Bereits im Wahlkampf hatte er die Idee formuliert und, nach wochenlanger und gespannter Berichterstattung im Vorfeld, war es am Donnerstag nun so weit:
Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Joe Biden, versammelte Vertreter von über 100 Staaten zu einem zweitätigen virtuellen "Demokratie-Gipfel" – angesichts des Vormarsches autoritärer Staaten. Neben Regierungsvertretern sind auch Aktivisten, Wirtschaftsvertreter und andere Mitglieder der Zivilgesellschaft eingeladen.
Biden erklärte zum Auftakt des Gipfels, Autokraten nutzten repressive Praktiken "als effizienteren Weg zur Bewältigung der heutigen Herausforderungen". Im Gegensatz dazu, gelte es nun um so mehr für die eigenen "Werte" einzustehen. Dies sei "die entscheidende Herausforderung unserer Zeit".
"Als globale Gemeinschaft für Demokratie müssen wir für die Werte eintreten, die uns vereinen. Wir müssen für Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit eintreten, für Redefreiheit, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, für alle angeborenen Menschenrechte jedes Einzelnen."
Ohnehin hatte Biden nach seinem Amtsantritt angekündigt, dass er im Gegensatz zu Trumps "America First"-Politik sein Augenmerk wieder stärker nach außen richten werde. Doch auch zu Hause, in den USA, gelte es sich den demokratischen Herausforderungen zu stellen, erklärte Biden nun.
Und tatsächlich scheint es um das Vertrauen in die eigene demokratische Verfassung des nordamerikanischen Landes nicht allzu gut bestellt zu sein. Dies förderte zuletzt beispielsweise eine Erhebung der Harvard Universität zu Tage. Den Ergebnissen zufolge glaube nur ein Viertel der Befragten US-Amerikaner zwischen 18 und 29 Jahren, "dass die Demokratie in den USA so gut funktioniert, wie sie sollte". Und nur ein Drittel sei der Ansicht, "dass die Demokratie "gesund" oder "einigermaßen funktionstüchtig" sei.
Derweil sollen die Verteidigung der Demokratie gegen den Autoritarismus, die Bekämpfung der Korruption und die Förderung der Achtung der Menschenrechte die Hauptthemen des Gipfels bilden. All dies geschieht im Rahmen der nun von Biden angekündigten "Initiative für Demokratische Erneuerung" zur Stärkung von Demokratien weltweit. In seinen Ausführungen kündigte Biden nun an, bis zu 424 Millionen Dollar für Programme in der ganzen Welt in die Hand nehmen zu wollen, um – wie es heißt – unabhängige Medien ebenso zu fördern wie die Korruptionsbekämpfung.
"Angesichts der anhaltenden und alarmierenden Herausforderungen für die Demokratie und die allgemeinen Menschenrechte braucht die Demokratie überall auf der Welt Mitstreiter (champions)."
Die Europäische Union warf ein rund 1,5 Milliarden Euro schweres Programm in den Ring. Das Ziel: Die Stärkung von Menschenrechten, Demokratie und unabhängigem Journalismus weltweit.
International für Irritationen sorgte indes die eigenwillige Auswahl der geladenen Länder. Dass die "systemischen" Rivalen China und Russland keine Einladung erhielten, schien da noch die geringste Überraschung zu sein. Nur die wenigsten Experten dürften angesichts der zweitätigen Veranstaltung mit einem inklusiven Treffen gerechnet haben, um sich unvoreingenommen und auf Augenhöhe über demokratische Perspektiven und Herausforderungen auszutauschen, zu debattieren und dadurch Brücken zu bauen.
Chinesische Beobachter argumentierten angesichts dieser Tatsache, dass Washington durch die selektive Gästeliste "nur sein mangelndes Vertrauen in sein eigenes politisches System offenbart habe." Dies "beweise, dass die von den USA dominierte Veranstaltung überhaupt nicht demokratisch sei."
Die USA seien in keiner Weise dazu berechtigt, sich als "ein Verfechter (champion) der Demokratie" zu gebärden. Die US-Außenpolitik unter dem Vorwand der "Demokratie" weise seit langem eine schlechte Bilanz auf, zitieren die Global Times Shen Dingli, Professor am Institut für Internationale Studien der Fudan-Universität.
Und neben China und Russland waren auch weitere Staaten nicht erwünscht, darunter das NATO-Mitglied Türkei, "Schlüssel-Partner" wie Ägypten, aber auch Singapur, Vietnam, oder auch das EU-Land Ungarn. Dessen demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt Viktor Orbán hatte Biden während seines Wahlkampfes als "Schurken" bezeichnet. Dafür fand sich allerdings Polen auf der Gästeliste wieder, das zwar wegen der Untergrabung der Unabhängigkeit seiner Justiz und seiner Medien seit längerem in der Kritik steht, aber dennoch eingeladen wurde.
Doch auch Länder mit zweifelhafter demokratischer Reputation wie Irak und Pakistan konnten sich über eine Teilnahme freuen. Was abermals die Frage aufwirft, zu welcher Definition des Begriffs "Demokratie" bei der Auswahl der illustren Gästeschar wohl gegriffen wurde. Der russische und der chinesische Botschafter in den USA, Anatoly Antonow und Qin Gang, kritisierten den Gipfel in einer gemeinsamen Stellungnahme in der US-Publikation National Interest. Darin warfen sie den USA vor, eine "Mentalität des Kalten Krieges" zu pflegen, indem sie sich selbst die Befugnis erteilten, zu definieren, wer ein "demokratisches Land" sei und wer für diesen Status nicht in Frage komme.
"Dieser Trend widerspricht der Entwicklung der modernen Welt. Es ist unmöglich, die Gestaltung einer globalen polyzentrischen Architektur zu verhindern, könnte aber den objektiven Prozess belasten. China und Russland lehnen diesen Schritt entschieden ab."
Demokratie könne auf verschiedene Weise verwirklicht werden, und kein Modell sei für alle Länder gleichermaßen geeignet. "Ob der Weg eines Landes funktioniert, hängt davon ab, ob er den Gegebenheiten des Landes entspricht, dem Trend der Zeit folgt und zu wirtschaftlicher Entwicklung, sozialer Stabilität und Fortschritt sowie einem besseren Leben für die Menschen führt."
Kritiker erkennen hinter der exklusiven US-Gästeliste daher auch eher die Absicht, im Angesicht der wachsenden globalen Herausforderungen geopolitischer Natur Allianzen zu schmieden und sich der aktuellen Bündnisse zu vergewissern. Zumal das Weiße Haus es ablehnte zu erläutern, welchem Ratschluss die Auswahl der Gäste gefolgt sei. Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, ließ lediglich wissen, dass die Einladungsliste nicht als "Stempel der Zustimmung oder Ablehnung" gedacht gewesen sei.
"Es geht nur darum, eine Vielfalt von Stimmen, Gesichtern und Vertretern bei der Diskussion zu haben."
Zu den Staatsvertretern, denen die Ehre zuteil wurde am Gipfel zu partizipieren, zählte derweil auch der neue Bundeskanzler Olaf Scholz. Auch der SPD-Politiker äußerte sich ähnlich wie Biden und teilte auf dem Gipfel nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit, dass die demokratischen Werte weltweit unter zunehmendem Druck stünden. In der Mitteilung Hebestreits hieß es:
"Angesichts von zunehmendem Nationalismus und Rechtspopulismus sowie von Desinformationskampagnen und Hassrede müssen wir unsere eigenen demokratischen Institutionen nach innen und außen stärken."
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