Eine Analyse von Alexander Timochin
Man mag auf den Verlust des Kreuzers Moskwa soviel hinweisen, wie man will. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass die ukrainische Marine dank des russischen Vorgehens innerhalb weniger Monate als organisierte Kampfeinheit praktisch inexistent geworden ist.
Momentan kontrolliert die ukrainische Marine die Dnjepr-Mündung. Aufgrund ihrer Lage in der Nähe von Cherson schreckt sie die russischen Streitkräfte zwar ab, stellt aber keine kritische Bedrohung dar. Kiew verfügt darüber hinaus über eine Reihe von Motorbooten, die allerdings nicht in See stechen. Außerdem unterhält die Ukraine noch ein mittleres Landungsboot "Juri Olifirenko", das sich jedoch ebenfalls nur versteckt hält. Geblieben ist nur ein Teil der Marineeinheit, welche gegen die russischen Verteidigungsanlagen an Land aber sukzessive zugrunde geht.
Die Ukraine verfügt immer noch über eine Reihe von Seezielflugkörpern, was das Hinausfahren für unsere Schiffe gefährlich macht. Bei guter Vorbereitung können diese aber abgeschossen werden, und das ist das Letzte, was der ukrainischen Marine geblieben ist. Personelle Verluste in der Admiralität sind ebenfalls zu beklagen.
Der übriggebliebene Rest der ukrainischen Marine kann jetzt nur noch auf Hilfe aus dem Westen hoffen. Und der erste Hoffnungsschimmer sind die beiden ehemaligen britischen Minenräumboote vom Typ "Sandown" – "Ramsey" und "Blyth", die am 30. September 2022 von Großbritannien an die Ukraine übergeben wurden. Das sind in der Tat ziemlich seriöse Minenabwehrfahrzeuge.
Diese beiden Minenabwehrfahrzeuge liegen nun auf dem Marinestützpunkt Clyde in Schottland. Höchstwahrscheinlich werden sie dort aber bis zum Ende des Konflikts verbleiben. Einfach weil der Bosporus und die Dardanellen für alle Kriegsschiffe, einschließlich der ukrainischen, gesperrt sind. Ganz auszuschließen ist das Auftauchen dieser Schiffe im Schwarzen Meer während der laufenden Sonderoperation indes nicht: Sie sind klein genug, um über den Rhein-Main-Donau-Kanal zur Donau und dann flussabwärts ins Schwarze Meer transportiert zu werden. Wo sie dann von rumänischen Hoheitsgewässern nach Odessa gelangen. Diese Vorgehensweise wird zwar durch eine Vielzahl von diplomatischen Vereinbarungen mit allen Ländern, die man passieren müsste, erschwert. Technisch ist dies aber möglich.
Vor kurzem wurde bekannt, dass die erste ukrainische Korvette aus türkischer Produktion, die "Hetman Ivan Mazepa", vom Stapel gelaufen ist. Die "Mazepa" könnte nicht nur das stärkste Schiff in der Geschichte der ukrainischen Marine werden. Die Korvette ist eines der leistungsstärksten Kriegsschiffe im Schwarzmeerbecken, mit Ausnahme der türkischen Schiffe. Sie gehört zur türkischen "Ada"-Klasse und ist eine moderne Mehrzweck-Korvette mit ausgeprägter Anti-U-Boot-Ausrichtung. Sie ist zwar nicht dafür ausgelegt, Bodenziele anzugreifen. Wenn man aber den Meldungen glauben darf, dass die Korvette mit "Harpoon"-Raketen zur Schiffsabwehr ausgerüstet ist, so kann sie damit auch Ziele an Land angreifen. Denn die "Harpoon"-Raketen eigen sich dafür.
Das Schiff ist gegen Angriffe aus der Luft und gegen solche durch Raketen ganz gut geschützt, zumindest in seinem Nahbereich. Sein VL MICA-M Boden-Luft-Raketensystem könnte für Ziele in bis zu 20 Kilometern Entfernung von dem Schiff gefährlich werden. Außerdem ist er mit einem 76-mm-Artilleriesystem von "Oto Melara" und einer zwei 35-mm-Kanonen von "Oerlikon" ausgestattet. Dem Schiff ist die Möglichkeit gegeben, Überwasserziele zu attackieren, doch am wichtigsten ist, dass es U-Boote bekämpfen kann.
An Bord des Schiffes befindet sich ein amerikanischer Anti-U-Boot-Hubschrauber des Typs SH-60, der über ein modernes Sonarsystem und Anti-U-Boot-Torpedos verfügt. Welche Art von Torpedos dort Verwendung findet, ist schwer zu sagen. Westlichen Quellen zufolge handelt es sich um MU-90 Impact. Dieser Torpedo ist zwar von den technischen Daten her sehr gut, aber enorm problematisch im Handling. Die australische Marine brauchte Jahre harter Arbeit, um ihn einsatzfähig zu machen. Inwieweit die australischen Erfahrungswerte in die Torpedo-Serien anderer Länder eingeflossen sind, ist nicht bekannt.
Eine ganz andere Gefahr besteht, wenn sich irgendwelche anderen Torpedos auf dem Schiff befinden. Zumindest im Falle der amerikanischen "Old Lady" Mark-46-Leichtgewichtstorpedos, deren Fähigkeit, U-Boote zu versenken, nicht infrage steht. Oder der türkische ASELSAN Tork, der nicht nur U-Boote treffen, sondern auch auf das Schiff zusteuernde Torpedos abfangen kann.
Mit dem Erhalt dieser Korvette könnte die Ukraine das Kampfpotenzial ihrer Flotte folglich drastisch erhöhen. Sie wird zumindest über ein Schiff verfügen, das in der Lage ist, mit der russischen Schwarzmeerflotte in Kontakt zu treten. Und das mit Aussicht auf Erfolg, insbesondere mit Unterstützung der NATO-Aufklärung.
Ursprünglich sollte die Ukraine eine halbfertige Korvette erhalten und sie später in Nikolajew zu Ende bauen. Nun wird das anders ablaufen, das Schiff wird in der Türkei vollständig fertiggestellt. Dort wird die Korvette unter dem Schutz der türkischen Souveränität so lange in Sicherheit verweilen, wie Kiew es für notwendig erachtet. Offenen Quellen zufolge hat die Ukraine noch eine weitere Korvette desselben Typs bestellt, doch die Werfthalle steht bislang leer.
Das Auftauchen neuer Kriegsschiffe in der ukrainischen Marine und ihre sichere Überfahrt in die Ukraine vor dem Ende der Kampfhandlungen wäre ein bedeutendes Ereignis, das Folgen haben könnte. Wenn die EU einer Überführung der Minenabwehrfahrzeuge zustimmt und die Türkei eine Korvette mit ukrainischer Besatzung in neutrale Gewässer auslaufen lässt, wird deren Zerstörung zu einer dringenden Aufgabe für die russische Schwarzmeerflotte. Diese verfügt über alle erforderlichen Mittel – sowohl in Bezug auf die Minenabwehrfahrzeuge als auch auf die Korvette.
Solange die Minenabwehrfahrzeuge und die "Mazepa" nach dem Ende der militärischen Sonderoperation an die Ukraine übergeben werden, also nach einer Art Friedensabkommen mit der Ukraine, ist das eine Geschichte. Ansonsten sieht die Geschichte ganz anders aus, und die russische Flotte wird ihr ein Ende setzen müssen.
Übersetzt aus dem Russischen.
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