Gerade mal zwei Tage im Amt und schon die erste Ansage aus Washington: Die US-Regierung unter Präsident Joe Biden warnte die neue britische Premierministerin Liz Truss offenbar vor "Bemühungen, das Nordirland-Protokoll rückgängig zu machen".
Die Warnung wurde bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus publik, bei der die Pressesprecherin Karine Jean-Pierre nach dem ersten Telefongespräch Bidens mit der neuen britischen Premierministerin danach gefragt wurde, ob im Telefonat auch ein Handelsabkommen zwischen den USA und Großbritannien besprochen worden sei.
Nordirland wurde in der Frage des Journalisten zwar nicht erwähnt, aber Jean-Pierre brachte es trotzdem zur Sprache:
"Es gibt keine formale Verbindung zwischen den Handelsgesprächen zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich und dem Nordirland-Protokoll, wie wir gesagt haben, aber Bemühungen, das Nordirland-Protokoll aufzuheben, würden kein günstiges Umfeld schaffen, und das ist im Grunde der Punkt, an dem wir uns im Dialog befinden."
Das Nordirland-Protokoll ist die Vereinbarung des Vereinigten Königreichs mit der EU über die Vereinbarkeit des Brexit mit der offenen Grenze zwischen den beiden irischen Staaten, die durch das Karfreitagsabkommen von 1998 geschaffen wurde. Die USA haben bei der Aushandlung dieses Abkommens geholfen. Truss' kritische Position zum Protokoll wird mittlerweile als die größte Irritation in den bilateralen Beziehungen zwischen Washington und London angesehen.
Das Weiße Haus war von Truss' Ankündigung im Mai, als sie noch Außenministerin war, überrascht worden, dass die britische Regierung ein Gesetz vorlegen wolle, mit dem Teile des Protokolls umgeschrieben würden, und zwar in einer Weise, die von Washington und einigen Verbündeten als Verstoß gegen das Völkerrecht angesehen wird. Boris Johnson hatte dem Biden-Team versichert, dass noch keine Entscheidung getroffen worden sei.
Die USA haben die britische Regierung gewarnt, das Gesetzesvorlagen nicht zur Abstimmung zu stellen, da sie sonst einen Bruch sowohl mit den USA als auch mit der EU riskieren würde. Die Spannungen zwischen den beiden Ländern zeigten sich auch in der unterschiedlichen Interpretationen des Telefonats zwischen Truss und Biden. In der Version der Downing Street hieß es, man sei sich "über die Bedeutung des Schutzes des Karfreitagsabkommens von Belfast einig" gewesen.
Im Weißen Haus hieß es, beide hätten "ihr gemeinsames Engagement für den Schutz der Errungenschaften des Belfast/Karfreitagsabkommens und die Bedeutung einer Verhandlungsvereinbarung mit der Europäischen Union über das Nordirlandprotokoll erörtert".
In einer Rede vor dem Parlament am Mittwoch hatte Truss gesagt:
"Ich bevorzuge eine Verhandlungslösung, aber sie muss all die Dinge erfüllen, die wir im Nordirland-Protokollgesetz festgelegt haben, und wir können nicht zulassen, dass die Situation weiter abdriftet."
US-Beamte begrüßten die von Truss geäußerte Präferenz für Gespräche. Auf die Frage, ob Biden und Truss bei der UN-Vollversammlung Ende des Monats zusammentreffen werden, sagte Jean-Pierre: "Wir haben derzeit kein Treffen oder etwas Ähnliches zu verkünden."
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