Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) besuchte Ende August das nordafrikanische Königreich Marokko. Der Besuch bedeutet eine Kehrtwende in den deutsch-marokkanischen Beziehungen.
Das Verhältnis zwischen Deutschland und Marokko war zuletzt schwierig. Rabat hatte gar aus Verärgerung über die deutsche Haltung bezüglich der Westsahara seine Botschafterin aus Berlin abgezogen. Das nördlich von Mauretanien gelegene Gebiet Westsahara ist von Marokko in weiten Teilen faktisch annektiert. Eine Kooperation zur industriellen Produktion von grünem Wasserstoff war unter Baerbocks Vorgänger im Amt, Heiko Maas (SPD), auf Eis gelegt worden. Stein des Anstoßes waren damals die marokkanischen Gebietsansprüche gegenüber dem Territorium der Westsahara.
Die letzte Bundesregierung drängte auf Einhaltung einer entsprechenden UN-Resolution, die vorsieht, den Status der Westsahara durch ein Referendum klären zu lassen. Marokko hält einen großen Teil des Territoriums der Westsahara besetzt und beansprucht es für sich. Ein Referendum lehnte Rabat bisher ab.
Die Verärgerung Marokkos über die Haltung Deutschlands hatte zur Folge, dass die diplomatischen Beziehungen zu Berlin faktisch abgebrochen wurden. Abgebrochen wurden darüber hinaus auch Projekte der Zusammenarbeit im Bereich Energie. Die Bedingungen in Marokko sind günstig für die Erzeugung von grünem Wasserstoff.
Der Besuch Baerbocks bedeutet nun eine Kehrtwende. Die Außenministerin machte deutlich, dass für sie der Plan Marokkos, der Westsahara zwar Autonomie-Rechte zuzugestehen, an der faktischen Annexion aber festzuhalten, ein durchaus gangbarer Weg sei – den Deutschland unterstützen würde. Gleichzeitig bekräftigte Baerbock jedoch die Bedeutung des Völkerrechts und der regelbasierten Ordnung. Der Widerspruch zwischen diesen beiden Aussagen der Außenministerin blieb von den deutschen Medien bisher weitgehend unbemerkt.
Die Umsetzung der Resolution 2602, deren Gültigkeit erst im Oktober 2021 vom UN-Sicherheitsrat bekräftigt wurde und die ein Referendum in der Westsahara verbindlich einfordert, hält die deutsche Außenministerin jetzt offenbar nicht mehr für bindend.
Weiterhin ist Marokko ein wichtiger Partner in Bezug auf die Flüchtlingsabwehr. Mit oftmals brutaler, ja sogar tödlicher Gewalt hindern marokkanische Einsatzkräfte Flüchtlinge an der Flucht in die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta. Das verdeutlicht einmal mehr, dass die "Refugees welcome"-Kampagne vor allem innenpolitisch motiviert war und in der deutschen Außenpolitik auch unter Inkaufnahme von Todesopfern nicht umgesetzt wird.
Zugunsten einer grünen Energiepartnerschaft ist Baerbock bereit, das Thema Menschenrechte und Flüchtlingskonvention gegenüber Marokko nicht anzusprechen. Die deutsche Außenministerin bewies bei ihrem Besuch in Marokko einmal mehr ein hohes Maß an moralischer Flexibilität.
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