Eine Analyse von Bernhard Loyen
Kriegsbilder sprechen eine Wahrheit aus: die Wahrheit des Leids, des Elends, der Zerstörung. Sie dienen aber auch dazu, sowohl Emotionen wie auch Gerüchte zu fördern und zu forcieren, oder sie untermauern die Absicht, eindeutig Stimmung zu erzeugen. Sie können zudem der reinen Ablenkung dienlich sein – unabhängig davon, ob sie als Videos oder Fotografien ihren Weg in die Medienwelt finden. Die Berichte, gestützt auf Bilder aus der Stadt Butscha, dominieren derzeit weltweit die Medien zu Ereignissen in der Ukraine. Innerhalb von nicht einmal 24 Stunden wurde fernab des Geschehens bereits das finale Urteil gesprochen, die Schuldigen seien erkannt und würden nun dem öffentlichen Pranger zugeführt. Je nach Couleur des jeweiligen Mediums entweder das russische Militär oder die russische Regierung, Putin persönlich oder ganz allgemein "die Russen".
Seit dem Nachmittag des 2. April weiß "die Weltgemeinschaft": Zweifellos hat ein weiteres Kriegsverbrechen historischen Ausmaßes stattgefunden. Man weiß eigentlich nichts Genaues, aber dennoch ist alles vermeintlich ganz eindeutig und unwiderlegbar. Sollte sich da eine "Menschenrechtsorganisation" wie Human Rights Watch (HRW) in einer finalen Beurteilung nicht eher behutsam und bedacht an solch ein Ereignis herantasten, gemäß der historischen Erkenntnis "Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit"? Der europäische Mediendirektor von Human Rights Watch mit Sitz in Brüssel, Andrew Stroehlein, wusste dagegen bereits am 4. April eindeutig und wertend mitzuteilen:
"Falls Sie gestern unseren neuen Bericht über die Ukraine verpasst haben ... Bucha [Butscha] ist nur die Spitze von Russlands Eisberg der Kriegsverbrechen ..."
Die Redewendung von der "Spitze des Eisbergs" soll nur "einen kleinen Teil des großen Ganzen" andeuten, der auf den ersten Blick zu erkennen ist. Nicht dem detaillierten, dem genauen, sondern dem ersten Blick. Abseits des Sichtbaren verbirgt sich laut der Redewendung "ein noch viel größerer Bereich".
Bevor die Menschenrechtsorganisation hier noch etwas genauer beleuchtet wird, jetzt zunächst erst einiges zu dem veröffentlichten Bericht von HRW. Der Spiegel titelte am 3. März: "Hinrichtungen in der Ukraine. Human Rights Watch veröffentlicht Beweise für mutmaßliche Kriegsverbrechen." Die Anmoderation stellt für den Spiegel-Leser bereits klar, dass HRW "zahlreiche Vergehen russischer Soldaten in der Ukraine" dokumentiert habe. Ist HRW also mit eigenen Mitarbeitern vor Ort gewesen? Woher resultiert das Wissen, das Material zur finalen eindeutig und unmissverständlich wertenden Berichtsveröffentlichung?
Hugh Williamson, Direktor für Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch, wird in dem Bericht mit den Worten zitiert: "Die von uns dokumentierten Fälle stellen unsägliche, vorsätzliche Grausamkeit und Gewalt gegen ukrainische Zivilisten dar. Vergewaltigung, Mord und andere Gewalttaten gegen Menschen im Gewahrsam der russischen Streitkräfte sollten als Kriegsverbrechen untersucht werden." Wie muss man sich die Untersuchung in einem aktiven Krisen- und Kriegsgebiet als Laie vorstellen? Der Zeitraum wird in der Veröffentlichung eindeutig benannt, der 27. Februar bis zum 14. März 2022. Zum Thema der genutzten Aussagen und Quellen heißt es in dem Bericht:
"Human Rights Watch befragte 10 Personen, darunter Zeugen, Opfer und Anwohner der von Russland besetzten Gebiete, persönlich oder per Telefon. Einige Personen baten darum, nur mit ihren Vornamen oder zu ihrem Schutz mit Pseudonymen genannt zu werden."
Unter dem Punkt "Detaillierte Ergebnisse" finden sich genauere Angaben zu den Aussagen der von HRW kontaktierten Zeugen. So heißt es: "Draußen standen drei Männer, zwei [russische] Soldaten und ein Kommandant", sagte sie. "Sie nahmen mein Telefon und überprüften es, dann sagten sie mir, ich solle meine [Ausweis-]Dokumente holen und mit ihnen kommen." Und etwas später heißt es:
"Sie (die Zeugin) sagte, dass die Soldaten etwa 40 Personen auf den Platz brachten, die Telefone aller einsammelten, die Dokumente überprüften und fragten, wer in der Territorialverteidigung oder den lokalen Selbstverteidigungseinheiten sei."
Wie die Kontakte zustande kamen, wer sie herstellte und gegebenenfalls für die "Recherchen" Telefone zur Verfügung stellte, wird in dem Bericht nicht erwähnt.
Human Rights Watch – neutral oder weisungsgebunden?
Im Rahmen der Coronakrise wurde und bleibt bis heute die vermeintliche Neutralität und Unabhängigkeit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter Bezugnahme auf deren wohlbekannte Unterstützer und Geldgeber ein fortdauerndes gesellschaftliches Politikum. Der Hauptsitz von Human Rights Watch befindet sich in New York. Die Organisation verfügt über Büros in Berlin, Brüssel, Chicago, Genf, Johannesburg, London, Los Angeles, Moskau, Paris, San Francisco, Tokio, Toronto und Washington, D.C. Wer finanziert eigentlich Human Rights Watch? Dazu heißt auf der Webseite von HRW:
"Human Rights Watch ist eine unabhängige Nichtregierungsorganisation, die durch Spenden von Privatpersonen und Stiftungen aus der ganzen Welt unterstützt wird. Um diese Unabhängigkeit zu wahren, nehmen wir weder direkte noch indirekte Spenden von Regierungen an."
Am 7. September 2010 heißt es auf der Seite der Organisation:
"George Soros spendet 100 Millionen US Dollar an Human Rights Watch. Der Philanthrop und Geldgeber George Soros hat heute bekannt gegeben, dass er in den nächsten zehn Jahren 100 Millionen US$ an Human Rights Watch spenden wird. Die Gelder der Open Society Foundation sollen zur Ausweitung und Vertiefung der globalen Arbeit von Human Rights Watch verwendet werden, um wirksamer die Menschenrechte weltweit zu schützen und zu fördern. Es ist der höchste Betrag, den Soros jemals an eine Nichtregierungsorganisation vergeben hat."
Dies bedeutete, seit 2010 konnte HRW jedes Jahr (mindestens bis zum Jahr 2020) schon fest 10 Millionen US-Dollar jährlich einplanen. Wie auch bei der fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen der WHO und Bill Gates, stellt sich jedoch hier ebenso die Frage: Gab es im Zuge solcher Überweisungen keinerlei Erwartungshaltungen seitens des großzügigen Spenders? (Auch Bill Gates spendete übrigens im Jahr 2018 die – wenn auch für seine Verhältnisse läppische – Summe von 200.000 Dollar an HRW). Doch, gewisse Erwartungen gab es, nachzulesen auf der Webseite von HRW:
"Die Voraussetzung für die Spende ist, dass Human Rights Watch, das keine Regierungsgelder annimmt, zusätzlich 100 Millionen US Dollar durch private Spenden einwirbt. Dazu muss Human Rights Watch innerhalb von fünf Jahren sein Jahresbudget von 48 Millionen auf 80 Millionen US$ erhöhen."
Die Vorgabe scheint umgesetzt worden zu sein, da keinerlei Nachrichten existieren, die darüber berichteten, dass Soros sein Geld zurückhielt. Wie funktioniert so eine eingeforderte Geldakquise? Ein Beispiel findet sich im März des Jahres 2021. In Australien, dem Land mit einem der härtesten Regime von Maßnahmen und Strategien in der weltweiten Coronakrise, lud HRW-Australien zu einem Event mit folgender Verlautbarung:
"Human Rights Watch lädt Sie ein, ein intimes Abendessen für zehn Personen in einem der besten Restaurants von Melbourne für das Melbourne Voices for Justice Dinner 2021 auszurichten."
Die Ticketpreise betrugen: "1. Tisch-Gastgeber-Paket 'Vorsitzender HRW': 25.000 AUD (australische Dollar), 2. Tisch-Gastgeber-Paket 'Stiftung Sponsor': 15.000 oder 6.000 AUD, alle weiteren Tickets 600 AUD."
Hat HRW eventuell doch nachweisbare oder gar auffällige Nähe zu Regierungen oder politischen Amtsträgern? So heißt es in einem Artikel in der Welt aus dem Jahre 2009, also noch ein Jahr vor der Großspende von George Soros:
"Kritik an Menschenrechtsorganisation – Die New Yorker Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) ist ins Gerede gekommen: Die Gruppe, die häufig Israel kritisiert, hat offenbar finanzielle Unterstützung aus Saudi-Arabien erhalten, einem Land, das autoritär nach islamischen Grundsätzen regiert wird. Sarah Leah Whitson, HRW-Direktorin für Nahost, bereiste Saudi-Arabien als Teil einer Delegation und hielt eine Rede, in der sie um finanzielle Unterstützung gegen 'proisraelische Gruppen in den USA, der EU und den UN' bat."
Die New Yorker Menschenrechtsorganisation bestritt damals die Vorwürfe. Es habe sich "um einen privaten Empfang gehandelt, der von einem saudi-arabischen Geldgeber ausgerichtet worden sei", so Kenneth Roth, der Geschäftsführer von Human Rights Watch, laut dem Welt-Artikel. Im Mai des Jahres 2014 erhielt Roth einen offenen Brief der Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel (1980) und der Irin Mairead Maguire (1976) sowie von mehr als einhundert US-amerikanischen und kanadischen Akademikern, in dem sie die Nähe von HRW zur Regierung der USA – u. a. in Form des "Drehtürsystems" zwischen Human Rights Watch und der US-Regierung kritisierten und die Organisation aufforderten, diesen Zustand zu beenden. Der Vorwurf an HRW lautete, dass "die engen Beziehungen der Organisation HRW mit der Regierung der Vereinigten Staaten" deren "Unabhängigkeit in Frage stellen" würden. Der Brief listet bezogen auf Personalien von HRW zu jener Zeit genauere Details zur Begründung dieses Vorwurfs auf:
- Tom Malinowski, leitender Direktor von HRW in Washington, arbeitete zuvor als Sonderberater von Bill Clinton. Außerdem war er Redenschreiber von Außenministerin Madelaine Albright.
- Susan Manilow, Vizepräsidentin des Vorstandes von HRW, beschreibt sich selbst als eine "alte Freundin von Bill Clinton". Sie sei "sehr engagiert" in seiner Partei und habe in Dutzenden von Veranstaltungen für das Nationalkomitee der Demokratischen Partei "als offizielle Gastgeberin fungiert".
- Gegenwärtig besteht das Beraterkomitee von "HRW Amerika" aus Myles Frechette, früherer Botschafter der USA in Kolumbien, und Michael Shifter, früherer Direktor der "Nationalen Stiftung für die Demokratie" (NED) in Lateinamerika, die von der US-Regierung finanziert wird.
- Miguel Diaz, Analytiker der CIA in den 1990er Jahren, arbeitete von 2003 bis 2011 als Berater der HRW-Amerikaabteilung. Heute ist Diaz im US-Außenministerium als "Vermittler zwischen der Geheimdienstgemeinde und den Experten aus Nichtregierungsorganisationen" tätig.
Zum Thema Kriegsberichterstattungen und daraus resultierenden Vorwürfen twitterte HRW am 25. Februar 2015: "Syrien wirft Fassbomben trotz Verbot ab." Das Problem dabei: die Organisation nutzte ein Foto für ihren Tweet, das nachweislich die Stadt Kobane zeigt.
Der Tweet-Text von HRW verwies als Beleg der Seriosität auf einen Artikel der New York Times (NYT), die zwar wiederum in ihrem Text auch Fassbomben thematisiert und das Bild eindeutig der Stadt Kobane zuordnet. Dazu heißt es jedoch in dem Artikel der NYT: "Die überwiegend kurdische Stadt Kobane ist nach monatelanger Belagerung durch islamistische Kräfte und Luftangriffen einer von den Vereinigten Staaten geführten Koalition verwüstet."
George Soros
Im Mai 2015 fragte Die Zeit in einer Überschrift: "Haben die Amis den Maidan gekauft? Die USA gaben in der Ukraine über Jahrzehnte Milliarden aus." Wer hielt sich nachweislich noch zu dieser Zeit in der Ukraine auf? George Soros. Im Januar 2015 schrieb Soros in einem Gastbeitrag für die die FAZ mit dem Titel "Helft der neuen Ukraine! Die junge, neue Ukraine braucht dringend unsere Hilfe". Der Beitrag beginnt mit folgender Erklärung: "Der Investor George Soros findet: Sanktionen gegen Russland sind zwar ein notwendiges Übel, aber keine echte Lösung." Soros selbst schreibt in seinem Gastbeitrag:
"...Die neue Ukraine wird von den Gebildetsten der bürgerlichen Gesellschaft gelenkt, jungen Leuten, von denen viele im Ausland studiert und nach ihrer Rückkehr abgelehnt haben, in Regierung und Geschäftswelt zu arbeiten, da ihnen beides unerträglich schien. Viele von ihnen fanden ihren Platz in akademischen Institutionen, Think-Tanks und staatsunabhängigen Organisationen. ...
Finanzhilfen sollten wir als Verteidigungsausgaben ansehen. Europa muss aufwachen und begreifen, dass es unter Angriff von Russland steht. Die Unterstützung der Ukraine sollte darüber hinaus als Verteidigungsausgaben der EU-Staaten angesehen werden."
Im Dezember 2015 berichtete die Sächsische Zeitung:
"Soros investiert in der Ukraine. Der Starinvestor versprach zum Jahresstart, 500 Milliarden in das angeschlagene Land zu stecken. Verteilt über zehn Jahre. Jetzt scheint er damit anzufangen."
Es kam zu nachweislichen Treffen zwischen George Soros und dem damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. In der Mitteilung aus dem September 2010 auf der Seite von Human Rights Watch heißt es: "Human Rights Watch ist eine der effektivsten Organisationen, die ich unterstütze", so Soros, Gründer und Vorsitzender der Open Society Foundation. "Menschenrechte sind die Grundlage unserer größten Hoffnung: Sie stehen im Zentrum von offenen Gesellschaften."
Im August 2017 twitterte Andrew Stroehlein als der europäische Mediendirektor von Human Rights Watch:
"Seien wir ehrlich: Mit der Komplizenschaft der USA und Großbritanniens begeht die saudische Regierung Kriegsverbrechen im Jemen."
Eine solche resümierende, wenn auch verzögerte Einschätzung (bereits 2015 begann der Krieg im Jemen) würde man sich in Anbetracht aller vorliegenden Beweise seitens Human Rights Watch auch für die Vergangenheit und die gegenwärtigen furchtbaren Ereignisse in der Ukraine wünschen. Am 4. April zitiert Stroehlein jedoch auf Twitter lediglich den Text einer Erklärung der Europäischen Union:
"Die russischen Behörden sind für diese Gräueltaten verantwortlich, die begangen wurden, als sie die tatsächliche Kontrolle über das Gebiet hatten. ... Die Täter von Kriegsverbrechen und anderen schweren Verstößen sowie die verantwortlichen Regierungsbeamten und Militärs werden zur Rechenschaft gezogen werden."
Erst die kommenden Wochen und Monate werden die tatsächliche Wahrheit an das Licht bringen, hoffentlich für die ganze Weltöffentlichkeit. Bis dato ist lediglich bekannt, dass die besagten Bilder aus den Straßen des Ortes Butscha am Nachmittag des 2. April auftauchten. Verlassen wurde der Ort von den russischen Truppen bereits einige Tage zuvor Ende März. Denn bereits am 31. März zeigte sich der Bürgermeister des Ortes in einem Video, in dem er verkündete, Butscha sei jetzt wieder ukrainisch. Kein Wort von ihm über Tote auf den Straßen der Kleinstadt, die gerade einmal 30.000 Einwohner vorzuweisen hat.
Am 31. März verkündete ein anderer Artikel auf der Seite von HRW: "Ukraine: Offensichtlicher Missbrauch von Kriegsgefangenen wäre ein Kriegsverbrechen. Video zeigt offenbar Kämpfer, die auf russische Kriegsgefangene schießen."
Immerhin, aber das relativierende "offenbar" kann auch "möglichweise" oder "dem Anschein nach" bedeuten. Die Nuance, die Wertung, der Ton sind dabei offensichtlich völlig andere. Überwiegende voreilige Wertungen und die Stimmung noch anheizende Vorverurteilungen kann sich eigentlich eine Organisation wie Human Rights Watch – wenn sie seriös sein will – nicht leisten, … außer ein finanzkräftiger Geldgeber sitzt der Geschäftsführung unmittelbar im Nacken. Daher stellt sich doch die nicht ganz unberechtigte Frage: Human Rights Watch – unabhängig und neutral im Ukraine-Konflikt?
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