephul auf Twitter und verwies auch gleich auf Kommentare, die Deutschland Solidarität mit oder Angst vor Putin vorwerfen oder sich "frustriert" zeigen, schließlich habe man sich mit der "Zeitenwende" mehr erhofft.
Doch es gibt auch andere Stimmen, die vor einer Eskalation warnen, darunter die Linke und auch die Organisation Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW). Die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete IPPNW spricht sich gegen mögliche Panzer-Lieferungen an die Ukraine aus. "Solidarität mit der Ukraine bedeutet nicht, immer mehr Waffen zu liefern, sondern vor allem, alles daran zu setzen, das Morden zu unterbrechen", sagte der Vorsitzende der deutschen Sektion der Organisation, Lars Pohlmeier, am Donnerstag laut Mitteilung.
"Mit jedem Kriegstag wächst das Risiko, dass sich der Krieg auf andere Staaten ausweitet oder Atombomben eingesetzt werden."
Russland müsse "als Sofortmaßnahme seine Bombardierung ziviler Ziele und Infrastruktur in der Ukraine einstellen". Statt der Debatte um die Lieferung westlicher Waffensysteme brauche es eine "diplomatische Kehrtwende", betonte Pohlmeier. Der Konflikt könne nur durch einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen gelöst werden.
Auch die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK) spricht sich gegen das Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung aus, mit dem Deutschland bald einen der größten Rüstungsetats der Welt hätte, und ruft für das Wochenende ab dem 24. Februar 2023 zu Protesten auf. Bereits anlässlich der Entscheidung um Marder-Panzer für die Ukraine kritisierte der DFG-VK-Bundessprecher Jürgen Grässlin:
"Statt endlich die zivile Hilfe auszuweiten, werden immer mehr und immer größere Waffensysteme in den Krieg geliefert."
Damit werde die Eskalationsspirale angeheizt und der Krieg ausgeweitet, warnte der Sprecher. "Diese Waffenlieferungen folgen der immens gefährlichen Militärlogik beider Seiten, dass dieser Krieg militärisch zu gewinnen sei. Doch statt Öl ins Feuer zu gießen, sollte Deutschland endlich Friedensmacht werden."
Ali Al-Dailami, der verteidigungspolitische Sprecher der Fraktion Die Linke, mahnte am Mittwoch gegenüber der Zeitung Junge Welt, dass die Debatte um die Panzerlieferungen "toxisch" sei und zur weiteren Eskalation dieses Krieges beitrage. Demnach dürfe sich der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nicht durch immer weiter eskalierende Forderungen von Kiew antreiben lassen, denn "Schritt für Schritt taumelt Deutschland so in die Katastrophe".
Vor knapp zwei Wochen hatten sich die Bürger in Deutschland mehrheitlich gegen Panzerlieferungen an die Ukraine ausgesprochen, wie eine Umfrage zeigte. Eine Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL/NTV schien kurze Zeit später anzudeuten, dass die hitzigen Debatten auf allen Kanälen überzeugen konnten. Demnach seien jeweils 46 Prozent dafür und dagegen. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sprechen sich 43 Prozent der Befragten gegen eine Lieferung von Leopard-Kampfpanzern in die Ukraine und nur 39 Prozent dafür aus. 16 Prozent machen keine Angaben.
Da die Leopard-2-Panzer in Deutschland produziert werden, muss die Bundesregierung jede Weitergabe dieser Panzer ‒ über die 20 Länder verfügen ‒ genehmigen. Polen und Finnland hatten sich zur Lieferung von Leopard-2-Panzern bereiterklärt. Mit einer solchen Genehmigung hat die Mehrheit der von YouGov Befragten kein Problem. 47 Prozent wären dafür, 38 Prozent dagegen, 16 Prozent machen keine Angaben.
Und auch wenn die Rufe nach mehr deutschen Waffen sehr laut wirken ‒ der Mehrheit entsprechen sie nicht. So zeigte die Umfrage, dass es schon jedem dritten Befragten (33 Prozent) zu viel ist, was Deutschland seit Februar vergangenen Jahres insgesamt an Waffen und militärischer Ausrüstung in die Ukraine geliefert hatte ‒ darunter schwere Artilleriegeschütze und Flugabwehrsysteme, alles zusammen im Wert von mehr als 2,2 Milliarden Euro. Nur 25 Prozent fordern demnach mehr militärische Unterstützung für die Ukraine aus Deutschland, während 24 Prozent sagen, der Umfang der Lieferungen sei so genau richtig.
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(rt de/dpa)