Eine Analyse von Timur Fomenko
In einem 60-minütigen Interview mit CBS, kurz vor seiner Teilnahme an der Beerdigung von Königin Elisabeth II., antwortete US-Präsident Joe Biden mit "Ja" auf die Frage, ob im Falle eines chinesischen Angriffs auf Taiwan US-Soldaten zur Verteidigung der Insel eingesetzt würden.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Biden so direkt zu einer US-amerikanischen Beteiligung an einem potenziellen Konflikt in der Straße von Taiwan äußert. Es ist tatsächlich das dritte Mal in einem Jahr. Doch jedes Mal ruderte das Weiße Haus zurück und erklärte, dass sich die "Politik in Bezug auf Taiwan nicht geändert hat".
Aber zum jetzigen Zeitpunkt kann solch eine Äußerung kaum als ein übersehenswerter Ausrutscher bezeichnet werden, und auch Peking wird es wahrscheinlich nicht mehr so sehen. In Chinas Augen nähert sich die US-Politik der strategischen Doppeldeutigkeit ihrem Ende zu, und die USA bewegen sich unumkehrbar auf die De-facto-Unterstützung der Unabhängigkeit Taiwans hin.
Als die Vereinigten Staaten in den 1970er Jahren die Beziehungen zur Volksrepublik China normalisierten und die sogenannte Ein-China-Politik akzeptierten, legte der Kongress umgehend die Verordnung über die Beziehungen zu Taiwan nach, um das US-Engagement gegenüber der Insel rechtlich zu verankern. Mit der Aussage, dass die USA eine "friedliche Wiedervereinigung" unterstützen würden, dabei aber verpflichtet seien, der Insel "Mittel zur Selbstverteidigung" zu gewähren, war die Politik der strategischen Doppeldeutigkeit geboren. Das heißt, man beließ es im Unklaren, ob die USA im Fall der Fälle direkt eingreifen würden oder nicht.
Die USA haben seither regelmäßig Waffen an Taiwan verkauft, was Peking zwar erzürnte, ansonsten aber blieben die Dinge jahrzehntelang stabil – abgesehen von einer Krise in den 1990er Jahren. Doch jetzt leben wir in einer ganz anderen Welt. Die USA entfernen sich zunehmend von ihrem Bekenntnis zur Ein-China-Politik und der Politik der strategischen Doppeldeutigkeit und zeigen zunehmend ihre bedingungslose Unterstützung für Taiwan, um eine Wiedervereinigung mit dem chinesischen Festland zu verhindern. Während die USA weiterhin davon sprechen, den Status quo aufrechtzuerhalten, ist es ziemlich offensichtlich, dass ihre Aktionen darauf abzielen, das Gleichgewicht vollständig zu untergraben, indem man Peking in die Enge treibt.
Der höchst provokative Besuch von Nancy Pelosi und der vielen angriffslustigen US-Kongressabgeordneten, die danach auf die Insel geflogen sind, sprachen davon, präventiv Sanktionen gegen China zu verhängen, unabhängig davon, ob es in Taiwan einmarschiert oder nicht. Dazu entwarfen sie die Taiwan-Grundsatzverordnung, die darauf abzielt, Taiwan Milliarden an US-Dollar für Militärhilfe zu gewähren.
Chinas kraftvolle Reaktion auf diese Provokationen, die beträchtliche militärische Manöver in der Straße von Taiwan beinhalteten, schreckten die USA weder ab, noch brachten sie Washington dazu, erneut nachzudenken. Vielmehr haben die Ereignisse in der Ukraine – wo Washington Kiew gegen Russland unterstützt – die USA dazu ermutigt, die Taiwan-Frage noch weiter auszureizen, gerade weil sie an der Seitenlinie sitzen und zusehen können, wie andere Länder zerstört werden. Gleichzeitig verkauft man ihnen Waffen und setzt die Massenmedien dafür ein, um sie zu vermarkten. Nun will beispielsweise Taiwan im Jahr 2023 HIMARS-Raketen aus den USA kaufen.
Infolgedessen sehen die Vereinigten Staaten eine wachsende Chance in der Fähigkeit, absichtlich einen Konflikt zu schüren und China als Aggressor verantwortlich zu machen. Die einzige "strategische Klarheit" im amerikanischen Vorgehen scheint die Strategie der Provokation zu sein, da die USA kein Interesse an Frieden oder Kompromisse zeigen.
In diesem Fall sind die USA bereits auf dem Weg, die formelle Unabhängigkeit Taiwans um jeden Preis zu forcieren, um damit China einzudämmen. Es ist weit verbreitet, dass das Lippenbekenntnis der USA zur Ein-China-Politik hohl, bedeutungslos und unaufrichtig ist. Bidens wiederholte Äußerungen, dass die USA die Insel verteidigen würden, dienen nur dazu, jegliches noch vorhandene Vertrauen zu dezimieren. Gleichzeitig ist das Auftreten Taiwans auch erheblich aggressiver geworden in seinen Bemühungen, Peking zu provozieren, da es erkannt hat, dass die USA Rückendeckung geben. Seit dem Besuch von Pelosi hat Taipeh innerhalb eines Monats Dutzende von US-Kongressabgeordneten eingeladen und damit China erneut den Finger gezeigt.
Dieses Szenario bedeutet, dass Peking im Wesentlichen zum Handeln gezwungen wird. Aber was wird Peking angesichts solcher Provokationen tun, wenn sich das strategische Umfeld verengt? Wie soll es auf die von Woche zu Woche aggressiver werdenden USA reagieren? China ist sich bewusst, dass die Folgen eines Krieges katastrophal enden können und dies den USA zugutekommen wird, indem es ihnen erlaubt, die globale Sicherheitslandschaft zu ihren Gunsten zu gestalten.
Kriege entstehen jedoch oft aus Verzweiflung und Notwendigkeit. Während Peking versucht hat, strategische Geduld gegenüber Taiwan aufzubringen, schließt sich das Fenster für eine friedliche Wiedervereinigung. Dies bedeutet, dass ein bewaffneter Konflikt in der Zukunft näher und wahrscheinlicher sein könnte, als wir denken. Die USA wissen das natürlich auch, und genau wie ihre Bestrebungen mit der Ukraine hoffen sie, dass sie die öffentliche Meinung gegen China vereinen und ihre Verbündeten dazu zwingen können, allen Forderungen nachzukommen, um gleichzeitig ein Vermögen daraus zu erwirtschaften.
Die strategische Unklarheit ist so gut wie verschwunden, egal wie oft Biden oder das Weiße Haus zurückrudern.
Übersetzt aus dem Englischen.
Timur Fomenko ist ein politischer Analyst.
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