In einem Gespräch mit RT DE erklärte die ehemalige österreichische Außenministerin Karin Kneissl, die mittlerweile unter anderem auch als Aufsichtsratmitglied des russischen Energiekonzerns Rosneft tätig ist, dass es, was die aktuelle Preisentwicklung auf dem Energiemarkt betrifft, absehbar war, "dass sich da etwas zusammenbraut".
Die Preisentwicklung habe verschiedene Gründe, so Kneissl. Zum einen seien die Bestände in den Erdgaslagern niedrig, zum anderen hätten auch die CO2-Zertifizierungen einen Einfluss auf die Preisentwicklung. Aber auch die fehlenden Investitionen in neue Erdgasfelder und in die gesamte Infrastruktur zeigten nun einen Effekt. Die ehemalige Außenministerin verwies in dem Gespräch auch darauf, dass "Erdöl- und Erdgaskonzerne in der EU, und nicht nur dort, seit Jahr und Tag unter einem sehr heftigen Druck, einem politischen Druck" stünden.
Als Beispiel nannte sie den Fall des Unternehmens Royal Dutch Shell, das von einem Gericht in Amsterdam zum Klimaschutz verpflichtet wurde. Der Ölkonzern muss seinen CO2-Ausstoß um 45 Prozent reduzieren. Doch letztlich gebe es eine Reihe von Gründen, warum es zu der Verteuerung auf dem Gasmarkt gekommen sei. Auch "starkes politischen Missmanagement" habe seinen Teil dazu beigetragen. Die EU-Kommission habe "hohe Ambition und sehr ehrgeizige Ziele", was die Klimapolitik betreffe, und die Energieunternehmen gerieten zunehmend unter Druck. Kneissl wörtlich:
"Das ist das große Dilemma, die Politik stellt Forderungen an die Firmen die diese Firmen in diesem Umfang teilweise nicht mehr wahrnehmen können."
Sie sei immer wieder erstaunt über die "Realitätsferne", wenn es um das Thema Energieversorgung gehe, gerade auch in Deutschland, so die ehemalige Politikerin. Auch unter sogenannten Experten. So wollten viele die Möglichkeit von großflächigen Stromausfällen nicht wahrhaben. Im Zusammenhang mit Nord Stream 2 verwies Kneissl darauf, dass die russischen Erdgasversorger, unter anderem Gazprom, als wesentlichster Energielieferant, ihre vertraglichen Bestimmungen erfüllen würden. Diese Bestimmungen seien in langfristigen Lieferverträgen festgelegt worden. Man dürfe in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, so Kneissl, dass "seit Jahr und Tag diverse EU-Regierungen, aber auch das EU-Parlament den umfassenden Ausstieg aus russischem Erdgas- und Erdöllieferungen forderten".
"Befüllung geht nicht über Nacht"
So habe das Europäische Parlament erst vergangene Woche wieder eine Resolution verabschiedet, in der mit Sanktionen gedroht werde, "sollte weiterhin mit Russland in Sachen fossiler Energie paktiert werden". Auch gebe es immer wieder Forderungen, Russland aus dem Swift-System rauszuwerfen. Im Hinblick auf den langen Genehmigungsprozess von Nord Stream 2 sprach sich die ehemalige Außenministerin für ein schnelleres Verfahren aus. "Ein Vorziehen sei wahrscheinlich erforderlich", so Kneissl, "weil der Winter vor der Tür steht". Es sei wichtig, so früh wie möglich die Befüllung in Angriff zu nehmen. Der bürokratische Schritt sei das eine, die technischen Vorgänge für die Befüllung des dritten und vierten Stranges eine andere. Dies könne nicht "über Nacht geschehen".
Generell attestierte Kneissl in dem Gespräch mit RT DE der EU, aber auch den USA eine "gewisse Naivität" in der Energiepolitik. Das zweifellos sehr wichtige Thema Klimawandel und Umwelt überschatte alle anderen Fragen der Klimapolitik. Dabei, so Kneissl, können man Energiepolitik nicht von Klimapolitik trennen, "das geht Hand in Hand, das eine kann das andere nicht dominieren". Es brauche vielmehr auch eine Energiepolitik, "die so wichtige Aspekte wie Versorgungssicherheit, vernünftige Preise und langfristige Vorhersehbarkeiten für die Kunden ermöglicht", so die Ex-Außenministerin weiter. Und das fehle gegenwärtig.
Nicht nur die hohen Preise seien brisant, die auch soziale Unruhen hervorrufen könnten, es gehe "natürlich auch um die Frage, großflächiger Stromausfall", dass sei nicht von der Hand zu weisen. Viele hätten immer noch "diesen naiven Glauben", der Strom komme einfach aus der Steckdose. Kneissl verwies in diesem Zusammenhang auch darauf, dass zum Beispiel das deutsche Stromnetz, um fit genug für die sogenannte E-Mobiliät zu werden, um mindestens 25 Prozent erweitert und umfassend erneuert werden müsste.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) habe dies bereits vor zehn Jahren, damals noch als Kanzleramtsminister, mit einer Billion Euro, also im Englischen Maß "one trillion", veranschlagt. Doch bislang seien derartige Beträge nicht in die Infrastruktur investiert worden.
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