Eine Analyse von Gert Ewen Ungar
Durch den ökonomischen Aufstieg Chinas, die Rückkehr Russlands auf die politische Weltbühne und eine anhaltende wirtschaftliche Schwäche in den westlichen Ländern verschieben sich die geopolitischen Verhältnisse.
Mit dem Krieg in der Ukraine bekommen das nun auch die Westeuropäer deutlich zu spüren. Die Auseinandersetzung in der – und vor allem um die – Ukraine wäre ohne die sich ändernden globalen Kräfteverhältnisse nicht denkbar.
Nach der aktiven Demontage der europäischen Sicherheitsarchitektur durch den Westen ist der Konflikt insgesamt Ausdruck der Suche nach einer neuen stabilen Weltordnung, von der die Welt allerdings noch weit entfernt ist. Um "Demokratie, Freiheit und Menschenrechte", um den Kampf "liberaler Demokratien" gegen "autoritäre Systeme" geht es dabei übrigens nicht. Das sind nur Schlagworte der medialen Vermarktung des Konflikts für die westliche Bevölkerung. Es geht um Macht und Einfluss-Sphären.
Aber auch anderswo auf der Welt verschieben sich die Verhältnisse zuungunsten des Westens. Gleichzeitig beharrt Deutschland darauf, sowohl in der EU als auch im ganzen "Rest" der Welt eine Führungsrolle zu übernehmen. Deutschland möchte gestalten. So erhob Außenministerin Baerbock kürzlich in einer Rede vor Studenten an der New Yorker New School einen Führungsanspruch Deutschlands – immerhin gemeinsam mit den USA.
Deutschlands außenpolitische Bilanz
Dabei sind die außenpolitischen Erfolge Deutschlands äußerst mager. Gemeinsam mit den USA scheiterte die Bundesrepublik nach zwanzig Jahren Militäreinsatz in Afghanistan. Die Taliban konnten, ohne auf große Widerstände bei der unter anderem von der Bundeswehr ausgebildeten afghanischen Armee zu stoßen, die Macht übernehmen. Auf den Erfolg der Taliban reagierten die USA prompt mit dem Einfrieren der Devisenreserven des Staates Afghanistan. Strategisches Ziel scheint auch hier – wie in Syrien – zu sein, durch das Heraufbeschwören von umfassendem Mangel Hungerrevolten zu erzeugen, die letztendlich zu einem Regime-Change führen sollen.
Auch in Syrien hat Deutschland unter Führung der USA den militärischen Teil des Konflikts verloren. Auch hier setzt Deutschland mit den westlichen Partnern auch weiterhin auf ein rigoroses, die syrische Bevölkerung direkt treffendes Sanktionsregime, das der Erreichung der einstigen Kriegsziele durch das nun erhoffte Auslösen von umfassendem Mangel dient.
Dieses Kriegsziel war stets nichts Geringeres als die Ablösung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Das Ziel war und bleibt der Regime-Change. Insgesamt hat die EU mittlerweile gegen mehr als 30 Länder Sanktionen verhängt, die meisten davon nicht im Einklang mit den Vereinten Nationen. Die EU hat ihr Sanktionsregime ebenso überdehnt wie die USA.
Um Sanktionen gegen ein Land aufrechtzuerhalten, müssen inzwischen Sanktionen gegen ein anderes Land umgangen werden. Das Ölembargo gegen Russland zwingt die USA zu Kompromissen gegenüber Venezuela. Wie insbesondere die Farce um die Reparatur einer Siemens Gas-Turbine zeigt, können die Sanktionen gegen Russland nicht konsequent durchgehalten werden, ohne sich erheblich selbst zu schaden.
Gleichzeitig eröffnet sich für umfassend sanktionierte Länder die Möglichkeit der Zusammenarbeit untereinander. Der äußere Druck durch Sanktionen ist spätestens dann ausgereizt. Die zunehmend engere Kooperation zwischen Russland und Iran ist hierfür ein Beispiel.
Aktuell scheitert Deutschland in Mali
Deutschland beteiligt sich in dem Westafrikanischen Land an zugleich drei Missionen: Der EU-Ausbildungsmission EUTM Mali, einer ebenfalls von der EU initiierten zivilen Mission EUCAP Sahel Mali und schließlich der UN-Friedensmission MINUSMA.
Auch der Mali-Einsatz gilt inzwischen als gescheitert. Die Regierung in Mali fürchtet die Instrumentalisierung des UN-Einsatzes durch europäische Länder mit dem Ziel, einen Regierungswechsel herbeizuführen. Das Misstrauen ist entsprechend groß. Die Regierung in der malischen Hauptstadt Bamako verweigert daher immer häufiger die Unterstützung ausländischer Militärs.
Frankreich hat sich daher bereits im April aus Mali zurückgezogen. Trotz all der Schwierigkeiten und des offenkundigen Misstrauens der malischen Regierung gegen sie hält die Bundesregierung an der Präsenz deutscher Soldaten fest. Der Grund ist nun eine angebliche Präsenz von russischen Söldnern und Truppen. Russland spricht bisher nur von der Lieferung von Technik. Die Bundeswehr allerdings berichtet laut Informationen im Spiegel von Personen in Uniform, die sie unmittelbar nach dem Abzug der französischen Truppen auf dem Flughafen Gao gesehen haben will. Die Bundeswehr hat sie als russische Soldaten identifiziert – mit "hoher Wahrscheinlichkeit" jedenfalls, wie einschränkend angemerkt wurde.
Damit allerdings verschiebt sich der Grund für die weitere Präsenz deutscher Truppen in Mali. Es geht nur noch darum, Mali nicht "den Russen" zu überlassen. Die Annahme ist, dass bei einem deutschen Rückzug die UN-Friedensmission in sich zusammenbrechen würde und in Mali ein Vakuum hinterließe, in das sofort Russland vorstoßen würde. Die Aufgabenstellungen der ursprünglichen Missionen sind in diesem Zusammenhang längst in den Hintergrund getreten. Es geht nun recht unverhohlen nur noch um die Sicherung eines geopolitischen Einflusses, wofür diese UN-Mission von Deutschland instrumentalisiert wird.
Russische Konkurrenz
Im Gegensatz zur Zusammenarbeit mit Deutschland ist die Zusammenarbeit Russlands mit Mali freundschaftlich, auf Augenhöhe und vor allem vom Respekt gegenüber der Souveränität Malis geprägt. Bei einem Besuch des russischen Außenministers Lawrow im Mai lobten beide Seiten die Zusammenarbeit, die sie zum gegenseitigen Vorteil weiter ausbauen wollen. Lawrow sicherte seinem Amtskollegen Abdoulaye Diop zu, Mali im Kampf gegen den Terrorismus zu unterstützen.
Ganz unabhängig davon, ob es in Mali tatsächlich russische Truppen gibt oder nicht, bedeutet das, dass die inzwischen beinahe zehn Jahre andauernde UN-Friedensmission, die bisher zu keinen greifbaren Ergebnissen geführt hat, von Russland Konkurrenz bekommt. Mali beschuldigt die UN-Mission im Gegenteil sogar, zum Instrument der Durchsetzung westlicher Interessen geworden zu sein. Das Ende der Bundeswehr-Missionen in Mali ist daher absehbar.
Der Flop in Mali ist nicht das erste außenpolitische Scheitern Deutschlands in Afrika. Genannt werden kann hier auch die unter großem Tamtam inszenierte Libyen-Konferenz in Berlin im Jahr 2021. Sie brachte keine realen Ergebnisse und wäre gar nicht zustande gekommen, hätten nicht die dort eigentlich vermittelnden Nationen Russland und Türkei dem Treffen der Konfliktparteien in Berlin vorab zugestimmt.
Das passt insgesamt ins Bild von einem auf dem afrikanischen Kontinent an Einfluss verlierenden Westen. Die Libyen-Konferenz war ein PR-Event, der vor allem nach innen wirken und den Deutschen das Gefühl einer internationalen Gestaltungsrolle vermitteln sollte. Produziert wurde faktisch jedoch nur ein wenig angewärmte Luft.
In einem viel stärkeren Maße als Russland, das auf dem afrikanischen Kontinent vor allem im militärischen und sicherheitsstrategischen Bereich seinen Einfluss ausbaut, engagiert sich China – auch in Afrika.
Chinas stärkt seine Position durch Kooperation
Die One-Belt-One-Road-Initiative, das Infrastrukturprojekt Neue Seidenstraße, umfasst auch Afrika. Das hat sowohl die EU als auch die USA auf den Plan gerufen.
Die EU rief 2021 das Programm Global Gateway ins Leben. Es umfasst Investitionen von 300 Milliarden Euro und ist zunächst auf sechs Jahre angelegt. Ein Kritikpunkt an dem Programm ist, dass es vor allem ohnehin schon längst geplante Investitionen einfach umwidmet – die vollmundig angekündigte Investitionsoffensive der EU also gar keine ist.
Auch die US-amerikanische Initiative Build Back Better World verläuft weitgehend im Sande. Auch die Build Back Better World-Initiative wurde im Jahr 2021 ins Leben gerufen. Sie richtet sich angeblich an jene Länder, welche mit den USA dieselben westlichen Werte teilen. Dessen ungeachtet wurden zur ersten (aufgrund der Corona-Pandemie online abgehaltenen) Konferenz, dem Summit for Democracy, handfeste Diktaturen eingeladen, die sich jedoch wenigstens der US-Hegemonie bereitwillig unterordnen. Unter anderem nahm die Ukraine daran teil.
Gyde Moore, ehemaliger Minister Liberias, war in dieser Position verantwortlich für öffentliche Investitionen. Er gilt als Experte für Infrastrukturprojekte in Afrika.
Er kritisiert sowohl das Investitionsprogramm der EU als auch das der USA. Wenn die beiden Regionen tatsächlich mit Chinas Initiative der Neuen Seidenstraße konkurrieren wollen, müssten sie sich auch an Chinas ambitionierten Zielen und Programmen orientieren. Moore kann das nicht erkennen. Beide Initiativen seien wenig ambitioniert und auch wenig inspirierend.
Wenig ambitioniert war auch die COVAX-Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO), welche versprach, ärmere Länder mit Corona-Impfstoff zu versorgen. COVAX basiert auf dem Spendenprinzip. Der reiche Norden sollte dem ärmeren Süden Impfstoff zur Verfügung stellen. Das Vorhaben geriet zu einem Armutszeugnis für den reichen Norden.
Corona als Katalysator
China, das schon früh über einen eigenen Impfstoff verfügte, lieferte zunächst kostenlos und unterstützte dann beim Aufbau von Produktionskapazitäten des chinesischen Impfstoffs in Afrika. Auch in diesem Bereich konnte China deutlich mehr Punkte sammeln als der Westen, der eigentlich nur noch für nicht eingelöste Versprechen steht.
Im globalen Wettbewerb verliert der Westen und mit dem Westen auch Deutschland. Afrika orientiert sich um. Erschwerend kommt hinzu, dass trotz aller Bekenntnisse zur "Begegnung auf Augenhöhe" westliche, auch deutsche Initiativen meist von einem deutlich kolonialistischen Gestus begleitet werden, der Partnern in afrikanischen Ländern zunehmend unangenehm aufstößt. China und Russland tun dies nicht, was ihnen zusätzliche Sympathien einbringt.
Der Gestaltungsanspruch Deutschlands, den die derzeitige deutsche Außenministerin immer wieder formuliert, wird so ein bloßer Wunschtraum bleiben. Deutschland verfügt derzeit gerade weder über die wirtschaftliche Kraft noch über das diplomatische Geschick, Partner in einer Weise an sich zu binden, dass sie sich durch Deutschland führen ließen. Deutschland sollte sich daher besser von Großmachtfantasien verabschieden und realistische Politik betreiben.
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