Der russische Präsident Wladimir Putin empfing am Dienstag UN-Generalsekretär António Guterres im Kreml zu Gesprächen über die Ukraine-Krise. Die beiden erörterten die Lage vor Ort. Putin erläuterte dem UN-Chef die Gründe Russlands für den Beginn seiner Militäroperation gegen das Nachbarland Ende Februar.
Der Schritt Moskaus, die beiden abtrünnigen Republiken Donezk und Lugansk anzuerkennen, basiere auf dem Präzedenzfall Kosovo, der von einem von den Vereinten Nationen unterstützten Gericht geschaffen worden sei, erklärte Putin gegenüber Guterres. Die zwei Republiken seien entstanden, nachdem die Menschen im Osten der Ukraine den vom Westen unterstützten Maidan im Jahr 2014 abgelehnt hätten, erklärte er.
Putin fügte hinzu, dass sich die Regierung in Kiew nach dem Putsch für eine militärische Lösung entschieden habe, die zu der achtjährigen Pattsituation im Donbass geführt habe. Der russische Präsident erklärte:
"Ich erinnere mich sehr gut an die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs, die besagt, dass ein Gebiet eines Staates bei der Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts nicht verpflichtet ist, bei den zentralen Behörden des Landes die Erlaubnis zu beantragen, um seine Souveränität zu erklären."
Guterres wies sofort darauf hin, dass die UNO selbst das Kosovo noch immer nicht als unabhängig anerkennt, sondern als Teil Serbiens betrachte. Doch Putin erwiderte darauf mit dem Verweis, dass das Gericht dies anerkannt habe. Der rechtliche Präzedenzfall bestehe laut Putin nach wie vor, und das Kosovo sei im Westen weitgehend anerkannt. Der russische Präsident sagte:
"So viele Staaten in der Welt, einschließlich unserer Gegner im Westen, haben dies in Bezug auf das Kosovo getan. Das Kosovo wird von vielen Staaten anerkannt, das ist eine Tatsache. Von vielen westlichen Staaten wird es als unabhängiger Staat anerkannt. Dasselbe haben wir in Bezug auf die Donbass-Republiken getan."
Putin fügte hinzu, dass die Republiken anschließend Moskau um militärische Unterstützung baten, die Russland in voller Übereinstimmung mit der UN-Charta gewährte.
Neben der Diskussion über das Völkerrecht und die Rechtsgrundlage für die russische Militäroperation sprachen Putin und Guterres auch über die humanitäre Lage vor Ort in der Ukraine. Der UN-Chef erklärte, seine Organisation und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) seien bereit, Hilfe bei der Evakuierung von Zivilisten zu leisten, die zusammen mit den ukrainischen Kämpfern im belagerten Stahlwerk Asowstal in der Stadt Mariupol eingeschlossen sein sollen. Guterres sagte:
"Dies wird eine Operation zur Evakuierung von Zivilisten aus dem Werk sein. Russland ist wiederholt dafür verantwortlich gemacht worden, dass diese Evakuierung nicht durchgeführt wurde. Andererseits hat Russland die Schaffung von [humanitären] Korridoren angekündigt, die jedoch nicht genutzt werden."
Der russische Präsident betonte, dass die Zivilisten, die angeblich in der Asowstal-Anlage eingeschlossen sind, nur deshalb dort blieben, weil die ukrainischen Kämpfer, einschließlich der Neonazi-Gruppen, die sich in der Anlage verschanzt haben, sie nicht gehen ließen. Putin sagte:
"Wir hören immer wieder von den ukrainischen Behörden, dass sich dort Zivilisten befinden. Aber dann sind die Soldaten der ukrainischen Armee verpflichtet, sie freizulassen, sonst agieren sie wie Terroristen in vielen Ländern der Welt, wie ISIS in Syrien, und verstecken sich hinter der Zivilbevölkerung. Am einfachsten ist es, diese Menschen freizulassen."
Putin wies auch darauf hin, dass der UN-Chef offenbar "falsch informiert" worden wäre, was die von Russland eingerichteten humanitären Korridore beträfe, und wies darauf hin, dass mehr als 100.000 Zivilisten Mariupol über diese Korridore verlassen hätten. Putin fügte hinzu:
"Und sie können überall hingehen: einige wollen nach Russland, andere in die Ukraine. Egal wohin, wir halten sie nicht auf, wir bieten jede Art von Hilfe und Unterstützung."
Russland hatte den Nachbarstaat Ende Februar angegriffen, nachdem die Ukraine die im Jahr 2014 unterzeichneten Minsker Vereinbarungen nicht umgesetzt und Moskau die Donbass-Republiken Donezk und Lugansk schließlich anerkannt hatte. Das von Deutschland und Frankreich vermittelte Minsker Abkommen sollte den abtrünnigen Regionen einen Sonderstatus innerhalb des ukrainischen Staates gewährleisten.
Der Kreml fordert seitdem, dass die Ukraine sich offiziell als neutrales Land deklariert, das niemals der von den USA angeführten NATO-Militärallianz beitreten wird. Kiew jedoch beharrt darauf, dass die russische Aggression völlig unprovoziert gewesen sei und hat Behauptungen zurückgewiesen, es habe geplant, die beiden Republiken mit Gewalt zurückzuerobern.
UN-Generalsekretär António Guterres war vor dem Treffen mit dem russischen Präsidenten noch mit dem Außenminister Sergei Lawrow in Moskau zusammengekommen.
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