WHO-Tedros erklärt Ausbreitung der Affenpocken zu globalem Gesundheitsnotfall – gegen Expertenrat

Agentur- und Medienberichten zufolge hat die Weltgesundheitsorganisation wegen der Ausbreitung der Affenpocken die höchste Alarmstufe ausgerufen und das Virus zu einem internationalen Gesundheitsnotfall erklärt.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den Affenpocken-Ausbruch in mehr als 50 Ländern zu einer "Notlage von internationaler Tragweite" erklärt. Das gab WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus am Sonnabend bei einer Pressekonferenz bekannt. Die Einstufung soll die Aufmerksamkeit der Mitgliedsländer erhöhen, hat aber keine unmittelbaren Konsequenzen, da die Regierungen selbst über etwaige Maßnahmen in ihren Ländern entscheiden.

Wie CNBC berichtet, bedeutet die Einstufung, dass die WHO den Ausbruch nun als eine so große "Bedrohung" für die globale Gesundheit ansieht, dass eine koordinierte internationale Reaktion erforderlich sei, um die weitere Ausbreitung des Virus und eine mögliche Pandemie zu verhindern.

Obwohl die Erklärung den nationalen Regierungen keine Verpflichtungen auferlege, soll sie – jedenfalls nach Auffassung der WHO – als dringender Aufruf zum Handeln verstanden werden. Die WHO kann ihren Mitgliedsstaaten nur Hinweise und Empfehlungen geben, aber keine Vorgaben machen. Die Mitgliedsstaaten seien verpflichtet, Ereignisse zu melden, die eine "Bedrohung für die globale Gesundheit" darstellen könnten, heißt es.

Tedros nannte die Zahl von weltweit gerade einmal gut 16.000 bestätigten Fällen in mehr als 60 Ländern, von denen viele angeblich vorher keine Affenpocken-Fälle verzeichnet haben sollen. In sechs afrikanischen Ländern, in denen das Virus auch schon in früherer Zeit Menschen infiziert hat, waren es etwas über 240 Fälle. In Deutschland meldete das Robert-Koch-Institut am Freitag knapp 2.300 Infektionen – fast 14,4 Prozent der weltweit festgestellten "Fälle".

Ein Ausschuss aus – wie betont wird – "unabhängigen Fachleuten" konnte sich zuvor nicht auf eine gemeinsame Empfehlung einigen, ob eine Notlage ausgerufen werden sollte. Die englische Abkürzung für eine Notlage ist PHEIC, was für "public health emergency of international concern" steht.

Auch den Ausbruch des Coronavirus SARS-CoV-2 hatte die WHO am 30. Januar 2020 als derartige Notlage deklariert. Dies bedeute allerdings nicht, dass nun bei den Affenpocken dieselben Maßnahmen wie in der Corona-Krise zu erwarten seien.

Während sich das Coronavirus durch Aerosole mit Virenpartikeln verbreitet, die Infizierte beim Atmen, Sprechen oder Husten abgeben, erfolgen Infektionen mit Affenpocken nach derzeitigem Wissensstand in der Regel durch engen Körperkontakt.

Die WHO richtet je nach Krankheit bei Bedarf Notfallausschüsse ein, die mit jeweils verschiedenen Fachleuten besetzt werden. Zurzeit gilt neben der Notlage von internationaler Tragweite wegen Corona seit 2020 auch eine Notlage wegen Polio-Ausbrüchen (seit 2014).

Als "abgeschlossene Notlagen" gelten die Ausbrüche der Schweinegrippe H1N1 (2010), des Zika-Virus (2016) und von Ebola (2014-2016 und 2019). Die WHO hatte seinerzeit auch Notfallausschüsse wegen MERS-CoV (2013-2015) und wegen Gelbfieber (2016) einberufen. Die dazu konsultierten Fachleute kamen damals jedoch nicht zu dem Schluss, dass eine Notlage internationaler Tragweite erklärt werden müsste.

Ergänzung am 23.07.2022, 19:15 Uhr:

Wie Reuters meldet, waren die Mitglieder des Expertenausschusses, der am vergangenen Donnerstag zusammentrat, um eine potenzielle Empfehlung zu erörtern, geteilter Meinung: Neun Mitglieder sprachen sich gegen und sechs für die Erklärung aus, was Tedros selbst dazu veranlasst habe, die festgefahrene Situation zu beenden – und die Entscheidung zu überstimmen, wie er gegenüber Reportern erklärte.

Die Entscheidung kommentierte Lawrence Gostin, Professor am Georgetown-Law-Institut in Washington, D.C., als politisch mutig:

"Das richtige Ergebnis ist klar – zu diesem Zeitpunkt keinen Notstand auszurufen, wäre eine historisch verpasste Gelegenheit."

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(rt/dpa)