In Joanne Rowlings neuem Kriminalroman "Das tiefschwarze Herz", den sie unter ihrem "männlichen" Pseudonym Robert Galbraith veröffentlichte, wird plötzlich Russland erwähnt. Genauer gesagt, die skandalöse Inszenierung von Wagners "Tannhäuser", die zu zahlreichen Prozessen, Protesten und dem Rücktritt des Regisseurs Timofei Kuljabin und des Theaterdirektors Boris Mesdritsch führte.
Der neue Roman über den neuen Fall des Privatdetektivs Cormoran Strike wurde bereits am 30. August veröffentlicht, seine Übersetzung wurde in Russland aber ausgesetzt. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Geschichte einer Frau, die wegen des Vorwurfs der Transphobie verfolgt wird – was zweifellos Rowlings eigene Geschichte widerspiegelt.
Rowlings Figuren belauschen zufällig Gesprächsfetzen auf einer Party, in denen die skandalöse Nowosibirsk-Produktion erwähnt wird. In dem Buch von Robert Galbraith alias Joanne Rowling heißt es:
"... aber Mesdritsch hat es aktualisiert", sagte er, "und in dieser Inszenierung erscheint Jesus nun in einem Film über eine Orgie in der Grotte der Venus".
"Jesus?"
"Die Kirche ist nicht glücklich und Mesdritsch wird entlassen werden", sagte der Russe grimmig und führte ein Glas Champagner an seine Lippen. "Er bleibt stur, aber das wird nicht gut für ihn enden, glaub mir."
Richard Wagners Oper wurde im Jahr 2014 von dem jungen Regisseur Timofei Kuljabin am Nowosibirsker Opernhaus inszeniert – die Premiere fand Ende Dezember statt. Fast sofort wurde die Aufführung zu einem Skandal. Denn der Regisseur verlegte die Handlung der Oper an den Anfang des 21. Jahrhunderts und führte eine neue Figur ein: Nämlich Jesus Christus. Jesus, mit Venus liiert, war zum Protagonisten des Films geworden, bei dem der Hauptdarsteller Heinrich Tannhäuser Regie führt.
Die Kritiker sowie das Publikum der ersten vier Aufführungen waren begeistert. "Timofei Kuljabin hat die Handlung von Wagners Oper radikal umgestaltet, und um die Dinge beim Namen zu nennen, hat er sich einfach eine völlig neue und faszinierende Geschichte ausgedacht, die in der Gegenwart spielt", bewertete die Zeitung Kommersant die Nowosibirsker Produktion und nannte sie "sensationell".
Das Stück wurde jedoch von Kirchenvertretern und Gläubigen abgelehnt. Es folgten mehrere Prozesse gegen Kuljabin und Mesdritsch, die von den Gerichten vollständig freigesprochen wurden. Der öffentliche Druck war aber so stark, dass sowohl der Regisseur als auch der Intendant bald zurücktreten mussten – das Stück wurde endgültig aus dem Spielplan genommen.
Das Internetportal V1.ru sprach mit Boris Mesdritsch, dem ehemaligen Direktor des Nowosibirsker Opernhauses, über die Erwähnung der russischen Inszenierung von "Tannhäuser" in Rowlings neuem Buch. Seit April des Jahres 2021 arbeitet Mesdritsch als Assistent des Generaldirektors des MAMT – Moskauer Akademisches Musiktheaters. Unter Hinweis auf den Skandal um den "Tannhäuser" bemerkte er, dass die Autoren des Werks nie den Wunsch hatten, die Kirche in irgendeiner Weise in Verlegenheit zu bringen. Und was dann geschah, war auf die "verzerrte Meinung von Leuten zurückzuführen, die das Stück gar nicht gesehen hatten". Die Erwähnung in Rowlings neuem Buch schmeichele ihm – "ein Wunder" nennt er sie.
Auch die stellvertretende Bürgermeisterin von Nowosibirsk, Anna Tereschkowa, bewertet die Erwähnung des großen Theaterskandals der Stadt in dem Buch Rowlings positiv. In einem Gespräch mit der Zeitung Komsomolskaja prawda sagte sie:
"Unter PR-Leuten gibt es eine zynische Redewendung: 'Jede Publicity ist gut, außer der Nachruf'. Menschen lernen Städte auf unterschiedliche Weise kennen, und vielleicht interessiert sich jemand nach der Lektüre des Buches für Nowosibirsk und kommt als Tourist dorthin."
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