Russischer Botschafter: "Berlins Augen sind auf die USA gerichtet"

Die offizielle Position der Bundesregierung, der Ukraine dabei zu helfen, den Sieg auf dem Schlachtfeld zu erringen, begrüße nicht jeder Bürger, sagte der russische Botschafter in Berlin. Doch die NATO habe für Deutschland die "absolute Priorität".

Wie Sergei Netschajew in einem Interview mit der Zeitung Rossijskaja Gaseta schilderte, habe sich die Arbeit der Botschaft und der Konsulate in der Bundesrepublik nach dem 24. Februar gravierend verändert. Die wichtigsten Formate der bilateralen Zusammenarbeit seien von deutscher Seite einseitig eingefroren worden. "In Berlin ging es um den bewussten Zusammenbruch des jahrzehntelang geschaffenen Gerüstes der russisch-deutschen Beziehungen." Die Kontakte deutscher Ministerien und Dienststellen zur russischen Auslandsvertretung seien nun stark eingeschränkt.

Laut Netschajew unterscheiden sich die Stimmungen der einfachen Bürger jedoch erheblich von der Position der Eliten. "Die Leute wollen keine Konfrontation. Sie erinnern an den Weg der historischen Versöhnung nach dem Krieg. Der gewöhnliche Deutsche ist überhaupt nicht geneigt, in Russland einen Feind zu suchen." 

"Viele wollen keine Konfrontation mit Russland. Sie schätzen den Weg der historischen Aussöhnung, den wir geebnet haben und den Russland trotz der kolossalen Opfer im Kampf gegen den Nationalsozialismus während des Großen Vaterländischen Krieges gegangen ist."

Doch heutzutage habe die NATO für Deutschland "absolute Priorität". "Berlins Augen sind auf die USA gerichtet. Eigenständige Schritte sind praktisch ausgeschlossen. Politisch geht jedenfalls nichts ohne Rücksicht auf Washington." Auch die deutschen Medien verfolgen laut Netschajew eine allgemeine Linie, die die Ereignisse in der Ukraine einseitig darstelle, "was nichts mit Objektivität und Unparteilichkeit zu tun hat".

Ebenfalls sei die deutsche Wirtschaft in Russland starkem Druck ausgesetzt. Aus diesem Grund stellten einige deutsche Unternehmen die langjährige Zusammenarbeit mit der Botschaft ein. Gleichzeitig verstünden die meisten Wirtschaftsvertreter, so der Diplomat, dass ein solcher Weg nicht ihren Interessen entspreche. Vorher seien rund 6.000 deutsche Firmen in Russland aktiv gewesen – und man wolle die führende Position auf dem russischen Markt nicht verlassen. "Viele Unternehmer bemühten sich, Kontakte und Vertretungen in unserem Land aufrechtzuerhalten, und suchen nach akzeptablen Formen und Wegen, um die Zusammenarbeit fortzusetzen."

Nach Kriegsbeginn habe es in der deutschen Kultur, Wissenschaft und Bildung eine radikale Ablehnung von allem gegeben, was mit Russland in Verbindung gebracht worden sei. Doch die Zeit habe gezeigt, dass Verbote oder eine Aufhebung der russischen Kunst oder der russischen Sprache unmöglich seien. Es gebe in Deutschland immer noch viele Leute, die Russisch lernen wollen. "Das Interesse an der russischen Sprache in Deutschland bleibt bestehen", so Netschajew.

Fälle von Diskriminierung von Russen in Deutschland seien im Vergleich zum Frühjahr 2022, als die Lage den Charakter einer gezielten Belästigung aufgrund von Sprache und Nationalität angenommen habe, derzeit selten zu verzeichnen. "Unsere Bemühungen haben sich gelohnt. Im Moment stellen wir einen deutlichen Rückgang der Fälle von Diskriminierung russischer Staatsbürger und russischsprachiger Landsleute fest", erklärte der Botschafter.

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