Brüssel ist wütend über Washingtons jüngsten Angriffe gegenüber der Welthandelsorganisation WTO, wie das Magazin Politico berichtet.
Die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai hatte die internationale Handelsorganisation am Montag scharf angegriffen, weil sie gegen die Zölle des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump auf Stahl- und Aluminiumimporte entschieden hat.
Tai hatte gesagt, die WTO bewege sich auf "sehr, sehr dünnem Eis", wenn sie urteile, dass eine Demokratie wie die USA keine stichhaltigen Gründe für die nationale Sicherheit habe, um Zölle auf Metall aus China, Norwegen, der Schweiz und der Türkei zu verhängen.
Dies sei ein weiteres Zeichen dafür, dass das, was von international anerkannten Handelsregeln übrig geblieben ist, angesichts der geopolitischen Spannungen zwischen den USA, China und der EU erodiere, sagten europäische Politiker und Experten gegenüber Politico.
"Die Reaktion der USA, das Urteil einfach abzulehnen, ist unverständlich", sagte Bernd Lange, Vorsitzender des Ausschusses für internationalen Handel des Europäischen Parlaments. Der Politiker von der Mitte-Links-Fraktion der Sozialisten und Demokraten fügte hinzu:
"Wir müssen eine ehrliche Diskussion mit den USA darüber führen, ob sie sich von einem regelbasierten Handelssystem wegbewegen und ob und wie wir das bestehende System retten können."
Für die Europäer sind Tais Äußerungen eine zusätzliche Provokation, schreibt Politico. Tai – die das Land vertritt, das das WTO-Berufungsgremium 2019 unter Trump im Alleingang zu Fall gebracht hat und sich seitdem weigert, es wieder einzurichten – sagte, das Urteil stelle "die Integrität des Systems wirklich infrage".
Sie machte auch "nicht gewählte, nicht wirklich rechenschaftspflichtige Entscheidungsträger in Genf [verantwortlich], die Amerikas nationales Sicherheitsurteil anzweifeln". Brüssel hatte gehofft, dass Washingtons feindseliges Verhalten in der WTO ein Ende haben würde, als der demokratische Präsident Joe Biden im Januar letzten Jahres ins Weiße Haus einzog.
Aber das ist nicht geschehen. Die Biden-Administration stellt die Relevanz des multilateralen Handelsforums auch wegen der systemischen Rivalität mit China infrage, das ebenfalls Mitglied der WTO ist.
Hosuk Lee-Makiyama von der Brüsseler Wirtschaftsdenkfabrik ECIPE sagte gegenüber Politico:
"Viele Leute in Europa und Genf haben völlig missverstanden, dass die Vereinigten Staaten sich bereits weiterentwickelt haben – sie befinden sich bereits in einer Post-WTO-Realität."
"Wenn jeder anfängt, nationale Sicherheitsgründe zum Schutz wirtschaftlicher Interessen geltend zu machen, dann wird diese Ausnahme zur Regel", sagte Luisa Santos von der Industriegruppe BusinessEurope gegenüber dem Magazin. Sie fügte hinzu:
"Die internationalen Verpflichtungen eines Landes werden bedeutungslos und der Handel wird unsicher."
Tais abschätzige Bemerkungen über die jüngste Entscheidung verheißen auch nichts Gutes für die laufenden Diskussionen in Genf über die Reform der WTO.
"Ich verstehe nicht, wie die USA ernsthaft an der Aufrechterhaltung der Institution interessiert sein können, wenn sie nicht bereit sind, den einzigen Mechanismus zu unterstützen, der dafür sorgen soll, dass sich alle an die Regeln halten", sagte Lorand Bartels, Professor für internationales Recht an der Universität Cambridge.
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