Eine Analyse von Dr. Karin Kneissl
Die Präsidenten der Russischen Föderation, der Islamischen Republik Iran und der Türkei trafen am Dienstag in Teheran im sogenannten Astana-Format zusammen, um die Lage in Syrien, wo seit 2011 Stellvertreterkriege toben, zu besprechen. Die drei Staaten unterstützen unterschiedliche Parteien, doch zugleich verstehen sie, ihre Interessen in Ausgleich zu bringen. In welchem Umfang die Türkei angesichts der Kritik ihrer Partner auf eine militärische Operation im kurdischen Norden Syriens verzichtet, wird sich zeigen. Ein wesentliches Resultat dieses Gipfels ist hingegen die offizielle Ankündigung der strategischen Partnerschaft zwischen Russland und dem Iran.
Die Karten wurden neu gemischt
In den letzten Monaten wurde auf Ministerebene diese Allianz erarbeitet, die zu geopolitischen Verschiebungen führt. Der Iran ist nicht nur die alte Macht am Persischen Golf, sondern über das Kaspische Becken auch Eurasien geographisch und historisch verbunden. Zwischen Moskau und Teheran bestanden stets sehr wechselhafte Beziehungen. Als der Iran infolge Sanktionen des UNO-Sicherheitsrats ab 2007 völlig isoliert war, spielte Moskau für die technische Umsetzung des zivilen iranischen Nuklearprogramms eine entscheidende Rolle. Das als JCPOA bezeichnete Abkommen wurde im Juli 2015 unterschrieben, die UNO-Sanktionen einige Monate später aufgehoben, doch der große Neustart für den Iran blieb aus. Die USA verunmöglichten über ihren Druck auf Banken Investitionen im Land. Im Mai 2018 stiegen die USA unter Präsident Donald Trump aus dem JCPOA aus. Die Biden-Administration verfolgte akribisch aber völlig ungeschickt eine Neuauflage des JCPOA.
Doch der Iran hat 2022 viel bessere Karten als noch 2015. Der Erdölpreis ist um ein Vielfaches höher als vor sieben Jahren, mit China wurde 2021 eine strategische Partnerschaft geschlossen und US-Sanktionen werden de facto nicht umgesetzt. An einer strategischen Partnerschaft mit Russland wurde auf Ministerebene bereits gearbeitet, nun haben Präsident Wladimir Putin und sein Amtskollege Ebrahim Raisi diese offiziell angekündigt. Was sich seit 20 Jahren abzeichnet, gewinnt nun eine neue institutionelle Dynamik, nämlich die Verschiebung des geopolitischen Gravitationszentrums in Richtung Eurasien und Pazifischer Raum.
Erst vor einigen Tagen bereiste der US-Präsident Joe Biden einige Staaten im Nahen Osten und sprach davon, dass die USA ihren festen Platz in der Region behalten, um ein "Vakuum zu vermeiden". Die rohstoffreiche Region zwischen der Arabischen Halbinsel und dem Persischen Golf ist spätestens mit dem Ende des Ersten Weltkriegs zum Hinterhof europäischer Mächte und nach 1945 jener der USA geworden. Am Anfang dieser besonders intensiven Beziehungen standen Ölallianzen mit dem Iran und Saudi-Arabien. Im Laufe der letzten zehn Jahre wurden die USA dank "fracking" und Förderung ihrer Schieferöl- und Schiefergasvorräte vom Importeur zum Exporteur fossiler Energieträger. In Washington galt im Windschatten des Debakels im Irak folgende Formel zum Nahen Osten: "They don't like us and we don't need them". Die USA zogen sich zunehmend aus der Region zurück, denn es herrschte der Eindruck, dass Washington mit seinen Invasionen nur Kriege verlor, die USA immer unbeliebter wurden, hohe Kosten zu tragen hatten und ohnehin das arabische Öl nicht mehr benötigten.
Die Entfremdung zwischen Washington und seinen traditionellen nahöstlichen Verbündeten illustrierte die protokollarische Erniedrigung, die Biden in Saudi-Arabien zuteil wurde. Der US-Präsident hatte das wahabitische Königreich in seinem Wahlkampf als Paria-Staat bezeichnete und wollte – wenn überhaupt – nur mit seinem Gegenüber König Salman konferieren. Dieser delegierte die Gespräche an seinen Sohn, Kronprinz Mohammed bin Salman. Letzterer hat sich mehrfach für eine Neubewertung des US-Dollars als Währung im globalen Rohstoffhandel ausgesprochen.
Entspannung zwischen Riad und Teheran
Im Laufe der letzten zwei Jahre machten Saudi-Arabien und der Iran große diplomatische Fortschritte für eine Entspannung, was sich entsprechend auf die politische Situation im Irak, aber auch im Libanon und vor allem in den Kriegsgebieten Syrien und Jemen auswirkt. Der Iran scheint die Jahrzehnte der Isolation und des Sanktionsdrucks überwunden zu haben. Der Blick richtet sich zunehmend nach Osten. Die Versuche der USA und der EU, nun kurzfristig "irgendwie" zu Erdgas aus der nahöstlichen Region zu kommen, sind gescheitert. Dies hat aber mehr mit der Natur des Energiemarkts zu tun, den die Europäer offenbar nicht verstehen wollen. Nicht nur in Berlin glaubt man, russisches Erdgas binnen weniger Monate durch andere Lieferanten ersetzen zu können.
Auch der Iran wird in Debatten immer wieder genannt. Doch anders als noch vor 15 Jahren hat Teheran offenbar kein Interesse, sich mit Infrastruktur nach Westen auszurichten. 2002 wurde ein sehr Konsortium namens "Nabucco" gebildet, um u. a. iranisches Erdgas nach Europa zu bringen und so die Abhängigkeit von Russland zu verringern. In 14 Jahren gelang es dem Management nicht, auch nur einen einzigen Einspeisungsvertrag für Erdgas abzuschließen. Für das politische Marketing wurde hingegen sehr viel Geld ausgegeben.
Der Iran scheint sich ähnlich wie Saudi-Arabien und viele OPEC Förderländer systematisch mit den Verträgen und der Infrastruktur nach Osten auszurichten. Die Türkei hingegen ist ein wichtiges Transitland für Pipelines in den Westen. Innerhalb der NATO, dessen zweitgrößte Armee die Türkei stellt, fährt Ankara einen relativ eigenständigen Kurs, wie Waffenkäufe in Russland zeigen, zudem beteiligt sich das Land nicht am Sanktionen Regime gegen Russland.
Die ambivalenten Beziehungen zu Russland sind eine faszinierende Fallstudie für den täglichen diplomatischen Balanceakt, wenn es um militärische Konfrontation in Syrien oder in Libyen geht.
Das Video der Pressekonferenz zeigt Gastgeber Raisi, wie er spontan die Hände seiner beiden Kollegen ergreift und als Zeichen des Jubels über den gemeinsamen Erfolg hochhebt. Ein Bild sagt oft mehr als eine lange Analyse. Erdoğan ebenso wie Putin und auch die Protagonisten der iranischen Revolutionsführung werden seit Jahren von westlichen Medien für sterbenskrank erklärt. Die Gerüchteküche geht seit dem 24. Februar wieder über. Es trifft der alte Spruch zu: Totgesagte leben länger. Und sie betrieben nun über Syrien hinaus eine koordinierte Regionalpolitik von Syrien bis in den Persischen Golf.
Mehr zum Thema - Die Illusion einer russischen Isolation – Achse Teheran-Moskau zeichnet sich ab