Eine Analyse von Olesja Ostrjakowa
Die Welle der Repressionen gegen die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche ließ für eine Weile die Erinnerung an andere Opfer des Terrors des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) verblassen. Doch sie dürfen nicht vergessen werden – und besonders diejenigen, die hinter Gittern sitzen. Kann Moskau ihnen helfen? Wie ist die Lage der Unterstützer Russlands, die insgeheim die Ankunft der russischen Armee in den ukrainisch kontrollierten Gebieten erwarten?
Verfolgungen gegen ukrainische Geistliche, die der Illoyalität gegenüber dem Kiewer Regime verdächtigt wurden, erfassten auch nichtorthodoxe Priester. So wurde ein Strafverfahren gegen einen Pfarrer aus dem Bistum Kiew-Schitomir der katholischen Kirche eingeleitet. Nach Angaben des SBU soll der Priester die offizielle Version der Ukraine über die Ereignisse in Butscha im Gebiet Kiew abgestritten haben, wie die Nachrichtenagentur TASS berichtete.
Zuvor war im Dezember im Rahmen eines Gefangenenaustauschs Andrei Pawlenko, der Vorsteher einer orthodoxen Kirche aus Lissitschansk, befreit worden. Er wurde vom SBU wegen Spionageverdachts zu Gunsten Russlands entführt. Pawlenko berichtete, er sei gefoltert worden, um ihm Aussagen gegen andere Menschen abzupressen. Dies überrascht nicht, denn Pawlenko gehört der kanonischen Ukrainisch-Orthodoxen Kirche an. Obwohl diese Struktur im Mai ihre Unabhängigkeit vom Moskauer Patriarchat verkündete, riskiert sie, auf einer Liste von Organisationen zu landen, die angeblich mit Russland assoziiert sind und verboten werden sollen.
Unter anderem versprach der Leiter des SBU, Wassili Maljuk, dass die Arbeit zur "Säuberung russischer Agenten aus der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche" nicht nur fortgesetzt, sondern auch intensiviert würde. Und anscheinend sind ukrainische Sicherheitskräfte bereit, den Priestern die absurdesten "Verbrechen" anzulasten.
Parallel zur Verfolgung von "Moskaus Einflussagenten" aus den Reihen der Priester der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche berichtet der SBU über die Fahndung nach Unterstützern der so genannten "Russischen Welt". So wurden Ende Oktober in der Stadt Nikolajew zwei Einheimische wegen des Verdachts auf Hochverrat festgenommen. Man beschuldigte sie, Verbindungen zum prorussischen Untergrund zu unterhalten. Nach Angaben der Ermittler gaben sich die Verhafteten für Blogger aus, während sie in Wirklichkeit durch "Verbindungsleute" – Mitarbeiter der russischen Nachrichtenagentur Nowosti – angeblich "Informationen über Truppenbewegungen sammelten und dem Gegner Angaben über die Folgen des regelmäßigen Raketen- und Artilleriebeschusses auf die Gebietshauptstadt übermittelten."
Der Pressedienst der Nachrichtenagentur RIA Nowosti bezeichnete diesen Vorfall als Beispiel für eine "Hexenjagd". Es gibt Hunderte solcher Fälle. So wurde Anfang Januar 2023 bekannt, dass ein Bewohner von Charkow zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, weil er sowjetische Symbolik und Flugblätter ukrainischer Parteien aus der Präsidentschaftszeit von Wiktor Janukowitsch bei sich gelagert haben soll.
Geheime Flugblätter
Die Vorsitzende der Union politischer Emigranten und politischer Gefangenen der Ukraine, Larissa Schessler, erklärte:
"Einen prorussischen Untergrund gibt es in Nikolajew, Odessa und Charkow. Unter den Bedingungen der totalen Überwachung sind solche Tätigkeiten äußerst schwer, doch sie werden fortgesetzt. Immer wieder werden prorussische Flugblätter angeklebt, damit die Einheimischen die Präsenz der Befreiungskräfte bemerken. Man muss allerdings zugeben, dass die allgemeine Stimmung auf den vom ukrainischen Militär kontrollierten Gebieten niedergeschlagen ist.
Dies gilt sowohl für diejenigen, die eine Ankunft Russlands erwarten, als auch für die sogenannten ukrainischen Patrioten. Erstere machen sich Sorgen wegen des Rückzugs der russischen Truppen aus Cherson. Letztere verlieren ebenfalls die Hoffnung, weil sie eine Verschlechterung der eigenen Lage, Arbeitslosigkeit und Stromausfälle sehen."
Zudem herrschten in dem vom ukrainischen Militär kontrollierten Gebiet massenhafte politische Repressionen, so Schessler weiter:
"Jede Erscheinung einer Opposition wird ausradiert. Von irgendwie gearteten öffentlichen Protesten gegen den Beschuss von Zivilisten des Donbass oder des Atomkraftwerks von Saporoschje kann gar keine Rede sein."
Die Mehrheit der Bewohner der Stadt Saporoschje und ihres Umlands vertrete prorussische Positionen, gebe das aber öffentlich nicht zu, erklärte der Leiter der Bewegung "My wmeste s Rossijei" (Wir sind gemeinsam mit Russland), Wladimir Rogow. Er berichtete der Zeitung Wsgljad:
"Eine Bekundung von Loyalität zu Russland ist lebensgefährlich. Doch diejenigen, die mit mir insgeheim kommunizieren, sagen: Wir sind bereit, alle Luft-, Raketen- und Drohnenangriffe zu ertragen, so lange sie der Infrastruktur des ukrainischen Militärs schaden. Dabei stationiert das ukrainische Militärkommando oft die Luftabwehrsysteme in Wohngebieten, was zu Zerstörungen von zivilen Gebäuden führt. In Saporoschje geschah das mehrmals. Doch dies ist die Position der Menschen, wenn sie nur befreit werden. Im Grunde lenken sie das Feuer auf sich."
Die Mehrheit der Bewohner des Gebietes Charkow unterstütze Russland ebenfalls – sie sprächen und dächten auf Russisch und besuchten orthodoxe Kirchen, erklärte der Vorsitzende der Charkower gesellschaftlichen Organisation "Rus Triedinaja" (Dreieiniges Rus), Sergei Moissejew, gegenüber der Zeitung Wsgljad. Er berichtete:
"Natürlich versucht die ukrainische Propaganda antirussische Stimmungen zu befeuern, besonders unter jungen Menschen. Die Jüngeren haben keine Erfahrungen eines Lebens mit Russland, sie haben keine Vergleiche und sind anfälliger für eine Gehirnwäsche. Trotzdem empfingen die Menschen die russischen Truppen in gehobener Stimmung. Ich fuhr zusammen mit den Truppen und sah, wie Frauen ihnen entgegenkamen, weinten und sich bekreuzigten."
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass im Februar und März 2014 die Anti-Maidan-Bewegung in Charkow in ihren Dimensionen mit denjenigen in Donezk, Lugansk und anderen Städten vergleichbar war. Die Bewegungen "Jugo-Wostok" (Südwesten) und "Oplot" (Bollwerk) brachten die Bewohner der "zweiten Hauptstadt der Ukraine" zu massenhaften Kundgebungen zur Unterstützung des "Russischen Frühlings". So etwa wurde in offenen Quellen eine Kundgebung bei dem Gebäude der Gebietsverwaltung erwähnt, auf der sich mehrere zehntausend Menschen versammelten.
Zum Höhepunkt des Widerstands wurden der 6. und 7. April 2014, als Aktivisten das Gebäude der Gebietsverwaltung besetzten, darüber die Russische Flagge hissten und die Charkower Volksrepublik ausriefen. Die in Charkow stationierten Mitglieder der Spezialeinheit "Berkut" weigerten sich, das Gebäude mit Gewalt zu säubern. Woraufhin die Maidan-Regierung Verbände des Innenministeriums aus anderen Regionen einsetzte, darunter das Regiment "Jaguar" aus Winniza.
Nicht weniger umfangreich und noch länger (von November bis Mai) dauerte die Konfrontation zwischen ukrainischen Nationalisten und Unterstützern der "Russischen Welt" in Odessa. Seit Februar 2014 lockten die vom Anti-Maidan organisierten "Volksversammlungen" auf dem Kulikowo-Feld bis zu 10.000 Aktivisten, während die Anzahl ukrainischer Nationalisten viel kleiner war.
Zusammenstöße zwischen Antifaschisten und den Militanten des "Rechten Sektors" verschärften sich zum Ende März. Den Schlussstrich zog dann die Tragödie im Haus der Gewerkschaften am 2. Mai 2014, die als Massenmord aus politischen Gründen qualifiziert werden kann.
Nachklänge des russischen Frühlings
Moissejew räumte ein:
"Heute werden in den von Kiew kontrollierten Gebieten politische Aktivisten massenweise verhaftet – aus erfundenen Gründen. Darüber hinaus ist eine große Anzahl von Menschen verschollen und wir wissen nicht, ob sie verhaftet, in Gefängnis oder bereits tot sind. Die Lage ist äußerst schwer, nicht nur in Charkow, sondern auch in allen Städten und Gebieten."
Alle prorussischen Aktivisten von Charkow befanden sich im Visier der ukrainischen Sicherheitsdienste, fügte der Experte hinzu:
"Noch vor Beginn der Militäroperation wurden sie regelmäßig zu Verhören vorgeladen und waren psychologischem Druck ausgesetzt. Noch zu Beginn des Jahres riet ich allen Aktivisten, ihre Telefonnummern zu wechseln, nicht an ihren Meldeadressen zu wohnen und am Besten gleich auszuwandern. Diejenigen, die nicht auf mich hörten, leben heute quasi in einem großen Konzentrationslager – sie können jederzeit verhaftet oder als Geiseln für einen Umtausch genommen werden. Vielen ist das schon passiert."
Freilich sei die Mehrheit der Charkower Aktivisten des "Russischen Frühlings" bereits nach Russland ausgewandert, fügte Moissejew hinzu. Die prorussischen Aktivisten aus Saporoschje seien ebenfalls mehrheitlich nach Russland gegangen, allerdings seien einige zurückgekehrt und arbeiten jetzt in der neuen Verwaltung, ergänzte Rogow. Er berichtete:
"Einer von unseren Unterstützern, der auf den Fotos aus der Serie 'Die 300 Spartaner von Saporoschje' [Am 13. April 2014 weigerten sich prorussische Atkivisten in der Stadt Saporoschje angesichts einer Überzahl ukrainischer Nationalisten, ihre St.-Georgsbänder abzunehmen und kniend die ukrainische Nationalhymne zu singen, wofür sie unter anderem mit Steinen, Eiern und Mehl beworfen wurden; Anm. des Übersetzers] gut zu sehen war – Artjom Scharlaj arbeitet heute in der Verwaltung des Gebietes Saporoschje und befindet sich seit Februar in Melitopol. Dank den Fotos wurde er zu einem Symbol der Befreiung – dort steht Scharlaj im Zentrum der Menschenmenge und verdeckt sein Gesicht nicht bei Schlägen. Ein weiterer Aktivist aus jener Zeit, Artjom Timtschenko verbrachte die gesamten acht Jahre in der DVR im Staatsdienst. Andere Anführer des russischen Frühlings in Saporoschje nahmen an Kämpfen gegen die Banderisten teil, und einige sind leider gefallen. Ein weiterer Teil zog nach Russland um und führt dort ein normales friedliches Leben."
Schessler wiederum erklärte:
"Heute sind in der Ukraine jegliche Oppositionsparteien verboten. In letzter Zeit wurden auch Geistliche verfolgt, obwohl die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche sich nicht für eine Unterstützung des russischen Militäreinsatzes ausgesprochen hat. Die Regierung wütet allein deswegen, weil sich diese Kirche im gleichen geistigen Raum mit der Russisch-Orthodoxen Kirche befindet. Nun droht der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche die völlige Vernichtung, und ihren Tempeln und Klöstern die Enteignung zu Gunsten des Staates.
Außer den Priestern bleiben viele einfache Menschen in Haft. Beispielsweise Jelena Bereschnaja, die mehrmals vor dem UN-Menschenrechtsausschuss, der OSZE und dem Europaparlament für die Rechte ukrainischer politischer Gefangener eintrat. Hinter Gittern bleibt auch Dmitri Marunitsch, ein bekannter Energietechniker. Dabei ist er überhaupt kein Politiker, er hat über seine Einstellung zur Regierung niemals öffentlich gesprochen.
Kürzlich wurden die Brüder Michail und Alexander Kononowitsch freigelassen und bleiben seitdem ohne jeglichen Grund unter Hausarrest. Gegen eine riesige Kaution wurde nach einer langen Haft der bekannte Journalist aus Odessa Juri Tkatschew freigelassen. Ihm wurde vorgeworfen, in sozialen Netzwerken Information über die reale Lage in der Stadt und die Stimmung unter den Bewohnern von Odeassa veröffentlicht zu haben."
Ergänzend ist zu sagen, dass sich die Bewohner der vom ukrainischen Militär besetzten Stadt Cherson in einer äußerst verwundbaren Lage wiederfanden. Wie Schessler zuvor anmerkte, würden in der von einer humanitären Katastrophe erfassten Stadt allein die Strafbehörden funktionieren, die die Menschen verhaften. Schessler betonte:
"Es war klar, dass Menschen, die dort bleiben und wegen ihrer Verwandten oder Angehörigen nicht weggehen konnten zu den ersten Opfern der ukrainischen Regierung würden, die gekommen war, um Rache zu nehmen. Die Menschen werden verfolgt, weil sie bei der Ausgabe der humanitären Hilfe mithalfen oder in örtlichen Verwaltungsbehörden arbeiteten."
Der Kiewer Politologe Alexei Netschajew merkte an:
"Besondere Beachtung verdient die Lage der Unterstützer Russlands in Kiew. Viele glauben, dass es in der Hauptstadt wenige davon gibt, doch dem ist überhaupt nicht so. Ich möchte daran erinnern, dass die ersten Anti-Maidan-Kundgebungen in Kiew bereits stattfanden, als in Donezk, Lugansk, Charkow, Dnjepropetrowsk und Odessa noch alles ruhig war. Schon damals bekamen diejenigen Bewohner Kiews, die gegen lokale und zugereiste Nationalisten auftraten, die ersten ernsthaften Probleme.
Heute hat sich die Lage der Menschen drastisch verschlechtert. Sie befinden sich unter ständigem Druck vonseiten ihrer radikaleren Nachbarn, Arbeitsgeber oder Kollegen. Viele waren gezwungen, mündlich Russland quasi 'abzuschwören' und demonstrativ das ukrainische Militär zu unterstützen.
Einige schalteten aus Sicherheitsgründen von Russisch auf Ukrainisch um, um mögliche Probleme zu vermeiden. Die Menschen versuchen zu überleben, wie sie nur können.
Bis heute bleibt die Lage um zwei bekannte Kiewer Politologen – Michail Pogrebinski und Dmitri Dschangirow – ungeklärt. Dem Ersten gelang es nach einigen Angaben, die Ukraine zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Der Zweite hatte weniger Glück. Dmitri Marunitsch ist im Gefängnis, das Schicksal des orthodoxen Publizisten Jan Taksjur ist unbekannt. Und das sind nur diejenigen, deren Namen in Russland halbwegs bekannt sind. Es gibt noch Dutzende einfacher Aktivisten, die in den Folterkammern des SBU sitzen."
Nach Meinung der Experten liegt die einzige Möglichkeit, den Opfern politischer Verfolgungen und politischen Gefangenen zu helfen, darin, auf ihrer Aufnahme in die Gefangenentauschlisten zwischen Moskau und Kiew zu bestehen. Und die Aufmerksamkeit der internationalen Organisationen auf ihr Schicksal zu lenken. Netschajew fasste zusammen:
"Ja, oft unterstützen diese Organisationen den Gegner, doch steter Tropfen höhlt den Stein. Einmal im Jahr öffnet selbst Amnesty International ein Auge für die Verbrechen der ukrainischen Machthaber und zwingt sie, sich zu rechtfertigen."
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei Wsgljad.
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