von Nadeschda Alexejewa
Das grundlegende Verständnis von der inneren Struktur der Erde hat sich seit Anfang des letzten Jahrhunderts nicht verändert, jedoch machen Wissenschaftler ständig neue Entdeckungen und verdeutlichen die Struktur und Zusammensetzung des inneren Aufbaus unseres Planeten. So wurde erst unlängst klar, dass der innere Kern der Erde in einem Winkel zur Rotationsachse des gesamten Planeten rotiert. Eine weitere wichtige Entdeckung waren zudem Erkenntnisse über eine neue Art von Vulkanismus, der durch Strukturen im unteren Erdmantel verursacht wird. Der stellvertretende Direktor des Instituts für Geophysik an der Russischen Akademie der Wissenschaften und Professor am Geologischen Institut der Moskauer Staatlichen Universität (MGU) Roman Weselowski (RW), Doktor der geologisch-mineralogischen Wissenschaften, erläuterte diese Zusammenhänge näher in einem Interview mit RT. Zudem erklärte er, wie sich die mögliche Verschiebung magnetischer Pole der Erde auf das menschliche Leben auswirken kann und warum Vulkanausbrüche nicht früher als ein paar Tage im Voraus vorhergesagt werden können.
RT: Roman Witaljewitsch, was weiß die heutige Wissenschaft über die Tiefenstrukturen der Erde, etwa über die Rotationsgeschwindigkeit des Kerns unseres Planeten?
Roman Weselowski (RW): Fangen wir damit an, dass die Erde einen äußeren flüssigen Kern und einen inneren festen Kern hat. Den Wissenschaftlern ist seit relativ langer Zeit bekannt, dass der feste Kern schneller rotiert als der Mantel des Planeten. Es war jedoch sehr schwierig, die Geschwindigkeit dieser Rotation – Superrotation genannt – abzuschätzen, da der innere Kern erst in einer Tiefe von 2.900 km beginnt. Allerdings haben Wissenschaftler aus Südkalifornien in einer aktuellen Studie neue Ansätze verwendet, um das Verhältnis der Rotationsrate des inneren Kerns zur äußeren Schale des Planeten besser abzuschätzen. Es konnte festgestellt werden, dass sich der innere Kern um 0,1 Grad pro Jahr schneller dreht als die äußere Schale. Das Wichtigste ist jedoch, dass man zum ersten Mal die Ausrichtung der Rotationsachse des Kerns bestimmen konnte, von der man annahm, dass sie mit der Rotationsachse der Erde als Ganzes übereinstimmt, was sich als falsch herausstellte: Die Rotationsachse des Kerns ist um 8 Grad zur Rotationsachse der Erde geneigt.
RT: Wie veränderten sich die Vorstellungen der Wissenschaftler von den Tiefenstrukturen des Erdinneren in den letzten Jahren?
RW: Die Basis für das heutige Verständnis des Erdinneren wurde im frühen zwanzigsten Jahrhundert mit der Entwicklung der Seismologie gelegt. Die wirklich erstaunlichen Erkenntnisseder jüngsten Zeit betreffen die Zusammensetzung des Erdinneren, was mit den Entwicklungen in der Geochemie und Petrologie, aber auch mit dem Aufkommen numerischer und physikalischer Modellierung physikalischer und chemischer Bedingungen im Erdkern und Erdmantel einherging. Wir wissen weiterhin, dass es den oberen und unteren Erdmantel, den inneren und äußeren Erdkern gibt, doch in der Struktur können wir neue Zonenausmachen, die der Wissenschaft bisher unbekannt waren.
Eine der interessantesten Entdeckungen des letzten Jahrzehnts war die Entdeckung großer inhomogener Strukturen im unteren Erdmantel, mit denen der Vulkanismus an der Erdoberfläche zusammenhängt.
Betrachtet man die Weltkarte genau, so erkennt man sehr viele Vulkane, die sich im Pazifischen Ozean konzentrieren, zum Beispiel in der Region der Hawaii-Inseln. Auf der anderen Seite der Erde findet man aktiven Vulkanismus in Ostafrika. Diese zahlreichen Vulkane sind mit tiefen Strukturen verbunden, die unter dem Erdmantel in einer Tiefe von etwa2.700 km liegen. Man bezeichnet dieses Phänomen als Intraplatten-Magmatismus, und seine Quellen liegen an der Schnittstelle zwischen dem Mantel und dem Kern.
Und dieser Vulkanismus unterscheidet sich deutlich von demjenigen, der üblicherweise den Grenzen der lithosphärischen Platten zuzuschreiben ist. Diese Erkenntnis ist der Entwicklung der seismischen Tomographie in den letzten 15 bis 20 Jahren zu verdanken.
RT: Gibt es eine Wahrscheinlichkeit, dass die Struktur der Erde im Zuge des wissenschaftlichen Fortschritts plötzlich ganz anders aussieht, als wir sie heute kennen?
RW: Eine solche Chance besteht immer, denn bisher ist niemand zum Erdkern hinabgestiegen, um ihn zu untersuchen. Im Verlauf der weiteren Vervollkommnung der Methoden werden wir immer genauere und detailliertere Modelle erstellen. Allerdings ist das Wissen über die Tiefenstruktur unseres Planeten erst dann genau, wenn wir ihn – bildlich gesprochen mit unseren Händen – begreifen können.
RT: Es ist bekannt, dass der magnetische Nordpol der Erde eine Verschiebung von etwa 55 km pro Jahr in Richtung Osten erfährt. Was ist die Ursache für diesen Prozess? Droht der Erde in absehbarer Zeit eine erneute Verlagerung der magnetischen Pole, wie es in der Geschichte des Planeten schon vorgekommen ist?
RW: In der Tat verschiebt sich der magnetische Nordpol der Erde heute schneller als beispielsweise noch vor 20 Jahren. Jedoch handelt es sich dabei um ein normales Phänomen, da das Magnetfeld der Erde sehr variabel ist und jene Prozesse widerspiegelt, die im äußeren, flüssigen Erdkern stattfinden. Auch ist bekannt, dass sich vor der Inversion des planetaren Magnetfeldes die Bewegung der magnetischen Pole gewöhnlich beschleunigt. Darüber wissen wir aus der Geschichte des Magnetfelds unseres Planeten Bescheid, die von der Paläomagnetologie untersucht wird. Uns ist auch bekannt, dass eine Beschleunigung der Polbewegung nicht jedes Mal zu einer Inversion führt. Eine eindeutige Aussage, dass die Magnetfeldumkehr begonnen hat, ist natürlich unmöglich.
RT: Und wie kommt es zu dieser Verschiebung?
RW: Die Sache ist die, dass das Magnetfeld der Erde im äußeren flüssigen Kern erzeugt wird. Und weil die Veränderung der Parameter in Flüssigkeiten viel schneller erfolgt als in Festkörpern, ändert dann auch das Magnetfeld seine Eigenschaften sehr schnell.
RT: Welche praktischen Auswirkungen hat die Verschiebung der Erdmagnetpole für die Menschen, sollte die Menschheit zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Planeten leben?
RW: Diese Frage beunruhigt sehr viele Menschen. Es wird angenommen, dass eine Inversion in der Regel innerhalb von 2.000 bis 5.000 Jahren stattfindet. Wobei dieser Prozess nach den neuesten Daten innerhalb von einigen Hundert Jahren abgeschlossen sein kann, was selbst nach den Maßstäben des Generationenwechsels der Menschheit ziemlich schnell ist. Während dieses Polwechsels nimmt die Intensität des Erdmagnetfeldes ab, der Planet wird damit anfälliger für kosmische Strahlung, für das Einströmen kosmischer Teilchen – vom Sonnenwind und durch galaktische Strahlung.
Infolgedessen nimmt die Strahlungsintensität an der Erdoberfläche möglicherweise zu. Trotzdem gibt es keinen Grund zur Panik, denn diese Abweichungen sind für die Biosphäre der Erde nicht kritisch. Zum Beispiel kann die Strahlung auf das Niveau ansteigen, das derzeit in den zirkumpolaren Regionen des Planeten registriert wird, wo sie höher ist als am Äquator. Deshalb drohen durch eine Polverschiebung keine tragischen Folgen für die Menschheit. Anders sieht es beim Funkverkehr aus, der nur noch mit Unterbrechungen funktionieren wird, wie zum Beispiel bei magnetischen Stürmen.
RT: Wie hilfreich sind die Studien ultratiefer Bohrungen bei der Erforschung des Planeteninneren? Beispielsweise wurde im Jahr 2012 auf Sachalin die Bohrung Tschaiwo Z-44 (Чайво Z-44) realisiert, welche zwar nicht die Tiefe, aber sogar die Länge der Supertiefen-Bohrung auf Kola übertraf. Welche Art von Daten können aus solchen Bohrungen gewonnen werden?
RW: Die Bohrung Tschaiwo Z-44 wurde im Rahmen einer Kohlenwasserstofferschließung vorgenommen. Ihre Tiefe beträgt tatsächlich nur 1.500 m, aber mit 15.000 m ist sie die längste Bohrung der Erde, denn das Bohrloch verläuft horizontal. Soviel ich weiß, ist diese von keiner großen Bedeutung für die Erforschung des Erdinneren. Die Supertiefen-Bohrung auf der Halbinsel Kola dagegen erwies sich allerdings als äußerst wichtig für das Verständnis der Struktur oberer Erdschichten, der Erdkruste.
Was die Forscher bei der Entnahme von Material aus diesem Bohrloch sahen, unterschied sich mitunter grundlegend von den wissenschaftlichen Modellen und Ansichten, die zu dieser Zeit bestanden. Heutzutage gibt es keine ähnlichen Bohrungen wie die damalige auf Kola, weil die hohen Kosten solche Projekte verhindern. Sie können auch gar nicht rentabel sein, weil sie sehr teure technische Anlagen erfordern.
RT: Die Erdkruste ist unter dem Meer am dünnsten, etwa 3 bis 7 km. Wie realistisch ist die Erreichbarkeit des Erdmantels durch eine Bohrung im Meeresboden?
RW: Im Allgemeinen wissen wir bereits, wie der Erdmantel aussieht; man kann ihn sogar mit den Händen anfassen, wenn man zum Beispiel in den Ural oder nach Zypern fährt. In diesen Gebieten gibt es geologische Formationen – Ophiolithe. Im Grunde handelt es sich dabei um die ozeanische Kruste der Erde, die einst über das Festland geschoben wurde. In Ophiolithen kann man Mantelgestein beobachten, das aus einer Tiefe von 5 bis 8 km stammt. Daher haben die Wissenschaftler eine gute Vorstellung davon, woraus die oberen Schichten des Erdmantels bestehen.
Sollten wir dort bohren, wo die Kruste am dünnsten ist, am Grund des Ozeans, werden wir auf den größten geothermischen Gradienten stoßen. Das bedeutet, dass die Temperaturen rasch ansteigen werden, je tiefer wir in das Loch vordringen. Es gibt zwar Projekte für Tiefseebohrungen, diese zielen jedoch nicht auf sehr tiefe Bohrungen ab. Von Interesse sind geologische Vorkommen, die in großen Tiefen zu finden sind – zum Beispiel im Marianengraben.
RT: Geothermische Energie, die Nutzung von Erdwärme zur Stromerzeugung, wird zwar in einigen Ländern genutzt, wird aber im Allgemeinen noch nicht sehr umfangreich erschlossen. Warum nicht?
RW: Geothermische Energie wird in den Regionen genutzt, in denen es zweckdienlich ist. In Island gibt es beispielsweise viele geothermische Kraftwerke, und auch auf Kamtschatka sind einige in Betrieb. Allerdings muss man verstehen, dass die geothermische Energie nicht überall zur Verfügung steht. Der geothermische Gradient unterscheidet sich überall. Wenn wir zum Beispiel in Moskau eine Bohrung zur Energiegewinnung vornehmen würden, so steigt dort die Temperatur um 10 Grad Celsius pro km. Das bedeutet, dass wir einen 10 km tiefen Brunnen bohren müssten, um einfach nur Wasser zum Kochen bringen zu können. Und auf Kamtschatka steigt die Temperatur um 50 bis 70 Grad Celsius pro km. Deshalb genügt es, etwas mehr als einen Kilometer zu bohren, um Wasser bis zum Siedepunkt zu bringen – das ist entsprechend rentabel und sinnvoll.
RT: Können solche Arbeiten wirklich Erdbeben auslösen? Und wenn ja, gilt dasselbe nicht auch für Erdgas- und Erdölförderung durch Fracking?
RW: Soweit es mir bekannt ist, kann Fracking oder Bohren kein großes Erdbeben auslösen. Tatsache ist, dass große Erdbeben nur durch die Kontinentaldrift, durch tektonische Phänomene, verursacht werden. Glücklicherweise ist der Mensch nicht in der Lage, sie künstlich zu verursachen. Obwohl kleinere Erschütterungen der oberen horizontalen Lagen der Erdkruste tatsächlich durch hydraulisches Fracking verursacht werden, sprechen wir hier von einer Aktivität, die nur mit Seismometern festgestellt werden kann und für den Menschen meist kaum zu bemerken ist.
RT: Eine Hypothese besagt, dass die seismische Aktivität der Erde sowie andere geologische Prozesse durch die Sonnenaktivität und Sonneneruptionen beeinflusst werden können. Gibt es Belege für diese Behauptung?
RW: Was die Sonneneruptionen angeht, so bezweifle ich, dass sie die seismische Aktivität der Erde irgendwie beeinflussen können. Jedoch kann die Gravitationswechselwirkung zwischen der Erde und anderen kosmischen Körpern, einschließlich der Sonne, einen solchen Einfluss haben. Natürlich ist dieser Einfluss heute nicht mehr sehr stark und es ist unwahrscheinlich, dass er die Hauptursache für Erdbeben und vulkanische Aktivitäten ist. Man sollte jedoch bedenken, dass bei der Bewegung des Mondes um unseren Planeten nicht nur der Wasserspiegel der Ozeane, sondern auch die Landoberfläche unter ihm um einige Zentimeter ansteigt. Und vor vier Milliarden Jahren, als der Mond der Erde noch viel näher war, betrug dieser Gezeitenhügel im festen Gestein der Erde sogar mehrere Kilometer.
RT: Stellen Supervulkane wie der Yellowstone eine ernsthafte Gefahr für die Menschheit dar?
RW: Selbstverständlich ist ein Ausbruch des Supervulkans sehr gefährlich, denn er wird nicht nur viele Lebewesen töten, sondern auch das Klima der Erde verändern. Das Ergebnis wäre entweder eine Abkühlung oder, entgegengesetzt, eine Verstärkung des Treibhauseffekts und eine Erwärmung. Zum Glück sind derartige Eruptionen äußerst selten, so dass die Chancen gut stehen, dass die Menschheit von einer solchen Katastrophe verschont bleibt.
RT: Wie exakt können wir heutzutage den Ausbruch von normalen Vulkanen und Supervulkanen vorhersagen? Gibt es ein Risiko, dass ein Ausbruch die Menschen überrumpelt? Welche neuen Methoden zur Vorhersage von Eruptionen und Erdbeben wurden in den letzten Jahren, eventuell sogar Jahrzehnten entwickelt?
RW: Wenn wir vom Yellowstone-Supervulkan sprechen, so ist dieser immer noch sehr aktiv, und in seiner Umgebung gibt es eine starke thermische Aktivität. Eine vulkanische Aktivität ist zu beobachten, auch wenn in abgedämpfter Form. Und wann es zu einer neuen Supereruption kommen wird, das weiß niemand. Eine mehr oder weniger zuverlässige Vorhersage kann nur kurzfristig erfolgen, wenn sich das Magma bereits in der Erdkruste bewegt. Eine solche Prognose kann nur einige Stunden, vielleicht auch einige Tage gemacht werden, bevor das Magma bis an die Oberfläche steigt. Diese Zeit könnte dann wenigstens ausreichen, um die Menschen aus der Nähe des Vulkans zu evakuieren. Da aber alle Vulkane unterschiedlich sind, wäre es falsch, dies von allen Vulkanen zu behaupten.
Eine Eruption einen Monat oder auch nur zwei Wochen im Voraus vorherzusagen, ist nicht mit hoher Genauigkeit möglich. Genau wie bei der Wettervorhersage haben wir es mit nichtlinearen Prozessen zu tun, die schwer zu modellieren sind.
Natürlich arbeitet die Wissenschaft daran, diese Vorhersagen längerfristig und genauer zu machen. Die Methoden, die Geräte und vor allem die Erkenntnisse über die Vergangenheit der Erde werden immer besser. Und das verschafft der Wissenschaft eine zuverlässigere Grundlage für solche Vorhersagen.
Übersetzt aus dem Russischen
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