Eine Analyse von Timur Fomenko
Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, könnte während ihrer Dienstreise nach Südostasien auch Taiwan einen Besuch abstatten – ein Ereignis, von dem China versprochen hat, man werde mit "kraftvollen Maßnahmen" darauf reagieren. Der Besuch war ursprünglich für den vergangenen April geplant, musste aber dann abgesagt werden, nachdem Pelosi positiv auf COVID-19 getestet worden war.
Sollte dieser Besuch jetzt zustande kommen, wäre dies der erste Besuch einer Sprecherin des US-Repräsentantenhauses auf der Insel seit 25 Jahren. Der letzte Besuch war von dem Republikaner Newt Gingrich unternommen worden, aber der entscheidende Unterschied bestand darin, dass er dies als Oppositionspolitiker gegenüber dem damaligen Präsidenten Bill Clinton, einem Demokraten, tat.
Dieses Mal soll Pelosi, in Zeiten beispielloser internationaler Spannungen, als Teil der Mehrheitspartei eine Delegation auf ihrer Asienreise anführen. Die Reise fällt zudem mit dem Jahrestag der Gründung der Volksbefreiungsarmee Chinas (PLA) zusammen, der am 1. August gefeiert wird. Obwohl Präsident Joe Biden sowie das US-Militär Einwände gegen das Vorhaben erhoben haben, scheint dies Pelosi bisher nicht abgeschreckt zu haben, während republikanische Hardliner sie jetzt weiter anfeuern und behaupten, dass die USA schwach erscheinen würden, wenn sie nachgeben und den Besuch absagen sollte.
Dies schafft ein äußerst unglückliches Dilemma, insbesondere angesichts eines Telefongesprächs zwischen Biden und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping vom vergangenen Donnerstag, in dem Xi Washington davor warnte, in Bezug auf Taiwan "mit dem Feuer zu spielen". Aber in Wirklichkeit hatten solche Gespräche selten irgendeine Bedeutung, da die USA, wenn es um ernsthafte Angelegenheiten geht, nie wirklich bereit waren, Spannungen mit China zu deeskalieren oder pragmatisch und mit gesundem Menschenverstand zu handeln. Es stimmt zwar, dass Pelosi technisch gesehen nicht die US-Regierung ist und auch nicht in deren Namen die Insel besuchen würde. Aber die Tatsache, dass dieses Ereignis überhaupt stattfinden soll, zeigt, wie das breitere Spektrum der US-Außenpolitik aus den Fugen geraten ist. Es gibt keinerlei Zurückhaltung oder Respekt mehr vor den roten Linien anderer Länder, nur noch das Streben nach maximalistischen Zielen um jeden Preis.
Viele Leute dachten, der frühere Präsident Donald Trump sei verrückt und chaotisch gewesen, doch eine unausgesprochene Wahrheit ist, dass sich die amerikanische Außenpolitik unter Biden tatsächlich noch weiter in den Regress bewegt hat. Während Trump unter dem Slogan "America first" engstirnige Eigeninteressen verfolgte, was Freunde und Feinde gleichermaßen verärgerte, hat die Biden-Administration diese Doktrin nicht nur übernommen, sondern sie zu einem ideologischen Kreuzzug verfeinert, der danach strebt, die amerikanische Hegemonie an jeder einzelnen Front zu erzwingen, und das auf eine Weise, die sowohl eifrig als auch kompromisslos ist. Wir sollten Trumps Äußerungen nicht unterschätzen, dass es den Konflikt in der Ukraine nicht gäbe, wenn er noch Präsident wäre und er wahrscheinlich eine Vereinbarung getroffen hätte, um ihn zu verhindern.
Infolgedessen haben die USA Chinas rote Linie in der Taiwan-Frage weiterhin missachtet und dagegengehalten, während gleichzeitig, um China zu besänftigen, auf Ebene des Präsidenten offiziell behauptet wurde, die Taiwan-Politik bleibe unverändert. Dies ist eine Strategie, die von Peking als "Salami-Taktik" verurteilt wurde, mit der man sich bemühe, den Status quo Taiwans schrittweise in Richtung Unabhängigkeit zu verschieben, während man gleichzeitig beteuert, diese Absicht nicht zu hegen, um strategische Verwerfungen zu vermeiden, aus denen Konflikte entstehen könnten. Es ist provokativ und doch subtil. Was Biden jedoch nicht berücksichtigt hat, ist die Tatsache, dass der US-Kongress noch weniger zurückhaltend ist als er. Der Propagandafeldzug in der Unterstützung der USA für die Ukraine hat viele in übertriebener Weise zuversichtlich gemacht, dass man China dazu bringen könnte, über eine Invasion von Taiwan "zweimal nachzudenken". Infolgedessen betätigen die Ultra-Falken, insbesondere jene im Kongress, diesen Knopf jetzt auch weiter, im Glauben, damit Pekings des Bluffs zu überführen.
Aber sollte dieser Besuch in Taiwan tatsächlich stattfinden – wird er dann unweigerlich zu einer militärischen Auseinandersetzung führen? Dies wäre aus vielen offensichtlichen Gründen eine Überreaktion. China wird nicht in Taiwan einmarschieren, sollte Nancy Pelosi die Insel besuchen. Dennoch zwingt eine solche Situation Peking in eine Lage, in der es den Anspruch Pekings auf die Insel erneut legitimieren und eine politische Demütigung verhindern muss. Wenn China des Bluffs überführt wird, verliert seine rote Linie an Glaubwürdigkeit und die Logik der Abschreckung verlangt dann, dass etwas Glaubhaftes unternommen werden muss, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Wenn China daher Gegenmaßnahmen ankündigt, dann meint es, was es sagt. Es bleibt jedoch unklar, auf welche Weise Peking genau vorgehen wird.
Eine Sache, die offensichtlich ist, wenn man sich die vergangenen Krisen in der Straße von Taiwan ansieht, ist, dass China wahrscheinlich irgendeine Art von groß angelegten Militärübungen durchführen wird. Die USA reagierten bereits darauf, indem sie militärische Kräfte in das Gebiet verlegt haben. Es gibt jedoch auch Spekulationen, dass Peking noch einen Schritt weiter gehen könnte, indem man eine "Flugverbotszone" über die Insel verhängt oder einen ähnlichen Schritt unternimmt, mit dem das Risiko einer Konfrontation dramatisch erhöht wird.
Man erinnere sich, dass der ehemalige Außenminister Mike Pompeo seine Botschafterin bei der UN, Kelly Craft, in ihrer letzten Amtswoche zu einem Besuch nach Taiwan schickte, ihre Reise jedoch nach Warnungen aus Peking im letzten Moment abgesagt wurde. Dieses Mal wird China zweifellos auch irgendwie reagieren, aber Pelosi und ihre Unterstützer scheinen zu glauben, dass man sich darüber lustig machen kann, genauso wie man glaubte, dass Russlands rote Linien bezüglich der Ukraine ebenfalls ignoriert werden könnten.
Letztlich zeigt dies nur, dass die US-Außenpolitik zu einem strategischen Wahnsinn verkommen ist. Aus Angst vor einem Statusverlust gegenüber rivalisierenden Staaten agiert die politische Klasse des Landes immer rücksichtsloser und destruktiver, wenn es darum geht, ihre Vormachtstellung zu bewahren. Selbst wenn dieser Besuch von Pelosi nicht zu einem offenen Konflikt führt, was wahrscheinlich nicht der Fall sein wird, wird der Schaden, den er dem strategischen Vertrauen insgesamt zufügen wird, wahrscheinlich dauerhaft sein und könnte die Bühne für spätere Konflikte bereiten, was anscheinend bei vielen in Washington Gefallen hervorruft.
Timur Fomenko ist ein politischer Analyst.
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