Eine Analyse von Kaspar Sachse
Ein kompletter Ausschluss aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT gilt als härteste Sanktion des Westens gegen Russland. Bis vor wenigen Tagen wurde diese "finanzielle Nuklearwaffe", so der französische Finanzminister Bruno Le Maire, auch von US-Präsident Joe Biden ausgeschlossen.
Doch am Wochenende häufen sich die Stimmten namhafter deutscher Politiker, den Ausschluss zu forcieren. Aber es gibt ein Problem: Die ohnehin hart angezählte deutsche Industrie ist auf die Gas- und Öllieferungen wie kaum ein zweites EU-Land angewiesen, und gerade die ostdeutsche Wirtschaft ist eng mit der russischen verflochten. Diese stellt sich laut dem Handelsblatt bereits jetzt auf "erhebliche Rückschläge" ein.
Was ist SWIFT, und wer fordert den russischen Ausschluss?
Die Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication, kurz SWIFT, ist eine 1973 gegründete, in Belgien ansässige Organisation. Sie betreibt ein besonders sicheres Telekommunikationsnetz, das SWIFTNet, das von mehr als 11.000 Banken weltweit für Finanztransaktionen in über 200 Ländern an erster Stelle genutzt wird. Wer dort nicht dabei ist, hat ein Problem: So wurde bereits 2012 Iran aus dem Zahlungssystem ausgeschlossen – und ist seitdem stark isoliert, unter anderem, wenn es darum geht, sein Öl zu verkaufen.
Inwiefern die verantwortlichen Politiker die möglichen Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft, aber auch die Bevölkerung im wiederholt vorgeschobenen Kampf für "Freiheit", "Demokratie", "Menschenrechte" und den "Rechtsstaat" auch nur erahnen, bleibt abzuwarten.
Den Anfang einer möglichen wirtschaftlichen Eskalation machte am Freitag Finanzminister Christian Lindner beim Treffen der EU-Finanzminister. Er sagte:
"Wir haben scharfe Sanktionen beschlossen, die die russische Wirtschaft und bedauerlicherweise auch das russische Volk betreffen werden."
Weiterhin liegen "alle Optionen auf dem Tisch". Das beinhalte auch einen möglichen Ausschluss Russland aus dem SWIFT-Abkommen. Außenministerin Annalena Baerbock twitterte am Freitag:
"Mit dem heutigen Sanktionspaket machen wir Putin klar: der von ihm eingeschlagene Weg der Gewalt führt Russland in den wirtschaftlichen Ruin. Wir treffen Putin und seine Systemprofiteure, wir treffen den Banken- und Finanzsektor, wir treffen die Wirtschaft."
Baerbock stellte gleichzeitig heraus, dass ein russischer SWIFT-Ausschluss "massive Kollateralschäden" für die deutsche Wirtschaft, aber auch die Bevölkerung beim Thema Versorgungssicherheit zur Folge hätte. Sie äußerte sie sich mit Blick auf den Krieg in der Ukraine:
"Alles, was wir tun könnten, um diesen Wahn zu stoppen, würden wir tun. Aber ebenso müssen wir sehen, dass wir nicht Instrumente wählen, wo Putin am Ende drüber lacht, weil sie uns viel härter treffen."
Anders sehen das einige ihrer Parteikollegen: Der Nachfolger von Wirtschaftsminister Robert Habeck als Energieminister in Schleswig-Holstein, Jan Philipp Albrecht, sprach am Freitag von einer "massiven Fehlentscheidung". Und die ehemalige grüne Staatsministerin im Auswärtigen Amt Kerstin Müller stellte auf Twitter mit Fokus auf Habeck und Baerbock die Frage:
"Leider Swift nicht auf Liste- verhindert durch @Regierung17 @ABaerbock @Bundeskanzler und #Italien. [...] Wie kann das sein? Was muss noch passieren, damit ein durchschlagendes Paket von Maßnahmen beschlossen wird."
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz bekommt Kritik von allen Seiten: Nicht nur europäische Staatschefs wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron machen zunehmend den Weg für einen russischen SWIFT-Bann frei, auch die eigene Jugendorganisation der SPD fällt dem Kanzler in den Rücken. Sie twitterte am Samstag:
"Die Bundesregierung muss sich so schnell wie möglich dazu bekennen, gemeinsam mit den westlichen Partner*innen, Russland aus dem Zahlungsverkehrsdienstleister #SWIFT auszuschließen!"
Unterstützung erhält sie aus einem ganz anderen Lager: CDU-Politiker und Transatlantiker Norbert Röttgen teilt diese Position. Er schrieb ebenfalls am Samstag:
"Wenn die Bundesregierung jetzt weiter den Ausschluss Russlands von der #SWIFT blockiert, isolieren wir uns völlig. Das wird Europa und die Welt nicht so schnell vergessen!"
Wie reagiert Moskau?
In Moskau hat man dieses Szenario wohl eingeplant und Alternativen zu SWIFT in der Rückhand. Wie die Krone berichtet, muss der mögliche Komplettausschluss Russlands vom internationalen Bankennetzwerk nach Einschätzung von Wirtschafts- und Finanzexperten mittel- und langfristig nicht zu einer totalen finanziellen Isolation führen.
Der Russischen Föderation stünden im Bereich der Digitalwährungen Alternativen wie Bitcoin zur Verfügung, der bereits in El Salvador offizielles Zahlungsmittel ist, sagte Philipp Sandner von der Frankfurt School of Finance & Management. Auch ein Ausweichen auf den chinesischen E-Yuan steht im Raum. Ross Delston, Experte für die Einhaltung von Anti-Geldwäsche-Vorschriften, verrät ntv, dass Russland vermutlich gut vorbereitet sei:
"Wenn die Russen beschließen – und ich bin mir sicher, dass sie das bereits tun –, keine andere Währung als Kryptowährungen zu verwenden, können sie praktisch alle Sanktionen umgehen."
Was sind die Konsequenzen?
Es steht zu befürchten, dass der gesamte Handel zwischen dem Westen und Russland kollabieren könnte. Denn ein Ausschluss Russlands würde dafür sorgen, dass alle Zahlungen aus und nach Russland blockiert werden. Doch nicht nur Erdöl, Gas und Kohle werden in Deutschland im großen Stil importiert, auch die Getreidepreise könnten explodieren.
Ein SWIFT-Ausschluss wäre aber nicht nur für deutsche und russische Verbraucher, sondern auch für Banken und Unternehmen fatal. Doch das scheint vor allem die Transatlantiker in der Union nicht zu stören. Hatte CDU-Chef-Friedrich Merz noch am Freitag vor "massiven Rückschlägen" für die deutsche Wirtschaft als Folge einer SWIFT-Sanktion gewarnt, schrieb er am Samstag auf Twitter:
"Nach einem #SWIFT-Ausschluß Russlands können Energielieferungen aus #Russland gegebenenfalls auch in Zukunft noch bezahlt werden. Unsere hohe Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland ist deshalb kein tragfähiges Argument gegen diese jetzt notwendige Sanktion."
Und auch die Bundesregierung sprach sich wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine für eine "gezielte und funktionale" Einschränkung des internationalen Zahlungssystems SWIFT aus, wie ntv am Samstag berichtet. Demnach wird "mit Hochdruck" daran gearbeitet, wie eine Abkopplung Russlands von SWIFT so eingegrenzt werden könne, "dass sie die Richtigen trifft", erklärten Baerbock und Habeck unisono.
Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij hatte die EU bereits im Vorfeld dazu gedrängt, Russland neben den bereits beschlossenen harten Sanktionen gegen Moskau auch vom SWIFT-System komplett auszugrenzen. Eines steht fest: Nach der Corona-Krise, die finanziell noch lange nicht ausgestanden ist (Stichwort Inflation), wäre ein russischer SWIFT-Ausschluss der nächste Tiefschlag für die deutsche Wirtschaft. Und klar ist auch, wer neben den Unternehmen die Zeche bezahlen darf: deutsche Steuerzahler, Verbraucher und Sparer.
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