Südkorea hat angesichts der wachsenden Bedrohung durch Nordkorea eine engere Kooperation mit den USA im Umgang mit den auf der Halbinsel stationierten amerikanischen Atomwaffen angekündigt. Demnach würden Seoul und Washington als Reaktion auf Nordkoreas nukleare Drohungen bereits Gespräche über die gemeinsame Umsetzung von Plänen führen, die auch die Verwaltung sowie einen möglichen Einsatz von US-Atomwaffen umfasse.
US-Präsident Joe Biden hatte am Montag noch dementiert, mit dem verbündeten Land über gemeinsame Atomwaffen-Übungen zu diskutieren. Mit dem Dementi reagierte der US-Präsident auf ein kurz zuvor veröffentlichtes Interview des südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk-yeol mit der Zeitung Chosun Ilbo. In diesem hatte Yoon erklärt, dass Seoul und die USA Gespräche über die Durchführung gemeinsamer Übungen unter Einsatz von Nuklearwaffen zur "effektiven erweiterten Abschreckung" führten und dass Washington der Idee "sehr positiv" gegenüberstünde. Die Frage eines Reporters im Weißen Haus, ob die beiden Länder tatsächlich über gemeinsame Atomübungen diskutierten, verneinte der US-Präsident allerdings wenig später.
Nachdem Bidens Äußerungen in Südkorea kurzzeitig für Aufregung gesorgt hatten, gab Kim Eun-hye, Yoons oberste Beraterin für Presseangelegenheiten, am Dienstag eine Erklärung ab, in der sie Yoons frühere Äußerungen bestätigte. "Südkorea und die Vereinigten Staaten sind in Gesprächen über den Informationsaustausch, die gemeinsame Planung und die anschließenden gemeinsamen Umsetzungspläne in Bezug auf den Einsatz von US-Atomwaffen, um auf Nordkoreas Atomwaffen zu reagieren", zitierte die koreanische Nachrichtenagentur Yonhap die Pressesprecherin. Biden habe wahrscheinlich so geantwortet, so Kim weiter, weil der Reporter ihn nach einer Atomübung gefragt hatte, ohne das weiter auszuführen.
Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, erklärte am Dienstag hingegen, Biden und Yoon hätten ihre Teams lediglich beauftragt, eine wirksame koordinierte Reaktion auf eine Reihe von Szenarien zu planen, einschließlich eines nuklearen Einsatzes durch Nordkorea.
Einigen Experten zufolge bezog sich Yoon mit seiner Erklärung über einen möglichen Einsatz von US-Atomwaffen wahrscheinlich größtenteils auf eine im November getroffene Vereinbarung zwischen den Chefs der Verteidigungsministerien beider Länder, jährlich sogenannte "Table-Top-Übungen" \u2012 in der Regel Computersimulationen \u2012 durchzuführen und den Informationsaustausch sowie die Zusammenarbeit innerhalb der Allianz weiter zu stärken. Im November bekräftigten die beiden Länder auch die Verpflichtung der USA zur erweiterten Abschreckung, eine Anspielung auf das Versprechen der USA, alle US-Kapazitäten, einschließlich der nuklearen, zum Schutz ihrer Verbündeten einzusetzen.
"Südkorea ist kein Nuklearstaat, daher ist es unwahrscheinlich, dass Südkorea gemeinsam US-Atomwaffen einsetzt. Aber der Wortlaut (des Abkommens vom November) besagt, dass sich Südkorea und die USA über den Einsatz von US-Atomwaffen von der Planung bis zur Ausbildung beraten werden", erklärte Moon Seong-mook, ein Analyst des Korea Research Institute for National Strategy, gegenüber der Nachrichtenagentur AP. "Dies ist ein unnötiger Streit. Keine der beiden Seiten hat sich falsch ausgedrückt", sagte Park Won-gon, Professor an der Ewha Womans University in Seoul.
Die erweiterte Abschreckung ist eine Verpflichtung und ein Versprechen, aber kein Vertrag oder eine bindende Vereinbarung", so Park. "Südkorea vertraut den USA, ist aber der Meinung, dass es Wege geben sollte, diese zu institutionalisieren, da die nuklearen Bedrohungen durch Nordkorea zunehmen. Dafür sind (die gemeinsame) Planung und Ausführung der Schlüssel." Südkorea besitzt keine Atomwaffen und steht unter dem Schutz eines "nuklearen Schutzschirms" der USA, der dem Land im Falle eines Angriffs eine verheerende amerikanische Reaktion garantiert. Einige Experten bezweifeln jedoch die Wirksamkeit einer solchen Sicherheitsverpflichtung, da die Entscheidung über den Einsatz von US-Atomwaffen letztlich beim US-Präsidenten liege.
Die offensichtliche Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden Verbündeten kommt zu einem Zeitpunkt, an dem sich Südkorea um ein größeres Engagement der USA im Bereich der Sicherheit bemüht. Die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel hatten zuletzt wieder zugenommen, nachdem Nordkoreas Rekordzahl an Raketentests und seine eskalierende Nukleardoktrin im vergangenen Jahr bei vielen Menschen im Süden Sicherheitsängste ausgelöst hatten.
Im Jahr 2022 hat Nordkorea mehr als 70 ballistische und andere Raketen getestet, die das US-amerikanische Festland und die US-Verbündeten Südkorea und Japan erreichen können. Im September verabschiedete Nordkorea außerdem ein neues Gesetz, das den präventiven Einsatz seiner Bomben in einer Vielzahl von Fällen, auch außerhalb von Kriegssituationen, erlaubt. Zum Ende des jährlichen Parteitags der Regierungspartei hatte Kim Jong-un vor wenigen Tagen zudem einen "exponentiellen" Ausbau des Atomwaffenarsenals des Landes gefordert. Seiner Ansicht nach benötige Nordkorea die "Massenproduktion taktischer Atomwaffen" sowie die Entwicklung eines Systems für Interkontinentalraketen, das einen "schnellen nuklearen Gegenschlag" ermöglichen soll.
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