Im Interview mit dem Handelsblatt gibt der Star-Ökonom Nouriel Roubini keinen guten Ausblick für die Zukunft der Weltwirtschaft. Gleich zu Beginn rechnet er mit den selbst verschuldeten Krisen, die sich in den letzten Jahren angestaut haben, und ihren Verursachern ab:
"Ich will die Menschen nicht deprimieren, sondern wachrütteln. Wir haben wie Zombies gelebt, laufen schlafwandelnd auf diese Katastrophen wie den Klimawandel oder die Überschuldung zu und schieben die Lösung von Problemen immer weiter nach hinten. Wirtschaftliche, technische, politische, geopolitische, gesundheitliche und Umweltgefahren haben sich zu etwas viel Größerem aufgeschaukelt und werden die Welt bis zur Unkenntlichkeit verändern."
Im Vergleich zu den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts steht die Weltwirtschaft laut dem US-Amerikaner vor gigantischen Herausforderungen. Die gegenwärtige Situation vergleicht er mit der Zeit der "Großen Depression" ab 1929:
"Unsere nahe Zukunft könnte genauso trostlos aussehen wie die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre. Das ist nicht alarmistisch, wir müssen wieder lernen, in Alarmbereitschaft zu leben."
Konkret könnte folgendes Szenario eintreten:
"Wie 1929 könnte der gesamte Markt zusammenbrechen, der Anstieg der Inflation könnte die Notenbanken dazu zwingen, das Geld in drakonischer Weise zu verknappen. Erreger, die vom Tier auf den Menschen übergehen, könnten in Zukunft häufigere und schwerere Pandemien auslösen. Möglich ist auch ein geopolitischer Schock wie ein Angriff Chinas auf Taiwan."
Roubini kritisiert große Teile der Bevölkerung, die nicht in der Lage sind, die aktuellen Probleme zu erkennen und Konsequenzen daraus zu ziehen:
"Wir stehen am Rande einer Klippe, und der Boden unter unseren Füßen gibt nach. Trotzdem glauben die meisten Menschen noch immer, dass sich die Zukunft nicht wesentlich von der Vergangenheit unterscheiden wird. Das ist ein folgenschwerer Irrtum."
Wichtigster Faktor ist jedoch die Inflation, die durch das jahrzehntelange Schuldenmachen entstanden ist. Der Ökonom spricht sogar von der "Mutter aller Schuldenkrisen", denn die private und öffentliche Verschuldung betrug in den "Siebzigerjahren 100 Prozent der Wirtschaftsleistung, zur Jahrtausendwende waren es 200 Prozent. Und sie steigt jetzt vor allem in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften drastisch und liegt bei 450 Prozent". Denn klar ist auch: "Schulden, die bei Null- und Negativzinsen beherrschbar waren, werden es künftig nicht mehr sein, da die Zentralbanken ihre Leitzinsen nun anheben müssen. Diesmal rasen wir auf einen Kipppunkt zu. Also: Wir erleben die Mutter aller Schuldenkrisen."
Dazu kommen internationale Konflikte, die die Situation verschärfen könnten:
"Es wird eine ganze Reihe von Kriegen geben, ich rechne mit fünf oder sechs. Deutschland und Europa müssen mehr für ihre eigene Verteidigung ausgeben. Wir führen auch einen unfassbar teuren Krieg gegen den Klimawandel. Hinzu kommt die völlige Unterfinanzierung der Sozialversicherungen aufgrund des demografischen Wandels in vielen Gesellschaften, also die sogenannte implizite Verschuldung."
Besonders der "Westen" sei davon betroffen, nicht zuletzt weil er sich gegen China wendet: "Für den Westen gilt: Die Renationalisierung der Industrie mag die Lieferketten sicherer machen, doch die Verlagerung der Produktion aus Billiglohnländern wie China in teure Industrienationen treibt die Kosten in die Höhe. [...] Der harte Konkurrenzkampf zwischen den USA und China nimmt schon heute die Form eines Kalten Kriegs an. Gegenseitige Handelsbeschränkungen und Zölle könnten der Auftakt zu einer Ausweitung des Konflikts sein, der vor allem auf den Gebieten Technologie, Handel, Investitionen und Daten ausgetragen wird. Das kostet Wohlstand und treibt die Stagflation."
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