Im Interview mit RT DE erinnerte sich der inzwischen verstorbene Diplomat Frank Elbe an den früheren Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und sein Wirken in einer bewegenden Zeit, in der sich die Welt für immer veränderte.
"Ost und West waren über die Jahre Fans von Gorbatschow geworden", sagte Elbe. Der Abschluss des Abrüstungsvertrags über die Mittelstreckenraketen beendete die Auseinandersetzungen um die Stationierung von Pershing-II-Raketen in Deutschland.
"Da ging ein Aufatmen durch die deutsche Bevölkerung."
Bei seinem ersten Besuch in der Bundesrepublik Deutschland sei Gorbatschow deshalb "mit großer Begeisterung empfangen" worden. Der ehemalige Landwirtschaftsspezialist, den Breschnew gefördert hatte, war einstimmig zum Generalsekretär der KPdSU gewählt worden, um die Partei zu verjüngen.
Er wollte die Annäherung an den Westen. Dafür seien nicht nur die Abrüstungsverhandlungen Voraussetzung gewesen: "Dass man auch Verständnis zeigte auf sowjetischer Seite für das Streben nach Veränderung und Freiheit in den Staaten des Warschauer Paktes, das war – glaube ich – das Wichtigste, was die sowjetische Seite in der damaligen Situation zu leisten hatte, um ernst genommen zu werden."
Gorbatschows Vorstellungen vom "gemeinsamen Haus Europa" waren nicht nur eine Illusion. Der Abschluss des Rüstungskontrollvertrages ebenso wie die Charta von Paris im Jahr 1990 seien schließlich konkrete Schritte hin zu einer stabilen Sicherheitsarchitektur gewesen.
Bei seinem Besuch im Februar 1990 in Moskau sei Helmut Kohl auf der anschließenden Pressekonferenz erschienen, und "plötzlich verkündete Kohl, dass die Sowjetunion einer Wiedervereinigung nicht im Wege stehen würde". Elbe habe nie eine solche Bewegung unter Journalisten gesehen wie in jenem Moment.
Ab diesem Zeitpunkt liefen die Verhandlungen laut Elbe mit "durchgetretenem Gaspedal und angezogener Handbremse". Sie seien wahre "Kärrnerarbeit" gewesen, weil die sowjetische Gesellschaft nicht durch zu schnelle Verhandlungen den Eindruck gewinnen sollte, die Ergebnisse von Jalta würden preisgegeben. Allerdings hätten zu langsame Verhandlungen zugelassen, dass sich Gegner dieser Politik formierten. Im März 1991 habe die Sowjetunion durch die Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages die deutsche Souveränität wiederhergestellt.
Gorbatschow habe immer erklärt, er fürchte einen Putsch. Um Gorbatschow gegen die innere Opposition zu stärken, sei sogar vor einem Parteitag der KPdSU eine NATO-Erklärung veröffentlicht worden, die den Titel trug "Wir reichen den Völkern der Sowjetunion die Hand in Freundschaft".
Das Ende der Sowjetunion habe nicht Gorbatschow zu verantworten.
"Der wirklich Verantwortliche war Jelzin, der schon sehr früh in Opposition zu Gorbatschow stand und die Auflösung der Sowjetunion wollte. Und dies schließlich auch in einem Putsch – staatsrechtlich und strafrechtlich kann man das gar nicht anders nennen – unternahm."
Für die weitere Entwicklung der Beziehungen zu Russland trage der Westen "einige Verantwortung". Man habe die Prinzipien, dass Sicherheit auf einem Gleichgewicht zwischen militärischer Sicherheit und einer Politik der Zusammenarbeit und der Entspannung beruhe, nicht mehr ernst genommen. "Heute betreiben wir eine Ausgrenzungspolitik, die sich nicht mit den Sicherheitsinteressen Europas und Deutschlands vereinbaren lässt". Weiter erklärte Elbe:
"Nichts hindert die Bundesregierung im Verhältnis zu Russland, wieder mal zu überlegen, ob nicht Deutschland eine Mittlerrolle spielen könnte in dieser Auseinandersetzung."
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