eine Analyse von Gert-Ewen Ungar
Der UN-Sicherheitsrat tagte am 31. Januar – auf Antrag der Vereinigten Staaten. Washington erhebt schwere Vorwürfe gegen Moskau. Russland würde massiv Truppen an die ukrainisch-russische Grenze verlegen, was nach Auffassung der US-Regierung einen aggressiven Akt darstellt. Washington fordert von Moskau, die innerhalb Russlands bewegten Truppen von der Grenze zurückzuziehen.
Für ihre Behauptung, die Truppen seien unmittelbar in Grenznähe stationiert und stellten daher eine direkte Bedrohung für die Ukraine dar, bleiben die USA die Beweise schuldig. Zu der unterstellten Absicht, ein benachbartes Land zu überfallen, gehört ohnehin mehr als eine bloße Präsenz von Truppen in Grenznähe. Die Versorgung der vorstoßenden Truppen muss gesichert werden, was einen erheblichen, logistischen Aufwand bedeutet, der sich belegen lassen würde. Weder für die Truppenpräsenz als solche noch für die damit verbundenen Unternehmungen legen die USA Beweise vor. Trotz dieser unbewiesenen Behauptungen schließen sich die westlichen Länder kollektiv der US-amerikanischen Sichtweise an. Das erstaunt angesichts der Tatsache umso mehr, dass die USA nachgewiesener- und zugegebenermaßen vor den Gremien der UNO mehrfach die Unwahrheit gesagt haben. Wobei diese Lügen dem Zweck dienten, militärisch in anderen Ländern zu intervenieren. Die USA lügen, um in ihrem machtpolitischen Interesse liegende Kriege zu legitimieren. Dass sie es tun, ist kein Geheimnis, sondern belegte Tatsache und kollektives Wissen weltweit.
Die Übernahme der US-amerikanischen Anschuldigungen durch die Länder der EU und NATO erfolgt also im besten Wissen um ihre Zweifelhaftigkeit. Dessen ungeachtet liefern westliche Länder auf Grundlage dieser fragwürdigen Behauptungen der Ukraine Waffen, entsenden Soldaten und sagen Unterstützung zu. Gerade mit diesen Akten der falsch verstandenen, weil den Konflikt eskalierenden Solidarität zeigen insbesondere die Länder der EU, zu wie wenig eigenständiger Politik sie fähig sind. Die Europäische Union ist nicht in der Lage, eigene politische Ziele für den europäischen Kontinent zu verfolgen. Schlimmer noch, sie ist noch nicht einmal in der Lage vor einem internationalen Gremium wie der UN diplomatische Akzente im eigenen, friedenspolitischen Interesse zu setzen. Die EU unterstützt vorbehaltlos die aggressive US-amerikanische Außenpolitik, im vollen Bewusstsein der Fragwürdigkeit der US-amerikanischen Argumentation. Die Länder der Europäischen Union sind in transatlantischer Gefolgschaft bereit, das Wohlergehen der eigenen Bevölkerung den machtpolitischen Interessen der USA unterzuordnen.
Auffallend an der Argumentation des Westens ist, dass die westlichen Nationen von Russland Deeskalation und Achtung internationaler Verträge fordern, die Minsker Abkommen aber unerwähnt lassen. Dabei ist Minsk II ein völkerrechtlich bindendes Abkommen. Frankreich verweist zwar auf das Normandie-Format, vermeidet dann aber von Minsk II und den darin verbindlich vereinbarten Schritten der Konfliktparteien zu sprechen.
Zwei Tage später bereits sagte der Sekretär des Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, Alexei Danilow, der Minsker Vertrag würde nicht umgesetzt. Das Abkommen müsse neu verhandelt werden.
Das Timing ist kein Zufall. Die westlichen Mitglieder des Sicherheitsrates haben zum Völkerrechtsbruch ermuntert und unterstützen diesen diplomatisch, indem sie die Minsker Vereinbarung in ihren Redebeiträgen unerwähnt lassen. Dieser Schwenk in der Außenpolitik der westlichen Länder hat sich bereits unter Außenminister Maas angekündigt. Ein von Russland veröffentlichter diplomatischer Notenwechsel bezeugt, dass Maas den völkerrechtlich bindenden Vertrag Minsk II aktiv hintertrieben hat und das Maßnahmenpaket neu verhandeln wollte. Hinter den Kulissen eskaliert der Westen den Konflikt weitaus stärker, als dies jede Truppenbewegung innerhalb Russlands je könnte.
In ihren Redebeiträgen machen die Staaten außerhalb des westlichen Bündnisses mit ihren Verweisen auf Minsk II deutlich, dass sie sich dem Völkerrecht weit mehr verpflichtet fühlen als die Staaten der NATO und der EU. Mit Blick auf die Ukraine und den beständig wiederholten Satz von der freien Bündniswahl verweist unter anderem China darauf, dass die Sicherheitsinteressen eines Landes nicht gegen die Sicherheitsinteressen eines anderen Landes verstoßen dürfen.
Pekings Position ist ohnehin bemerkenswert. Bisher vollkommen dem Prinzip der Neutralität und der Nichteinmischung verpflichtet, unterstützt China in dieser Sitzung ganz aktiv die russische Position. China und Russland rücken angesichts der Aggression des Westens gegen beide Nationen immer enger aneinander. Was das Argument der Freiheit der Bündniswahl angeht, werden wir demnächst vor Augen geführt bekommen, wie die USA diese Freiheit relativieren werden. Es zeichnet sich bereits eine engere sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen Russland auf der einen und Nicaragua, Venezuela und Kuba auf der anderen Seite ab. Auch der Iran und Venezuela vertiefen ihre Zusammenarbeit. Teheran liefert dem südamerikanischen Land nicht nur Drohnen, sondern baut dort waffentechnologische Produktionskapazitäten auf. Die USA werden diese Allianz vor der eigenen Haustür als ebenso bedrohlich erleben wie Russland die Präsenz der NATO unmittelbar an der russischen Grenze.
Indien erinnert ebenfalls an die Minsker Vereinbarung und fordert die Beachtung der Sicherheitsinteressen aller Kontrahenten – nicht nur die der Ukraine. Das nichtständige Mitglied des Sicherheitsrates Kenia identifiziert die Ukraine-Krise treffend als ein Problem zwischen USA und NATO einerseits sowie Russland andererseits. Kenia mahnt eine diplomatische Lösung an.
Wie schon Russland fordern auch die Vereinigten Arabischen Emirate mit Blick auf die rhetorische Eskalation der letzten Wochen einen Abbau von Hysterie und eine Rückkehr zur Sachlichkeit. Das schließt an den Vorwurf Russlands und Chinas an. Moskau und Peking sprechen mit Blick auf Washington von Megafon-Politik: viel Lärm um nichts. Lautstark werden Schuldvorwürfe gemacht, denen auf der Faktenebene nichts entspricht. Ein von den USA gut etabliertes Verfahren. Haltlose Anschuldigungen werden verbreitet und von westlichen Medien, Think-Tanks und NGOs bereitwillig wiederholt und somit verstärkt. Das ist aktuell genau das, was sich auch in den deutschen Medien abspielt. Vertrauenswürdiger macht das die beteiligten Medien und Organisationen natürlich nicht.
Insgesamt deutet die Sitzung des UN-Sicherheitsrates am 31. Januar 2022 auf einen zunehmenden Einflussverlust des westlichen Bündnisses hin. Mit der Abkehr vom vertraglich fixierten Völkerrecht und seiner Hinwendung zum diffusen und Konflikte fördernden Begriff der "regelbasierten Ordnung" beschädigt sich der Westen selbst. Mit der Instrumentalisierung von UN-Gremien und den dort vorgebrachten Falschinformationen zur Legitimierung aggressiver Handlungen machten sich die USA unglaubwürdig. Die westlichen Staaten halten dennoch an dieser Allianz fest. Der Westen marginalisiert sich, unterstützt von seiner schwindenden ökonomischen Stärke, dadurch selbst.
Der Sicherheitsrat zeigte in dieser Sitzung deutlich die Verschiebung der Kräfteverhältnisse in der Welt. Die NATO, die USA dominieren nicht mehr. Es gelingt den Vereinigten Staaten nicht mehr, mit ihren Vorträgen und vermeintlichen Beweisen die Staatengemeinschaft zur Unterstützung militärischer Interventionen zu bringen. Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Es ist zu hoffen, dass die Länder der EU diese Sicherheitsratssitzung gründlich analysieren und die notwendigen Schlüsse daraus ziehen werden. Eine Abkehr vom bedingungslosen transatlantischen Gehorsam ist dringend notwendig. Denn Frieden in Europa wird es nur ohne die USA geben, und nur mit Russland.
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