Eine Analyse von Michail Chodarjonok
In diesem Monat soll das ukrainische Militär mit der Ausbildung am amerikanischen Flugabwehrsystem Patriot beginnen. Laura Cooper, die stellvertretende Verteidigungsministerin, zuständig für Russland, Ukraine und Eurasien, sagte, dieser Prozess werde "mehrere Monate" dauern. Das bedeutet, dass diese Technologie bald in vollem Umfang bei den Kampfhandlungen zwischen Moskau und Kiew eingesetzt werden kann. Aber wird die hochwertige Ausrüstung das Kräfteverhältnis auf dem Schlachtfeld beeinflussen?
Eine kurzes Zeitfenster
Die Gespräche über die Lieferung von Patriot-Boden-Luft-Raketensystemen nach Kiew, intensivierten sich nach den breit angelegten Angriffen auf die Energieinfrastruktur der Ukraine durch die russischen Streitkräfte, mit anschließenden landesweiten Stromausfällen. Auch ein Vorfall im polnischen Przewodów, wo der Einschlag einer Rakete des ukrainischen Luftabwehrsystems S-300 den Tod zweier Bauern zur Folge hatte, spielte bei den Gesprächen eine Rolle. Der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit, Jarosław Kaczyński, schlug zudem vor, dass Deutschland seine Patriot-Flugabwehrraketen in die Ukraine schicken soll, statt nach Polen.
Berlin hatte damals angemerkt, dass man einen Verbleib des Raketensystems auf dem Territorium der NATO bevorzugen würde. Doch in weniger als zwei Monaten änderten sich die Dinge. Anfang Januar einigten sich die Vereinigten Staaten und Deutschland darauf, eine deutsche Patriot-Batterie in die Ukraine zu schicken. Die Ankündigung erfolgte in einer gemeinsamen Erklärung von US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz nach ihrem ersten Telefongespräch im neuen Jahr. Die Ausbildung der Truppen soll sowohl in den USA als auch in Deutschland stattfinden. Die Überführung der Batterie ist für das erste Quartal des laufenden Jahres geplant. Diese wird somit zu Kiews zweiter Batterie, nachdem Ende Dezember 2022 bekannt wurde, das die erste von den USA an die Ukraine übergeben wird, als Teil des jüngsten Militärpakets, das sich auf insgesamt 1,8 Milliarden US-Dollar beläuft.
Experten des Zentrums für strategische und internationale Studien stellen fest, dass der Patriot das teuerste Waffensystem ist, dass die USA der Ukraine bisher zur Verfügung gestellt haben. Sie schätzen, dass die Gesamtkosten eines Patriot-Systems eine Milliarde Dollar erreichen könne: 400 Millionen Dollar für die Ausrüstung und 690 Millionen Dollar für die Raketen.
Die Ukraine wird das neunzehnte Land der Welt sein, das dieses Waffensystem verwendet oder zu verwenden plant. Die ersten Patriot-Systeme wurden bereits in den 1980er-Jahren von der US-Armee in Dienst genommen und erstmals während des Golfkriegs im Jahr 1991 und später während der illegalen angloamerikanischen Invasion des Irak im Jahr 2003 im Kampf eingesetzt. Das Patriot-System hat seitdem erhebliche Modifikationen erfahren. Die neueste umfasst genauere und leistungsfähigere Radargeräte und fortschrittlichere Boden-Luft-Abfangraketen, die PAC-3 (Patriot Advanced Capability). Es ist noch unklar, welche Version die Ukraine erhalten wird, aber wir sprechen hier sehr wahrscheinlich vom PAC-3.
Wann kommt das Patriot-System in die Ukraine?
Unter Kriegsbedingungen wird die Ausbildung von Spezialisten der ukrainischen Streitkräfte für die Bedienung des Patriot-Systems wahrscheinlich nicht lange dauern. Darüber hinaus verfügt die Ukraine über viel Erfahrung beim Einsatz des Boden-Luft-Raketensystems S-300 – eines, das dem Patriot-System strukturell ähnelt.
Das Verfahren zum Erwerb neuer Raketentechnologie ist bei den Truppen der Flugabwehr Russlands und der Ukraine praktisch identisch. Zunächst wird das Personal in einem speziell ausgestatteten Zentrum umgeschult. Dann werden das Waffensystem, die militärische Ausrüstung, Ersatzteile und Werkzeuge von den Batterien oder den Divisionen übernommen.
Die nächste Stufe umfasst ein erstes scharfes Abfeuern der Flugabwehrraketen – unter den gegenwärtigen Umständen möglicherweise an den Standorten ihrer derzeitigen Lagerung, unter Aufsicht von US-Instruktoren. Anschließend wird das Raketensystem für den Transport vorbereitet und zu einem Flugplatz oder einem Seehafen transportiert, während die Einheiten, die an der neuen Ausrüstung dienen sollen, per Luft-, See- oder Schienenweg zum Einsatzort und den bevorstehenden Kampfhandlungen verlegt werden. In Anbetracht der für die Vorbereitung erforderlichen Zeit können wir davon ausgehen, dass die Patriot-Systeme in der Ukraine im kommenden März kampfbereit sein werden.
Was wird passieren, nachdem der Patriot an die ukrainischen Streitkräfte übergeben wurde?
Das Patriot-System, insbesondere die Version PAC-3, ist ohne Übertreibung ein hochmodernes Produkt aus dem amerikanischen militärisch-industriellen Komplex. Wenn das Weiße Haus schon beschließt, ein solch fortschrittliches Waffensystem in die Ukraine zu schicken, wird es vermutlich nicht lange dauern, bis die Frage bei der Lieferung von Kampfpanzern westlichen Typs – wie dem deutschen Leopard 2 – an Kiew gelöst ist.
Nebst der zweiten Patriot-Batterie wird Berlin auch 40 Schützenpanzer vom Typ Marder in die Ukraine schicken, wie der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, ankündigte. Dies ist ein weiterer großer Schritt bei der Aufrüstung der ukrainischen Streitkräfte mit westlichen Waffen. Es ist erwähnenswert, dass die ukrainischen Streitkräfte nach dem Erhalt von Patriot-Systemen und schweren gepanzerten Fahrzeugen nur noch einen Schritt davon entfernt sein werden, F-15- und F-16-Kampfflugzeuge zu erhalten.
Die Patriot-Batterien sind für Kiew von unschätzbarem Wert. Diese Systeme haben das Potenzial zur nicht-strategischen Raketenabwehr, und diese Fähigkeit wird für die Streitkräfte der Ukraine besonders nützlich sein. Es ist ein wirksames Mittel zur Bekämpfung von bemannter Luftfahrt, seegestützten und luftgestützten Marschflugkörpern, taktischen ballistischen Flugkörpern und operativ-taktischen ballistischen Flugkörpern.
Höchstwahrscheinlich werden die Batterien eingesetzt, um die ukrainische Hauptstadt Kiew abzuschirmen, um dieses Entscheidungszentrum vor den Angriffen durch verschiedene Arten von russischen Marschflugkörpern zu schützen. Es werden jedoch Dutzende Patriot-Batterien benötigt, um alle administrativen und politischen Zentren der Ukraine abzudecken, einschließlich regionaler Städte und wichtiger Energieanlagen. Und es ist unwahrscheinlich, dass die Ukraine in absehbarer Zeit derart viele Patriot-Systeme erhalten wird.
Die "Achillesferse" der Patriot-Raketen
Derzeit liegt die Hauptsorge bei der Anzahl der Lenkflugkörper, die zusammen mit dem Patriot-System geliefert werden, dies, nachdem die Anzahl der Raketen, die bei der Abwehr der russischen Luftangriffe bisher eingesetzt werden mussten, alle Erwartungen übertroffen hat. Sollte die Ukraine nicht genügend Raketen erhalten, werden ihre beiden Patriot-Batterien ab einem bestimmten Zeitpunkt einfach untätig herumstehen.
Auch das Patriot-System hat seine Schwachstellen bzw. Besonderheiten. Beispielsweise hat das Multifunktionsradar Patriot AN/MPQ-53 eher geringe Suchfähigkeiten. Allerdings ist diese Schwachstelle nicht nur dem Patriot-System zu eigen, sondern auch dem Radar zur Zielerfassung und dem Radar zur Raketenführung sowie dem Multifunktionsradar des russischen Raketen-Systems S-300/400.
In russischen Systemen wird dieser Mangel dadurch ausgeglichen, dass die Flugabwehr-Raketendivisionen von S-300 und S-400 entweder mit Detektoren für niedrige Flughöhe vom Typ 5N66M oder mit Detektoren für große Flughöhe vom Typ 96L6E ausgestattet werden. Darüber hinaus erhalten Flugabwehr-Raketendivisionen eine Zielzuweisung von Kommandoposten, die mit einem Erkennungsradar RLO 64N6, S-300 oder einem Radarkomplex RLK 91N6E, S-400 ausgestattet sind.
Infolgedessen muss die Patriot-Batterie bei einem Einsatz rund um Kiew mit zusätzlichen Such- und Zielfähigkeiten ausgestattet werden. Die von einigen Experten erwähnte Möglichkeit, Radardaten von einer Boeing E-3 Sentry an die einzelnen Batterien zu übermitteln, ist nicht besonders praktisch, weil dies bedeuten würde, dass eine bestimmte Anzahl von E-3-Flugzeugen auf ukrainische Flugplätze verlegt werden müssten. Es ist unwahrscheinlich, dass die USA und ihre Verbündeten dem zustimmen werden. Aber irgendwie muss das ukrainische Militär die Schwachstellen bei diesem System handhaben – und das kann das wirkliche Problem werden.
Wie wird Russland die Patriot-Systeme bekämpfen?
Die Erbeutung eines Patriot-Luftverteidigungssystems durch russische Truppen ist ein höchst unwahrscheinliches Szenario. Das System ist keine Waffe, die an der vordersten Front eingesetzt wird. Es wird wahrscheinlich im rückwärtigen Raum der ukrainischen Armee aufgestellt und wird Kiew oder die Ukraine am rechten Ufer des Dnjepr abdecken. Es würde eine gezielte Operation erfordern, um ein Patriot-System zu erobern, und selbst dann wäre ein Erfolg bei Weitem nicht garantiert. Bisher ist auch noch keine einzige M142 HIMARS in russische Hände gefallen und eine detaillierte Untersuchung solcher Waffensysteme ist erst nach einer kompletten Demontage möglich.
Die an die Ukraine gelieferten Patriot-Systeme werden für die russischen Streitkräfte jedoch zu einem Ziel von hoher Priorität und die Aufgabe, diese auszuschalten, wird nicht einfach. Der Patriot ist ein hochmobiles System, es dauert nicht länger als 25 Minuten, um es auf- oder abzubauen. Deshalb bleibt das System nicht lange an derselben Position stehen. Nach einem oder mehreren Raketenstarts kann es rasch verlegt werden. Eine Patriot-Batterie zu finden und zu zerstören, wird somit nicht einfach sein.
Nach dem 24. Februar hatten die Streitkräfte der Ukraine mehrere Divisionen des Luftverteidigungssystems S-300PT im Einsatz. Die Abkürzung PT bedeutet, dass es sich um ein System handelt, bei dem die Raketen in Container geladen sind. Es dauert mehrere Stunden, diese Version der S-300 auf- oder abzubauen. Doch trotz seiner geringen Mobilität ist die S-300PT immer noch in der ukrainischen Armee im Einsatz. Somit hat ein hochmobiles Flugabwehr-Raketensystem sicherlich eine noch viel höhere Überlebenschance.
Was das Patriot-System betrifft, so könnten russische Truppen Anti-Radar-Raketen des Typs X-31P, gelenkte Luft-Boden-Raketen wie die X-29T, X-38Mxx oder X-59MK und Fallbomben der Typen OFAB-250 bis 270 sowie FAB 500, um sie ins Fadenkreuz zu nehmen und zu zerstören. In jedem Fall wird es auf die eine oder andere Weise an der russischen Armee liegen, dieses Problem zu lösen.
Aus dem Englischen
Michail Chodarjonok ist Militärkommentator und Spezialist für Luftverteidigung. Als Oberst im Ruhestand diente er in der Hauptdirektion des Generalstabs der russischen Streitkräfte.
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