Bundeskanzler Olaf Scholz gab dem US-Fernsehsender CBS im Anschluss an den NATO-Gipfel in Madrid ein längeres, auf Englisch geführtes Interview. Scholz wurde ausführlich zu der Rolle und dem Agieren Deutschlands im Ukraine-Krieg befragt. Weitere Themen waren die finanzielle Unterstützung Deutschlands für die Ukraine, der persönliche Blick von Scholz auf Putin und dessen jüngste Außenpolitik sowie die aktuellen und kommenden wirtschaftlichen Herausforderungen für Deutschland.
Die Interviewerin begann das Gespräch mit dem Hinweis, dass sie in einer Biografie über Scholz gelesen habe, dass "Sie oft nicht direkt antworten", um ihn mit der unmittelbaren Frage zu konfrontieren, ob er glaube, dass "Russland ein terroristischer Staat ist, wie Präsident Selenskij sagt". Scholz erwiderte, dass "Russland eine sehr brutale Aggression" begonnen hätte, den man einen "wirklich brutalen, ungerechtfertigten Krieg gegen die Ukraine" nennen könne. Daher müsse alles getan werden, "um die Ukraine zu unterstützen und ihr die Möglichkeit zu geben, ihre eigene Integrität und Gelassenheit zu verteidigen".
Auch auf die Nachfrage, ob es denn "nichts bringen würde, Russland einen terroristischen Staat" zu nennen, wich Scholz mit der ablenkenden Bemerkung aus:
"Es bringt etwas, wenn wir die Ukraine mit all den finanziellen Mitteln unterstützen, die wir der Ukraine geben, mit all der humanitären Hilfe, mit all den Waffen, die wir liefern. Und wir werden das so lange tun, wie es notwendig ist, um die Ukraine zu unterstützen und um zu verhindern, dass dieser Krieg so ausgeht, wie Putin es sich wünscht: ein diktierter Frieden."
Nach Scholz' Ansicht sei es zudem notwendig, dass "wir auch alle Sanktionen, die wir gegen Russland verhängt haben, aufrechterhalten". Man gewinne den Eindruck, dass ihm die Sanktionspolitik des Westens "wirklich weh tut und dass er die tiefgreifenden Auswirkungen unserer Sanktionen auf seine Wirtschaft versteht", so Scholz weiter im Interview. Der Kanzler erläuterte das wörtlich:
"Er kann mit dem Geld, das er von uns bekommt, nichts kaufen, weil all diese Sanktionen gegen die Einfuhr von modernen Technologien und Dingen, die er braucht, verhängt wurden. Das ist es also, was ihn sehr wütend macht."
Auf die Frage der Moderatorin Margaret Brennan, ob dieser Krieg eine Art Weckruf auf dem Niveau von "9/11" für Europa darstelle, antwortete Scholz – ohne näher auf die kriegerische und zerstörerische US-Außenpolitik der letzten Jahrzehnte einzugehen:
"Ich glaube, zu viele in der Welt haben gehofft, dass wir in einer anderen Welt leben, die sich von den Erfahrungen des letzten Jahrhunderts und der Jahrhunderte davor unterscheidet, wo Macht und Stärke über die Zukunft von Ländern entschieden und nicht die Regeln und Vereinbarungen, die wir zwischen Staaten haben. Und wir hatten eine Vereinbarung, dass es keinen Versuch geben sollte, das Territorium zu verändern, Grenzen zu verändern, in den Nachbarn einzudringen."
"Der Frieden ist in Gefahr", deshalb sei es absolut notwendig, dass Deutschland mehr für seine Verteidigung ausgeben müsse, und "Deutschland geht in dieser Frage in Europa in Führung", so die Darlegung des Bundeskanzlers. Auf die Frage, ob "Europa und Deutschland zu selbstgefällig" gewesen wären, antwortete Scholz, dass man "sich hätte besser hätte vorbereiten" müssen. Scholz erläuterte, die Gegenwart sei ein Moment, "in dem wir absolut klar machen müssen, dass wir stark genug sind, dass niemand auch nur daran denken sollte, zum Beispiel NATO-Gebiet anzugreifen". "Wir" seien "bereit und willens, jeden Zentimeter, jeden Zentimeter NATO-Territorium in Europa zu verteidigen, und dass wir das gemeinsam mit unseren Verbündeten tun".
Auf die Frage, ob Scholz denke, dass der russische Präsident sich zum Ziel gesetzt hatte, "nach Moldawien oder in die umliegenden Länder zu gehen", lautete die Antwort:
"Was denkt Putin? Er denkt wie die Imperialisten im 17., 18. und 19. Jahrhundert. Er denkt, dass es bei der Nation nur um Macht geht und dass man, wenn man mächtig genug ist, einfach das Territorium seiner Nachbarn übernehmen kann. Und das ist eine Aktivität und eine Idee, die wir nicht akzeptieren können."
Putin hätte sich immer schon "sehr, sehr kritisch gegenüber der NATO und der Europäischen Union" gezeigt, um noch zu ergänzen: "Und als ich mit ihm sprach, sagte ich, sie müssen die Europäische Union akzeptieren." Scholz ergänzt wörtlich:
"Und er dachte dabei sehr an die NATO. Und ich habe ihm gesagt, dass die NATO nicht aggressiv ist. Es geht nur um Verteidigung. Aber er denkt, er muss einfach alles Geld, das er verdient, für seine militärischen Fähigkeiten ausgeben – und manchmal auch benutzen. Und das ist es, was jetzt scheitern sollte, und deshalb tun wir das Richtige, wenn wir die Ukraine unterstützen."
Erste Aufgabe sei nun, über die massiven Unterstützungen für die Ukraine, "ihm [Putin] klar zu machen, dass dies nicht funktioniert und dass er keinen Erfolg haben wird". Finnland und Schweden würden "wirklich sehr gut in das Konzept der NATO passen, demokratische Staaten, die sehr stark sind mit ihren eigenen Aktivitäten in der Verteidigung". Auf die Frage, ob Scholz benennen könne, "wie viel Deutschland im Moment für russische Energie ausgibt", antwortete der Kanzler wieder ausweichend:
"Das Geld, das wir ausgeben, wird immer weniger. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, alle Importe von fossilen Rohstoffen zu ersetzen. Anders als die Vereinigten Staaten produzieren wir sie nicht selbst, wir müssen sie importieren. Und wir bekommen sie von vielen Orten der Welt. Aber wir haben uns entschieden, keine fossilen Rohstoffe mehr aus Russland zu importieren."
Öl-Importe aus Russland würden – nach dem Ende von Kohle-Lieferungen – "Ende dieses Jahres" komplett eingestellt. Als Bürgermeister von Hamburg [2011 bis 2018] hätte er sich damals schon für Flüssigerdgas eingesetzt, da er "dachte, es könnte nützlich sein, immer die Möglichkeit zu haben, den Lieferanten zu wechseln, von dem man kauft – im Falle von Gas – und deshalb machen wir es jetzt". Sanktionen gegen Russland seien so zu formulieren, dass "sie Putin schaden". Das werde jedoch absehbar "sehr schwierig werden", wenn "es zu einer Verknappung der Energielieferungen kommt". "Unsere Länder, unser ganzes Leben" hängen von der Energieversorgung ab.
Der Ausstieg aus der Nutzung fossiler Ressourcen sei weiter zu unterstützen, der Wechsel zu erneuerbaren Energien müsse weiter beschleunigt werden. Dazu sagt Scholz im Interview wörtlich:
"Und das bedeutet, dass wir jetzt die Produktion von Strom und Energie ausbauen, mit Offshore-Wind, mit Onshore-Wind, mit Solarenergie, dass wir die Investitionen in unser Netz ausbauen, so dass wir in der Lage sind, eine völlig andere Industrie zu haben, die Stahl, Chemie, Zement mit Strom und Wasserstoff produziert."
Die Lebensmittelknappheit, "die viele Menschen in der Welt jetzt als Bedrohung empfinden", sei die direkte Folge der "Aggression Russlands gegen die Ukraine und des Krieges, den es dem Land aufzwingt", so Scholz' Einschätzung der Lage als Entgegnung auf die Behauptung der CBS-Interviewerin, dass der russische Präsident Putin "die Inflation als Waffe einsetzt, er setzt Lebensmittel als Waffe ein". Laut Scholz sei es Putin, der aktuell "die falschen Dinge tut", dies würde "ständig mit unseren Partnern auf der ganzen Welt diskutiert".
Die Ergebnisse des NATO-Treffens im spanischen Madrid, die des G7-Treffens im Schloss Elmau in Deutschland wie auch die Ergebnisse "aller Treffen, die wir in der Europäischen Union hatten", würden zeigen, dass "wir zusammenstehen, dass wir vereint sind und dass er [Putin] nicht in der Lage sein wird, uns zu brechen". Der Konflikt würde enden, wenn Putin "begreift, dass er mit seiner Idee, einen Teil des Territoriums seines Nachbarn zu erobern, nicht erfolgreich sein wird".
Auf die Frage, ob er China als Gefahr ansehe, antwortete der Bundeskanzler, dass er denke, dass die Welt, "in der wir im Jahr 2050 leben werden, multipolar sein wird. Viele Länder werden wichtig sein". Scholz bestätigte zum Ende des Gesprächs die Wahrnehmung der CBS-Moderatorin, dass die anvisierte Verstärkung der US-Truppen in Europa auf bis zu 100.000 Soldaten und "300.000 NATO-Einsatzkräfte in Europa" nicht nur "Diplomatie darstellen" würden, sondern "Muskelkraft". Scholz ergänzte:
"Das ist es. Und es ist notwendig."
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