Die Kooperation zwischen der Europäischen Union (EU) und den Vereinigten Staaten von Amerika bei der Frage der Sanktionen gegen Russland ist offenbar tiefgreifender als bisher bekannt. Das geht aus einem Bericht des US-amerikanischen Politikmagazins Politico hervor. Die Sanktionen wurden lange vor der Eskalation des Krieges in der Ukraine im Februar dieses Jahres geplant. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spielte dabei offenbar eine wichtige Rolle.
Von der Leyen besuchte erstmals im November des letzten Jahres in Washington, D.C. das Weiße Haus. An diesem Treffen mit dem US-Präsidenten Joe Biden waren außerdem auch der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan sowie weitere sicherheits- und außenpolitische Verantwortliche der USA und EU anwesend. Während dieses Treffens wurde verabredet, regelmäßige bilaterale Konsultationen durchzuführen.
Biden, der zuvor von Sicherheits- und Geheimdienstbeamten über die russischen Truppenansammlungen an der Grenze zur Ukraine informiert worden war, machte die EU-Vertreter auf die wachsende Gefahr eines Konflikts aufmerksam. Ein EU-Beamter äußerte sich anonym dazu auf Politico:
"Das war zu einer Zeit, als niemand in Europa (auf diese Entwicklung) aufpasste, nicht einmal die Geheimdienste."
Es folgte eine Reise des CIA-Direktors Bill Burns zur EU-Kommission nach Brüssel Ende November. Anschließend wurden auf US-Vorschlag sogar wöchentliche Videokonferenzen mit Vertretern beider Seiten eingerichtet.
Im Laufe der Gespräche wurden die Möglichkeiten eines von den EU-Staaten zu beschließenden Sanktionspaketes im Falle eines russischen Einmarsches in die Ukraine aufgeworfen. Die Häufigkeit der Videokonferenzen wurde erhöht, zuletzt traf man sich sogar täglich virtuell. Björn Seibert, Kabinettschef bei von der Leyen, spielte eine besonders wichtige Rolle für den "Erfolg" des ersten EU-Sanktionspaketes – so lautet jedenfalls das Lob von US-Beamten:
"Der wichtigste Gesprächspartner (mit) der Europäischen Kommission war Björn Seibert. Wir hatten ein enormes Maß an Übereinstimmung in allen Bereichen."
Zudem beschreibt der Bericht, dass auf europäischer Seite die EU-Kommission – und nicht etwa Berlin oder Paris – bei der Sanktionsfrage die führende Rolle spielte. Dabei ging die EU-Kommission in Brüssel taktisch geschickt vor. So vermied sie es etwa, bis zum letzten Augenblick der Entscheidung einen konkreten Textentwurf vorzulegen, um so vermeiden zu können, dass dieser den Medien zugespielt werden könnte. Die Kommission traf sich mit Vertretern der EU-Mitgliedsstaaten nur in kleinen Gruppen. Von der Leyen konnte persönlich so einen hohen Grad an Initiative zeigen, da die Regierungschefs vieler wichtiger EU-Staaten im Januar und Februar auch mit wichtigen innenpolitischen Fragen beschäftigt waren.
Ian Lesser, Vizepräsident des German Marshall Fund, bewertete die Kooperation zwischen der EU und den USA gegenüber Politico so:
"Es ist unwahrscheinlich, dass sich die sehr enge Zusammenarbeit, die wir bei den Sanktionen und an anderen Fronten erleben, so entwickelt hätte, wenn es nicht zu einem guten Verhältnis zwischen Washington und Brüssel gekommen wäre – auf höchster Ebene, aber auch auf Arbeitsebene."
Von der Leyens Initiative und Hingabe wurden von der US-Seite anerkannt. Ein hochrangiger EU-Vertreter, der an den Gesprächen mit der Washingtoner Regierung beteiligt war, erklärte:
"In Washington hatte man das Gefühl, dass es sich um jemanden handelte, der die Dinge endlich zu Ende bringen konnte, der etwas bewirken konnte."
Politico verwies darauf, dass für von der Leyen ihre engen Bindungen zu den USA bei einer möglichen späteren Karriere in der UNO noch nützlich sein könnten.
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