In neun von zehn Ländern haben sich die Lebensverhältnisse der Menschen in den letzten zwei Jahren stetig verschlechtert. Das geht aus dem "Index der menschlichen Entwicklung" der UN-Entwicklungsagentur UNDP hervor, der am Donnerstag vorgestellt wurde. Neue Varianten von COVID-19-Erregern, der eskalierende Krieg in der Ukraine und die desaströsen Auswirkungen des Klimawandels werden als Faktoren dafür genannt, dass die weltweite Entwicklung rückläufig ist. Angesichts der vielen parallel zu beobachtenden Krisen sei nichts für das langfristige Abstellen der Ursachen getan worden, kritisierte die UNDP bei der Präsentation des am Donnerstag veröffentlichten Berichts.
Der Index der menschlichen Entwicklung (HDI für human development index) , der vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen seit 1990 verzeichnet wird, konzentriert sich anders als das reine Bruttoinlandsprodukt (BIP) eines Landes anhand verschiedener Kriterien auf das Wohlergehen der Bewohner des Landes, statt davon auszugehen, dass Wirtschaftswachstum automatisch zu mehr Wohlstand für alle führen würde. In die Berechnung fließen Kriterien wie individuelle Gesundheit, Lebenserwartung, Einkommen und Dauer der Schulbildung ein.
Laut dem neuesten Ranking ist die Schweiz mit einem Index-Wert von 0,962 das höchstentwickelte Land der Welt, nahezu gleichauf mit Norwegen und Island. Deutschland kommt auf den Wert 0,942 und belegt damit Rang neun, wobei es zugleich damit im Vergleich zu 2015 um fünf Plätze abgerutscht ist. Auf den hintersten Rängen der 191 untersuchten Staaten liegen Niger, Tschad und als das Schlusslicht Südsudan, wo beispielsweise die Lebenserwartung bei 55 Jahren liegt, die Menschen im Durchschnitt nur 5,5 Jahre eine Schule besuchen und 768 Dollar pro Jahr verdienen.
Wenn auch seit der Erhebung in einzelnen Ländern auch einmal Verschlechterungen zu beobachten waren, so war der globale Trend seither dennoch stetig positiv. Die diesjährigen Ergebnisse aber, welche sich auf Daten aus dem Jahr 2021 stützen, haben den Abwärtstrend aus dem Vorjahr noch verfestigt. Das gilt nahezu universell, da mehr als 90 Prozent der Länder einen Rückgang ihres HDI-Wertes in mindestens einem der Jahre 2020 und 2021 oder sogar in beiden Jahren verzeichnen mussten.
Jedoch ist der Trend ungleichmäßig. Zwei Drittel der reichen Länder konnten sich im letzten Jahr wieder erholen, während die meisten anderen Länder weitere Rückschläge erlitten. Vor allem Lateinamerika, die Karibik, Afrika südlich der Sahara und Südasien Asien wurden besonders hart getroffen.
Insgesamt seien die Aussichten für 2022 düster, warnte Achim Steiner, einer der Autoren des Index, der darauf hinweist, dass mehr als 80 Länder Probleme haben, ihre Staatsschulden zu begleichen.
"Achtzig Länder, die einen Schritt von einer solchen Krise entfernt sind, sind eine sehr ernste Aussicht", warnte er.
"Wir erleben tiefgreifende Verwerfungen, deren Ende sich über mehrere Jahre hinziehen wird".
Der Bericht geht auch der Frage nach, warum der notwendige Wandel ausbleibt und legt nahe, dass es dafür viele Gründe gibt. Demnach verstärken sich die wachsende Spaltung und die Unsicherheit gegenseitig, da so Solidarität und kollektives Handeln verhindert werden, welche zur Bewältigung der Krisen benötigt werden.
"Schon vor der COVID-19-Katastrophe sahen wir das doppelte Paradoxon von Fortschritt und Unsicherheit und Polarisierung. Heute, da sich ein Drittel der Menschen weltweit gestresst fühlt und weniger als ein Drittel der Menschen weltweit Vertrauen in andere haben, stehen wir vor großen Hindernissen bei der Verabschiedung einer Politik, die für die Menschen und den Planeten funktioniert", erklärte Steiner.
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