Los Angeles: Der Gegengipfel der sozialen Bewegungen – Stimmen der Ausgeschlossenen

Auch dieses Jahr wird das OAS-Gipfeltreffen der Staaten Amerikas in Los Angeles von einem "Gegengipfel" vom 8. bis 10. Juni begleitet. Man will die Öffentlichkeit an die schwerwiegenden Probleme der amerikanischen Völker erinnern, die beim OAS-Gipfel wieder zu kurz kommen werden.

von Maria Müller

Das gegenwärtige OAS-Gipfeltreffen der Staaten Amerikas in Los Angeles wird auch dieses Mal von einem "Gegengipfel" begleitet. Er findet dort vom 8. bis 10. Juni statt. Man will die internationale Öffentlichkeit daran erinnern, dass die schwerwiegenden Probleme der amerikanischen Völker im Norden und im Süden des Kontinents dringend gelöst werden müssen und die eigentlich Teil der Agenda des OAS-Kongresses sein sollten.

Mehr als 220 soziale Basisorganisationen, Kulturbewegungen, Gewerkschaften, Migrantenorganisationen, Feministinnen, religiöse Gruppen, Bauernorganisationen und Umweltaktivisten nehmen seit Mittwoch an dem in Los Angeles (Kalifornien) stattfindenden "Gipfeltreffen der Völker für die Demokratie" teil.

Als die Bewegungen im März den Aufruf zu dem alternativen Gipfel starteten, kritisierten sie, dass US-Präsident Joe Biden sowie Eric Garcetti, der Bürgermeister von Los Angeles, und der Gouverneur von Kalifornien Gavin Newsom den IX. Amerika-Gipfel dafür benutzen wollten, um diese Stadt als Beispiel für wirtschaftlichen Wohlstand, Sicherheit, Menschenrechte und Würde vorzuführen.

Die demokratischen Werte der USA?

"Doch die Geschichte der finanziellen und militärischen Interventionen der USA in Lateinamerika und in der Karibik, sowie die systematische Vernachlässigung und Unterdrückung der farbigen Menschen und der Arbeiterklasse hier in den USA haben diese Prinzipien nicht verwirklicht", erklärten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in einem Manifest.

Manolo De Los Santos, Direktor der Organisation "Forum der Völker", erklärte, dass die die internationale Zusammenkunft Millionen von Menschen in den USA und auf dem ganzen Kontinent eine Stimme verschaffe. Sie seien ansonsten von den herrschenden Narrativen der Medien und der Regierungen ausgeschlossen und hätten keine Chance, gehört zu werden.

"Wir wollen einen Raum der Debatten, Diskussionen und des Dialogs zwischen den verschiedenen Kräften in unserer Gesellschaft unter all denen fördern, die sich für Verbesserungen einsetzen. Es geht um reale Veränderungen die nicht länger aufgeschoben werden können", so De Los Santos.

Nord- und südamerikanische soziale Bewegungen

In diesem Jahr sind nordamerikanische Organisationen wie die Antwort-Koalition (Answer Coalition), der Code Pink, die "Kampagne der armen Leute in Kalifornien" (Poor People’s Campaign in California), das "Internationale Komitee der Demokratischen Sozialisten in den USA" (International Committee of Democratic Socialists in the USA) und die "Nationale Anwaltsgilde" (National Lawyers Guild) auf dem Gegengipfel vertreten. Aus Südamerika beteiligen sich Gruppen wie die Bewegung der landlosen Bauern in Brasilien (Movimento sem Terra) mit 1,5 Millionen Mitgliedern und das Komitee für die Einheit der Bauern in Guatemala (Unidad de Campesinos) sowie die Vereinigung der Volks- und Indigenen-Organisationen von Honduras (COPINH).   

Auch Melina Abdullah von Black Lives Matter; der puerto-ricanische Unabhängigkeitskämpfer und ehemalige politische Gefangene Oscar López, der Historiker und Journalist Vijay Prashad aus Indien und die argentinische Abgeordnete Ofelia Fernández sind anwesend.

Um die intensive feministische Debatte auf internationaler Ebene einzubeziehen, werden die Runden Tische  "Ende des Patriarchats, der geschlechtsspezifischen Gewalt und des Befreiungskampfes" und "Ein Gespräch mit venezolanischen Feministinnen, die eine Revolution vertiefen, während sie unter Sanktionen steht" abgehalten.

Ausschluss nicht nur von Staaten: auch von Millionen Armen

"Die arme und arbeitende Bevölkerung, die am stärksten von der Vernachlässigung und dem Missmanagement der COVID-19-Pandemie und der Wirtschaftskrise der letzten Jahre betroffen sind, wurden zum Schweigen gebracht und an den Rand gedrängt. Man hat unsere Probleme von der Tagesordnung gestrichen. Deshalb haben wir den "Gipfel der Völker für Demokratie" als integrativen Raum organisiert, um eine Vielfalt von Stimmen aus Amerika zusammenzubringen", sagten die Sprecher des alternativen Gipfeltreffens. Sie beklagen, dass die US-Regierung zahlreiche Staaten von der internationalen Tribüne ausgeschlossen hat. Deswegen sind etwa die Hälfte der OAS-Mitgliedernationen diesmal entweder nicht in Los Angeles anwesend – oder zumindest nicht durch ihre Präsidenten vertreten.

Doch auch Millionen lohnabhängig Beschäftigte und notleidende Menschen haben keinen Zugang zu den in Los Angeles vertretenen internationalen Medien, um ihre Botschaften und Vorschläge der Welt bekannt zu machen. Heute müsse es eine andere Art von Dialog und Verhältnis zwischen dem Norden und dem Süden geben als vor 30 Jahren, als die Oligarchien und die rechtsgerichteten Militärs die natürlichen Verbündeten der USA waren.

Abschlussdemonstration angesagt

Am Freitag soll eine große Demonstration in Los Angeles stattfinden. Aus Mexiko und Mittelamerika haben sich 30 Organisationen dafür angemeldet. Sie wollen die Aufmerksamkeit der Welt auf das Unvermögen der Vereinigten Staaten von Amerika lenken, eine umfassende Einwanderungsreform in den USA zu schaffen. Sie fordern außerdem, dass die USA an erster Stelle ihre eigenen internen Probleme lösen sollten, anstatt sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen.

Armut in Los Angeles

"Die mehr als 66.000 Obdachlosen in Los Angeles und die mehr als eine Million Einwanderer ohne Papiere haben keine dauerhaften Lösungen erhalten. Stattdessen sind diese Bevölkerungsgruppen die Hauptziele einer gewalttätigen und überfinanzierten Polizei. Diese dringenden Probleme und andere, mit denen die Stadt konfrontiert ist, werden vom Gipfel ignoriert", stellte Stephanie Brito fest, eine der Sprecherinnen des Gegengipfels.

In diesem Sinne warnte sie, dass die USA "ihre moralische Autorität verloren haben", weil es ein Land sei, in dem es auch neben der Brutalität und dem Rassismus der Polizei auch große Ungleichheiten, Obdachlosigkeit und eine Unterdrückung der demokratischen Rechte der Wähler  und der Frauenrechte gebe.

Abschlussdemonstration verboten – unsre Werte!

Der "Gipfel der Völker" wird allerdings von den Behörden von Los Angeles diskriminiert. Die Organisatoren haben bereits angeprangert, dass die örtliche Polizei die angekündigte Demonstration nicht genehmigt hat. Diese Demo sollte das Treffen am kommenden Freitag abschließen. Das Verbot sei eine illegale Verweigerung der verfassungsmäßigen Rechte derjenigen, die an einer angeblich geschützten Aktivität teilnehmen.

"Diese ungeheuerliche Verletzung der Redefreiheit und Verletzung unseres demokratischen Rechts auf Protest richtet sich gegen genau die Werte, die Joe Biden und die US-Regierung auf dem Amerika-Gipfel zu verteidigen vorgeben", sagten die Organisatoren.

Protestieren – mit oder ohne Erlaubnis

Sie gehen jedoch davon aus, mit oder eben auch ohne Erlaubnis zu marschieren, weil "die Straßen den Menschen gehören". Sie würden ihren Positionen in Bezug auf die Rechte von Migranten, Frauen und Arbeitern Gehör verschaffen. Sie fordern, dass die demokratischen Normen wiederhergestellt werden, ebenso die Sicherheit und der Schutz der Familien. Gleichzeitig protestieren sie gegen den Ausschluss Kubas, Nicaraguas und Venezuelas vom Amerika-Gipfel.

Im Fall von Los Angeles sei die "unsensible Haltung" der Regierung offensichtlich geworden, da der "Gipfel Amerikas" zusätzliche 15,7 Millionen Dollar für Sicherheitsoperationen koste. Das sei "ein Mangel an Respekt" gegenüber Einwohnern, die nach dem antirassistischen Aufstand von 2020 keine Entschädigung erhielten, und inmitten von Kürzungen bei den Sozialleistungen unermüdlich gegen das aufgeblähte Polizeibudget der Stadt protestiert haben.

Während der drei Tage des Volksgipfels finden Diskussionsrunden zu folgenden Themen statt:

-      Demokratie für wen? Die Folgen der US-Interventionen in Amerika

-      Solidarität über Grenzen hinweg. Aufbau eines populären Internationalismus

-      Menschen über Profit. Gesundheit als Menschenrecht in der ganzen Welt

-      Gemeinsam überleben, Ernährungssouveränität, Klimagerechtigkeit und die Zukunft unseres Planeten

-      Wir stellen uns unsere Zukunft vor

-      Die Rolle des kulturellen Widerstands in sozialen Bewegungen

-       Diebstahl der Basiswirtschaft

-      Arbeiter rund um die Welt: Transnationale Organisation für Arbeitsrechte

-      Wem gehören die Straßen?

-      Kampf gegen Weiße Vormacht, Staatliche Gewalt und Militarisierung

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