Iran ist keineswegs das einzige Land in der Region, das in den letzten Jahrzehnten zum Ziel von Sabotageakten wurde. Um Länder in der Region davon abzuhalten, nukleare Infrastruktur herzustellen, setzt sich der israelische Mossad seit Langem für eine umstrittene Strategie der "Prävention" ein, um damit die eigene "Überlegenheit" im Nahen Osten nicht zu verlieren. Dabei nahm seinerzeit Israel Berichten zufolge auch westliche Firmen ins Visier, die mutmaßlich in Atomprogramme der muslimischen Staaten im Nahen Osten involviert waren.
Aus einem am Sonntag in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ)veröffentlichten Bericht geht hervor, dass der israelische Geheimdienst Mossad hinter drei Anschlägen in der Schweiz und in Deutschland stecken könnte, die sich 1981 ereigneten und auf das Eigentum von Personen und Firmen abzielten, die am Verkauf von Dual-Use-Produkten (also solchen, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können) an Pakistan beteiligt waren. Die meisten Bestandteile, die man für die Urananreicherung braucht, zum Beispiel hochpräzise Vakuumventile, können auch für andere, zivile Zwecke verwendet werden. Viele dieser Lieferanten, vorwiegend aus Deutschland und der Schweiz, sollen seinerzeit millionenschwere Geschäfte mit Pakistan eingegangen sein: Leybold-Heraeus, Wälischmiller, Cora Engineering Chur, Vakuum-Apparate-Technik (VAT, mit dem Chefunterhändler Friedrich Tinner) oder die Metallwerke Buchs, um nur einige zu nennen.
Begleitet wurden solche Anschläge häufig von Telefonanrufen, bei denen Unbekannte weiteren Lieferfirmen auf Englisch oder in gebrochenem Deutsch drohten: "Der Anschlag, den wir gegen die Firma Wälischmiller verübt haben, kann auch Ihnen passieren." So wurde etwa auch das Sekretariat von Leybold-Heraeus eingeschüchtert. Siegfried Schertler, der damalige Inhaber von VAT, und sein Chefunterhändler Tinner wurden mehrmals auf ihren privaten Anschlüssen angerufen. Gegenüber der schweizerischen Bundespolizei gab Schertler zu Protokoll, dass der israelische Geheimdienst mit ihm Kontakt aufgenommen hätte. Das geht aus den Ermittlungsakten hervor, welche der NZZ nun erstmals vorliegen.
Der als Vater der pakistanischen Atombombe bekannt gewordene Nuklearwissenschaftler Abdul Kadir Khan war eine zentrale Figur im pakistanischen Atomprogramm. Khan, der im Oktober 2021 im Alter von 85 Jahren gestorben ist, arbeitete von 1972 bis 1976 für das Physical Dynamics Research Laboratory (FDO), einen Unterauftragnehmer der niederländischen Abteilung der Urenco-Gruppe, die Zentrifugen zur Urananreicherung baute. Dort bekam er dank nachlässiger Sicherheitsmaßnahmen Zugang zu den fortschrittlichsten Entwürfen für Zentrifugen zur Urananreicherung. Khan stahl Dokumente und Daten der Urenco-Gruppe und floh nach Pakistan. In Pakistan überzeugte er den amtierenden Premierminister Zulfikar Ali Bhutto, ein Nuklearprogramm zur Abwehr indischer Nuklearwaffen zu starten. Durch Zufall war im selben Jahr auch Arnon Milchan, ein israelisch-amerikanischer Filmproduzent und späterer israelischer Spion, in einen ähnlichen Diebstahl verwickelt. Milchan kaufte zusammen mit dem israelischen Geheimdienst Zentrifugen-Entwürfe eines deutschen Ingenieurs.
Die NZZ versucht nun in ihrem Bericht, eine Verbindung zwischen diesen Vorfällen Mitte der achtziger Jahre und dem Atomprogramm Irans herzustellen. In einem Hotel trafen sich 1987 eine Delegation der Iranischen Atomenergieorganisation (AEOI) und einige europäische Vertreter aus dem Netzwerk des pakistanischen Wissenschaftlers Khan. Am Verhandlungstisch sollen für das Netzwerk von Khan unter anderem zwei deutsche Ingenieure, Gotthard Lerch und Heinz Mebus, gesessen haben.
Wenige Monate nach dem ersten Treffen in Zürich boten laut NZZ die Vertreter des Khan-Netzwerkes in Dubai der iranischen Delegation eine Art "Starter-Kit" an. Es umfasste alles, was man zur Herstellung von hochangereichertem Uran braucht. Doch nach stundenlangen Beratungen zeigte sich die iranische Delegation wählerisch und verzichtete schließlich auf das All-inclusive-Angebot. Stattdessen kaufte sie einzig Kopien der gestohlenen Baupläne für die Gas-Ultrazentrifugen aus der Schmiede von Urenco.
Iran soll von Khan die Entwürfe und Pläne für Pakistans Zentrifugen, die als P1 und P2 bekannt sind, gekauft haben. Allerdings verfügt Iran inzwischen auch über neue, noch deutlich leistungsfähigere Zentrifugen, die das begehrte Uranisotop 235U um ein Mehrfaches schneller anreichern. Iranische Wissenschaftler bauten unter der Leitung von Prof. Mohsen Fachrisadeh, der unlängst durch Auftragsmörder des Mossad umgebracht wurde, ihre eigenen Zentrifugen und nannten sie den Berichten zufolge Ir-1 und Ir-2.
Die Zeitung berichtet, die USA seien seinerzeit mit Pakistans Versuchen unzufrieden gewesen, eigene Atomwaffen zu entwickeln, aber Washington hätte die Regierung in Islamabad nicht vor den Kopf stoßen wollen. Amerikanische Diplomaten versuchten zunächst, die Behörden in Bonn und Bern davon zu überzeugen, ihre Unternehmen am Verkauf von Dual-Use-Materialien an Pakistan zu hindern. Während VAT die Lieferungen an Khan schon früh eingestellt hatte, ließen sich laut NZZ andere Protagonisten selbst durch die Anschläge und die entsprechenden Drohungen nicht davon abbringen.
Der Historiker Adrian Hänni sagte gegenüber der NZZ, die Bombenanschläge auf deutsche und schweizerische Firmen wiesen alle Merkmale einer Geheimdienstoperation auf und ähnelten auffallend den Anschlägen zwei Jahre zuvor, die sich gegen Personen gerichtet hatten, welche angeblich am irakischen Atomprogramm beteiligt gewesen wären.
Um andere Länder in der Region davon abzuhalten, nukleare Infrastruktur aufzubauen, bediente sich der Mossad schon oft der Sabotageakte und Mordversuche. Erfolgreich war dieses Vorgehen selbst in Westeuropa beispielsweise im Falle von Yahya El Mashad, einem ägyptischen Atomwissenschaftler, der das irakische Atomprogramm leitete. Er wurde im Juni 1980 in einem Pariser Hotelzimmer ermordet. Für die Tat wird der Mossad verantwortlich gemacht. Die einzige Person, die den Wissenschaftler am Vorabend traf, war eine Prostituierte. Wenige Wochen später kam auch sie durch einen vorgeblichen Unfall ums Leben. Die israelische Luftwaffe zerstörte zudem im September 2007 in Syrien einen Reaktor zur Herstellung von Plutonium. Da Israel aber bisher nicht in der Lage war, Atomprojekte Irans gänzlich zu beenden, versucht das Land nun, die USA zu einem Angriff gegen Iran zu bewegen.
Mehr zum Thema - Iran simuliert Angriff auf israelische Atomanlage: Tel Aviv rudert im Streit um Atomdeal zurück