Eine Analyse von Dr. Karin Kneissl
Das Iran-Nuklearabkommen, dessen englische Abkürzung JCPOA lautet, war der große und wohl auch einzige diplomatische Erfolg der EU-Außenpolitik im Sommer 2015. Über ein Jahrzehnt hatten EU-Kommissare versucht, die Suche nach einem Ausgleich mit Iran zu koordinieren. Im Schatten des Irakkriegs und massiver Sanktionen gegen die Islamische Republik setzte Brüssel alles daran, eine diplomatische Lösung für das iranische Atom-Dossier zu finden.
Erwartungen und Frustrationen
Der Durchbruch begann im November 2013, als die USA und Iran auf hoher Ebene direkt miteinander verhandelten. Zwischen dem US-Außenminister John Kerry und seinem iranischen Amtskollegen Dschawad Sarif funktionierte die Chemie – sehr zum Missfallen Israels und vieler arabischer Golfstaaten, denen vor allem die regionale Machtentfaltung der schiitischen Theokratie ein Dorn im Auge war. Die Gewalt im Jemen, Irak und ebenso Libanon war meist ein Stellvertreterkrieg zwischen iranisch unterstützten Fraktionen und jenen, die von Riad bis Doha unterstützt wurden.
Am 14. Juli 2015 wurde das komplexe Abkommen mit seinen vielen technischen Annexen dann veröffentlicht. Der Wunsch, die iranische Wirtschaft zu öffnen, war groß. Im Wochenrhythmus fanden Investitionsforen von Paris bis Berlin statt, um auf den großen bis dato isolierten Markt zu gelangen. Die Iraner erhofften sich eine Rückkehr in eine unbekannte Normalität.
Groß war aber auch die Angst vor einem totalen Ölpreisverfall im Falle einer Rückkehr des iranischen Öls zur OPEC-Quote. Ähnlich wie heute bauten westliche Energiekonzerne auf mögliche Sanktionen für die Förderung von Erdöl- und Erdgas am Persischen Golf. Im Februar 2016 wurden die UN-Sanktionen aufgehoben, doch die USA hielten ihre Sanktionen aufrecht. Keine Bank wagte es, Geschäftsprojekte zu finanzieren. Einige Energieunternehmen wie TotalEnergies gingen das Risiko auf eigene ein, stiegen aber wieder aus, als US-Präsident Trump die USA im Mai 2018 einseitig von allen Verpflichtungen zurückzog.
Die USA hielten sich nicht an das Prinzip von "pacta sunt servanda", also Verträge sind zu respektieren, vielmehr sollte Iran neuerlich isoliert werden. In Teheran sollten jene Recht behalten, die immer schon gegenüber den USA großes Misstrauen hegten, wie der Oberste Revolutionsführer Ajatollah Chamenei. Die wesentlichen Verhandler, wie Außenminister Sarif, wurden brüskiert.
Neuer Anlauf für ein Abkommen
Die USA unter der Regierung Biden begannen rasch mit einem neuen Anlauf und versuchten, das unter Donald Trump zerbrochene Porzellan zu kleben. Die Verhandlungen schienen auch ungewöhnlich gut auf Schiene. Die Iraner traten nun um vieles noch selbstbewusster auf, als dies zuvor schon der Fall gewesen war.
Die nukleare Abrüstung steht dabei im Mittelpunkt, aber die Bedeutung des gesamten Verhandlungsergebnisses geht weit darüber hinaus. Es geht um Regionalpolitik, die Israel ebenso betrifft wie die arabischen Golfstaaten. Vieles ordnet sich neu angesichts der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und einigen arabischen Staaten.
Infolge der US-Interventionen im Nahen Osten seit 2001 vergrößerte Iran seinen Machtradius und ging damit auch zunehmend auf Konfrontation zu Saudi-Arabien. Neben einer alten theologischen Auseinandersetzung zwischen Schiiten und Sunniten ging es auch um die grundsätzliche Frage, welche Gesellschaft, die arabische oder doch vielmehr die der Perser und Iraner, die Oberhand in dieser so wichtigen Region habe.
Seit Jahresanfang hieß es dann im Wochenrhythmus, dass die Unterzeichnung in Wien unmittelbar bevorstünde. Während alle technischen Aspekte des Abkommens in den letzten Monaten geklärt wurden, verhindert Trumps Erbe weiterhin, dass die Verhandlungsführer zu einer Einigung kommen, was die Sorge verstärkt, dass das iranische Atomprogramm auf einen nuklearen Ausbruch zusteuern könnte. Die gezielte Tötung von General Soleimani, einem iranischen Nationalhelden, Anfang Januar 2020 auf dem Flughafen von Bagdad überschattet auch zwei Jahre später die Wiener Gespräche. Es gibt gute Gründe, dass es keine Neuauflage des JCPOA geben wird.
Es geht um die Streichung der Iranischen Revolutionsgarde von der US-Liste der ausländischen Terrororganisationen. Teheran betrachtet dies als Voraussetzung für ein Abkommen, während die Vereinigten Staaten es als separates Thema behandeln wollen. In meinen Augen geht es um viel mehr.
Unter anderem gibt es für Teheran keine Garantie, dass ein solches Abkommen die derzeitige US-Regierung überleben wird, da die USA die Grundsätze des Völkerrechts missachten, z. B., dass Verträge einzuhalten sind. Zudem stellen sich in Iran wohl viele die Frage, ob das Land überhaupt noch ein solches Abkommen benötige. Im Vorjahr schloss China mit Iran eine 50-jährige strategische Partnerschaft ab und China importiert Energie aus Iran, ohne sich über Sanktionen Gedanken zu machen. Parallel arbeitet auch die Regionaldiplomatie intensiv an ehrenhaften Lösungen, um alte Kriegsbeile definitiv zu begraben. Viel bedeutsamer als ein JCPOA mit den fünf Vetomächten des UNO-Sicherheitsrates, Deutschland und der Europäischen Kommission sind die aktuellen Verhandlungen zwischen Riad und Teheran, um Regionalkonflikte zu lösen.
Die vielen innerregionalen Schauplätze
Die jahrelangen Spannungen zwischen den regionalen Rivalen Iran und Saudi-Arabien gehen zu Ende, sagte der irakische Premierminister Mustafa Al-Kadhimi in einem Interview. Der Irak, ein Nachbar beider Länder, war im vergangenen Jahr Gastgeber von fünf Gesprächsrunden mit dem Ziel, die Beziehungen zwischen dem sunnitisch-muslimischen Saudi-Arabien und dem mehrheitlich schiitischen Iran wiederherzustellen. Nach der letzten Runde in Bagdad äußerten sich irakische Beamte zunehmend optimistisch und sprachen von einer bevorstehenden sechsten Runde. Sie gingen sogar so weit, die Wiederaufnahme der 2016 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen in Aussicht zu stellen. Es gab viele Rückschläge, aber die Regionalmächte verhandeln direkt miteinander, und das gesamte internationale Dekor des JCPOA im Wiener Stil ist nicht vorhanden.
Eine Normalisierung wird sich hoffentlich positiv auf den Irak, vor allem aber auf den Jemen und den Libanon auswirken, denn alle drei Länder sind Schauplätze grausamer Stellvertreterkriege. Außerdem könnte China, das ein wichtiger Handelspartner für beide Länder ist, davon profitieren und sein Potenzial erhöhen.
Für den Energiemarkt könnte es einen Technologietransfer an Iran im Flüssiggas bedeuten, den Zugang Irans zum europäischen Gasmarkt (was Jahre dauern würde) und eine engere Zusammenarbeit innerhalb der OPEC zur Umsetzung gemeinsamer Strategien. Iran wird meines Erachtens ebenso wenig wie Saudi-Arabien auf die Avancen Europas, doch nun ein ganz "normaler Erdöllieferant" zu werden, reagieren. Die iranischen Erfahrungen mit den USA, aber auch mit der EU sitzen tief im allgemeinen Bewusstsein der Menschen. Selbst das Kapitel der Nationalisierung unter der Kurzzeit von Premier Mossadegh von 1951 wirkt nach.
Eine neue diplomatische Ära im Orient
Die Staaten im Nahen Osten scheinen sich zu emanzipieren, es werden neue diplomatische Öffnungen in viele Richtungen unternehmen. Während sich viele Staaten in Europa bewusst und laut für militärische anstelle von diplomatischen Lösungen entscheiden, scheinen zwischen Kairo und Teheran sich interessante neue Entwicklungen zu verfestigen. Ohne US-Vermittlung, ohne Chapeau der UNO oder auch Runde Tische der EU gelingt es so mancher Regierung, in der Region alte Fehden zu beseitigen.
Daher ist das Interesse an einem JCPOA aus iranischer Sicht ziemlich gesunken, es ist eigentlich nur mehr symbolisch. Von einem Durchbruch zugunsten eines solchen "Iran deal" wie im Sommer 2015 kann daher keine Rede sein. Diesmal braucht der Westen viel dringender ein solches Abkommen, um Erdöl und Erdgas außerhalb Russlands zu kaufen. Iran kann indes viele neue Allianzen bearbeiten.
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