Die Zensur in den sozialen Medien schreitet weiter voran und betrifft mittlerweile sogar medizinische Fachzeitschriften. Betroffen ist unter anderem das medizinische Fachjournal British Medical Journal (BMJ), das sich als Reaktion auf das Vorgehen der Plattform nun mit dem Artikel "Facebook versus The BMJ: when fact checking goes wrong" schon zum zweiten Mal gegen Facebook wendet.
Was war passiert? Im November veröffentlichte BMJ einen investigativen Artikel, in dem Qualitätsmängel und mutmaßlich gefälschte Daten in den Phase-III-Tests für den COVID-19-Impfstoff von Pfizer thematisiert wurden (RT DE berichtete). Wer den Artikel jedoch auf seiner Facebook-Seite teilen möchte, riskiert eine Verwarnung von den sogenannten "Faktencheckern" des Konzerns. Einem israelischen Zahnarzt wurde sogar empfohlen, den in einer privaten Gruppe geteilten Artikel zu löschen, da sonst die Reichweite seines Accounts eingeschränkt werden könne. Auch weitere Leser des BMJ meldeten der Zeitschrift ähnliche Vorkommnisse. Demnach wurde der Investigativ-Artikel der Zeitschrift von Facebook als "teilweise falsch" gekennzeichnet.
Grund für die Zensur war die Einschätzung einer für Facebook arbeitenden "Faktenchecker"-Auftragsfirma, die dem BMJ-Artikel "Mängel" unterstellte. Die für den Faktencheck zuständige Firma Lead Stories gehört zu zehn Firmen, die für Facebook im US-Raum vermeintliche Fake News untersuchen. Einer Analyse zufolge war Lead Stories im vergangenen Jahr für die Hälfte aller "Faktenchecks" verantwortlich. Die im Auftrag Facebooks arbeitende Firma monierte, dass die Whistleblowerin Brook Jackson, durch die die Qualitätsmängel bekannt wurden, die Impfstoff-Daten in den klinischen Studien von Pfizer "schlechtmachen" würde und beruft sich dabei auf einen Pressesprecher des Pharmakonzerns. Des Weiteren würde Jackson die Corona-Impfungen "nicht uneingeschränkt unterstützen", heißt es in dem "Lead Stories"-Artikel, in dem das BMJ fälschlicherweise als "News Blog" bezeichnet wird.
Bereits zuvor hatte sich BMJ in einem offenen Brief an Mark Zuckerberg über das Vorgehen Facebooks beschwert. In diesem bezeichneten sie den Faktencheck als "ungenau, inkompetent und unglaubwürdig". Im Dezember erwiderte Lead Stories daraufhin in einem Artikel, dass die Whistleblowerin eine "unglaubwürdige Quelle" sei, sie habe sich außerdem auf Twitter skeptisch gegen die Impfkampagne in den USA geäußert. Später postete Lead Stories eine Serie aufhetzender Tweets, in dem der Fachzeitschrift in Sinne der "Kontaktschuld" vorgeworfen wird, der Artikel werde auch auf Impfgegner-Webseiten gepostet.
Der Vorfall ist allerdings nicht das erste Mal, dass Social-Media-Konzerne selbst seriöse Stimmen in der Wissenschaft zensiert: Erst im vergangenen Oktober wurde Cochrane, ein Analysenetzwerk für evidenzbasierte Medizin, auf Instagram für einen Zeitraum von zwei Wochen mit einem "Shadowban" versehen, das heißt, dass Beiträge, Kommentare oder Aktivitäten versteckt oder unkenntlich gemacht werden und nicht mehr in der Suche auftauchen. Nach einer Beschwerde wurde der ursprüngliche Zustand des Accounts dann wieder hergestellt, allerdings ohne zu begründen, wie es zu der Zensur gekommen war.
Die Vorfälle um den BMJ-Artikel reihen sich in eine Reihe zentraler Probleme der Corona-Berichtserstattung ein: Um gegen vermeintliche Fehlinformationen vorzugehen, fehlt den Plattformen die fachliche Kompetenz, daher folgen sie vor allem der Linie von Regierungen, Behörden und Konzernen. Dies hat zur Folge, dass selbst seriöse Stimmen der Wissenschaft zensiert wurden, wenn sie von dieser Linie abweichen. Bereits im offenen Brief kritisierten die Fachredakteure:
"Anstatt einen Teil der beträchtlichen Gewinne von Meta zu investieren, um die Richtigkeit der über die sozialen Medien verbreiteten medizinischen Informationen zu gewährleisten, haben Sie die Verantwortung offenbar an Personen delegiert, die für diese wichtige Aufgabe nicht geeignet sind."
Nun wandte sich das Medizinjournal sowohl an den Facebook-Mutterkonzern Meta, an Lead Stories und an das Internationale Faktenchecker-Netzwerk IFCN und kritisierte neben der Zensur des Artikels, dass auch die "Faktenchecker" einer Kontrolle unterliegen sollten. Bisher haben die Einwände jedoch wenig Erfolg gezeigt, der besagte BMJ-Artikel unterliegt auf Facebook weiterhin Einschränkungen. Kamran Abbasi, Chefredakteur des BMJ, schließt den Artikel mit den Worten:
"Wir sollten alle sehr besorgt darüber sein, dass Facebook, ein Multimilliarden-Dollar-Unternehmen, tatsächlich vollständig faktengeprüften Journalismus zensiert, der berechtigte Bedenken über die Durchführung klinischer Studien aufwirft. Die Maßnahmen von Facebook werden das BMJ nicht davon abhalten, das Richtige zu tun, aber die eigentliche Frage ist: Warum handelt Facebook auf diese Weise? Was treibt seine Weltanschauung an? Ist es Ideologie? Sind es kommerzielle Interessen? Ist es Inkompetenz? Die Nutzer sollten besorgt sein, dass Facebook, obwohl es sich als neutrale Social-Media-Plattform präsentiert, versucht, unter dem Deckmantel der 'Faktenüberprüfung' zu kontrollieren, wie die Menschen denken."
Mehr zum Thema - Whistleblower: Gefälschte Daten in Pfizer-Zulassungsstudie