Lawrow: "Unsere Beziehungen zur EU sind derzeit auf einem historischen Tiefstand"

Russland habe nicht vor, neue gemeinsame Projekte mit der Europäischen Union zu starten, sagte der russische Außenminister Sergei Lawrow. Die Beziehungen zwischen Moskau und Brüssel seien derzeit "auf einem historischen Tiefstand".

Der russische Außenminister Sergei Lawrow erklärte in einem am Dienstag veröffentlichten Interview mit der Nachrichtenagentur TASS, dass Moskau keine gemeinsamen Projekte mit Partnern aus der Europäischen Union in die Wege leiten wolle. Die Beziehungen zwischen Russland und der EU seien derzeit auf einem historischen Tiefstand. Die Gründe dafür, so Lawrow, seien allen bekannt. "Nach Beginn der speziellen Militäroperation haben uns Brüssel, die USA und die NATO im Grunde einen hybriden Krieg erklärt", erläuterte er. "Der Chef der EU-Diplomatie, Josep Borrell, hat als einer der Ersten gesagt, dass Russland auf dem Schlachtfeld besiegt werden muss." Der Hauptnutznießer in dem Konflikt sind ihm zufolge die USA, die ein wichtiges geopolitisches Ziel verfolgten: die traditionellen Beziehungen zwischen Russland und Europa zu brechen.

"Natürlich wird mit solchen Geschäftspartnern kein 'business as usual' stattfinden können. Wir haben weder vor, an eine geschlossene Tür zu klopfen noch gemeinsame Projekte in Gang zu bringen. Gott sei Dank sind wir nicht auf die EU angewiesen, wir haben viele Freunde und Gleichgesinnte in anderen Teilen der Welt."

Wenn es im Westen wieder vernünftige, national orientierte Politiker gebe, "die die Vorteile einer gleichberechtigten und für beide Seiten vorteilhaften Partnerschaft mit Russland verstehen", werde es auf russischer Seite keine Hürden für freundschaftliche Beziehungen geben, so Lawrow.

Die US-amerikanisch-russischen Beziehungen seien ebenfalls in einem miserablen Zustand. Eine gute Kommunikation mit der Biden-Administration, die es sich zum Ziel gesetzt habe, Russland eine strategische Niederlage zuzufügen, sei unmöglich, so Lawrow. Dabei unterstrich er, dass normale Beziehungen zwischen Moskau und Washington wünschenswert seien, da Russland und die USA als zwei Nuklearmächte eine besondere Verantwortung für das Schicksal der Menschheit tragen. Aus Washington habe es jedoch keine nennenswerten Ideen für vollwertige diplomatische Kontakte gegeben. "Wir haben auf verschiedenen Ebenen, auch auf höchster Ebene, wiederholt betont, dass wir uns einem konstruktiven Dialog nicht entziehen", erklärte er. Doch eventuelle Treffen sollten mit konkreten Inhalten gefüllt sein.

Aus Sicht des 72-Jährigen unternehmen die USA alles, um den Konflikt zu verschärfen. Dort werde zunehmend darüber nachgedacht, die Ukraine in die NATO aufzunehmen. Erklärungen darüber, dass ein direkter Zusammenstoß zwischen der NATO und Russland unannehmbar ist, seien heuchlerisch, so Lawrow, denn die NATO-Mitgliedsstaaten seien faktisch schon zu einer Konfliktpartei geworden. "Die USA tun alles, um den Konflikt zu verlängern und ihn gewalttätiger zu machen", sagte er. "Das Kiewer Regime wird absichtlich mit den modernsten Waffen versorgt, darunter auch mit solchen, die von den westlichen Armeen selbst noch nicht übernommen wurden, offenbar um zu sehen, wie sie unter Kampfbedingungen funktionieren."

Die Ukraine versuche, die USA und andere NATO-Mitglieder noch tiefer in den Konflikt in der Ukraine hineinzuziehen, und setze dabei auf einen Frontalzusammenstoß mit Russland:

"Man muss sich nur an die Provokation vom 15. November erinnern, als eine ukrainische Luftabwehrrakete auf polnischem Gebiet abgeschossen wurde, die Selenskij fälschlicherweise als russisch ausgab."

Washington und Brüssel seien damals nicht auf diesen Trick hereingefallen. "Aber der Vorfall hat gezeigt, dass das Regime vor nichts zurückschrecken würde", unterstrich Lawrow.

Die Politik des Westens sei äußerst gefährlich und berge das Risiko eines Abgleitens in einen direkten bewaffneten Zusammenstoß der Atommächte. Moskau habe immer wieder betont, dass es in einem Atomkrieg keine Gewinner geben könne. Der Westen spekuliere ständig, dass Russland kurz davor stehe, Atomwaffen gegen die Ukraine einzusetzen, kritisierte Lawrow, "aber in Wirklichkeit hat es keine solchen Erklärungen gegeben". Russland fordere den Westen nach wie vor zu größtmöglicher Zurückhaltung auf diesem "hochsensiblen" Gebiet auf.  

Ein Ende des Konflikts sei möglich, hänge aber von Kiew und Washington ab. Als Bedingungen nannte Lawrow die Forderungen nach "Entnazifizierung und Entmilitarisierung" der von Kiew kontrollierten Gebiete sowie Sicherheitsgarantien für Russland und seine neuen Gebiete. 

Anfang des Jahres hatte Wladimir Putin mit den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats den Entwurf eines neuen Konzepts für die russische Außenpolitik erörtert, mit dem der Ansatz für die Beziehungen zu den westlichen Ländern angepasst werden soll. 

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