Im November schon an den nächsten Juli denken – und dabei bereits wissen, was dann benötigt wird: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der eigentlich längst hätte zu Norwegens Zentralbank wechseln wollen, hat die Gabe zu wissen, dass im Juli kommenden Jahres darüber gesprochen werden muss, dass eine Milliarde Menschen mehr Geld für die NATO und deren selbst gesetzte Aufgaben in dem Nicht-Mitgliedsstaat an der russischen Grenze abdrücken sollen.
Im Hinblick auf den nächsten NATO-Gipfel in Vilnius im Juli 2023 kündigte er an, es werde "den Staats- und Regierungschefs der Alliierten Gelegenheit bieten, weitere Schritte zur Stärkung unserer Abschreckung und Verteidigung zu vereinbaren und eine deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben zu prüfen sowie unsere Unterstützung für die Ukraine fortzusetzen".
Die Menschen in den NATO-Mitgliedsstaaten, die sich zwar derzeit mit einer Rezession konfrontiert sehen und vor dem unberechenbarsten Winter seit Jahrzehnten stehen, in dem für viele nicht klar ist, wie dunkel und kalt er in ihren Wohnräumen werden und wie viele Arbeitsplätze das alles kosten könnte, seien mit "dem komplexesten und unvorhersehbarsten Sicherheitsumfeld seit dem Kalten Krieg konfrontiert", argumentiert Stoltenberg, obwohl die Forderung nach mehr Geld das ist, was seitens der NATO und Washingtons seit Jahren am häufigsten wiederholt wird.
Nunmehr ist das an sich bereits umstrittene sogenannte Zwei-Prozent-Ziel aus dem Jahr 2014 – wonach jeder Staat bis 2024 mindestens zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Waffen zu investieren habe – womöglich nicht mehr nur zu erneuern, sondern soll gar verschärft werden. Insbesondere Deutschland wird seit Jahren vorgehalten, es müsse seine Hausaufgaben gewissenhafter machen und mehr Euros in die Rüstung stecken. Nur neun Alliierte würden im Jahr zwei vor dem Zielmarkenjahr das Zwei-Prozent-Ziel erfüllen. Dabei sei Griechenland mit einem Wert von 3,76 Prozent Spitzenreiter vor den USA mit 3,47 Prozent, und Deutschland liege weit hinten mit voraussichtlich 1,44 Prozent des BIP, so die jüngsten veröffentlichten NATO-Zahlen.
Doch noch bevor das Zieljahr 2024 erreicht ist, wird bereits die Zielmarke über den Haufen geworfen, obwohl gerade hierzulande – trotz hoher Budgets und teurer Berater – lange Jahre peinlicher Dysfunktionalität gezeigt haben, dass auch zig Millionen Euros noch keine Verteidigungsfähigkeit schaffen, wohl aber Rüstungs- und Finanzkonzerne weiter aufblähen. So frohlockte der CEO von Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS), Oliver Burkhard, im September im Handelsblatt:
"Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte der Bundeswehr stand eine solche Investitionssumme – das Doppelte des bisherigen Verteidigungshaushalts – auf einen Schlag für Ausrüstung und Modernisierung unserer Streitkräfte zur Verfügung."
Wie die Informationsstelle Militarisierung (IMI) im Hinblick auf den am 19. und 20. November in Tübingen stattfindenden IMI-Kongress schreibt, sei bereits jetzt "absehbar, dass interessierte Kreise auf eine Verstetigung des Bundeswehr-Sondervermögens drängen werden".
Dabei war die Aushebelung der Schuldenbremse zwecks massiver Anhebung des Bundeswehr-Etats samt Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro laut Spiegel Online nicht einmal eine Reaktion auf den Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine Ende Februar, sondern war demnach bereits Monate vor der "Zeitenwende"-Verkündung von Kanzler Scholz durch geneigte Interessengruppen ausgearbeitet worden. Schon im Oktober 2021 soll ein mehrseitiges Argumentationspapier der Militärplaner vorgelegen haben, in dem ein "Sondervermögen Bundeswehr" in Höhe von 102 Milliarden Euro gefordert wird.
Wie dem auch sei, selbst exorbitante Milliardensummen, die an zahlreichen anderen Stellen schmerzlich und wohl auch aus Sicherheitserwägungen benötigt würden, sind nicht genug. Denn nun, so der Verweis der NATO-Zugpferdstaaten USA und Großbritannien, sei ja schließlich Krieg in der Ukraine, sodass ein noch ambitionierteres Ziel als zwei Prozent gerechtfertigt sei.
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