Die westlichen Staaten könnten dem Dialog mit Russland nicht ewig aus dem Weg gehen, sagte Konfliktforschers Andreas Hasenclever in einem Interview mit dem Handelsblatt.
Eine dauerhafte Isolation Russlands sei nicht wünschenswert, unterstreicht Hasenclever. Selbst wenn sich die russischen Streitkräfte wieder hinter ihre Grenzen zurückziehen würden, blieben sie genau dort stationiert. "Niemand kann wollen, dass im Osten Europas ein russisches Nordkorea entsteht", betonte er weiter. Für das lange Zögern des deutschen Kanzlers Olaf Scholz bei der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine zeigt Hasenclever Verständnis.
"Er (Scholz) hat bis zuletzt versucht, eine Vermittlerrolle einzunehmen. Denn irgendwann braucht es eine politische Lösung mit der Nuklearmacht Russland, egal ob sie Teile der Ukraine besetzt hält oder ganz zurückgeschlagen werden kann. Dann braucht es Vermittler – und die Türkei hat dafür nicht das nötige Gewicht. Genau darauf spielte Scholz ja kürzlich auch im TV-Interview an."
Auf die Frage, ob Scholz aus "Angst" vor einem russischen Atomschlag zögerlich reagierte, sagte Hasenclever, "Aus meiner Sicht versuchte er zu sagen: Atommächte können einen Krieg verlieren, aber nicht besiegt werden".
Auf die Frage, wie die USA auf den Einsatz taktischer Atomwaffen in der Ukraine reagieren würden, sagte der Tübinger Konfliktforscher, "sicher nicht mit Atomwaffen", aber sie müssten auf jeden Fall mit konventionellen Waffen ein Zeichen setzen. "Nicht zwingend in der Ukraine selbst" – Russland sei an vielen Orten in der Welt verletzlich. So seien etwa russische Truppen in Syrien unmittelbar "angreifbar", fügte Hasenclever hinzu.
Hasenclever glaubt, wenn die US-Amerikaner einen "kleinen" Atomschlag in der Ukraine unbeantwortet lassen, wäre das weltweite Signal, "wer selbst keine Atomwaffen hat, dem wird auch nicht geholfen". Dann würden sich viele Staaten Atomwaffen zulegen, die bislang nicht daran denken, so Hasenclever. "Das jedoch wäre weder im Sinn der Russen noch der Amerikaner, die ihren strategischen Vorteil als Atommacht verlören", sagte Hasenclever im Interview mit dem Handelsblatt.
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