Eine Analyse von Glenn Diesen
Russland befindet sich in einem weiteren Disput mit einem US-Technologieunternehmen. Diesmal ist es Youtube, das zwei der deutschsprachigen Nachrichtenkanäle von RT abgeschaltet und dadurch eine wütende Reaktion aus Moskaus höchsten Regierungskreisen provoziert hat.
Die Entscheidung, von der angenommen wird, dass sie aufgrund von Vorwürfen getroffen wurde, der Sender habe versucht, eine temporäre Sperrung wegen eines Verstoßes gegen die "Community-Standards" zu umgehen – angeblich wegen "medizinischer Fehlinformationen" in Zusammenhang mit COVID-19 – hat dazu geführt, dass sich Russlands Medienaufsichtsbehörde hinter RT DE und seinem Schwester-Konto Der Fehlende Part gestellt hat.
Roskomnadsor, die für die Überwachung der Medien zuständige russische Bundesbehörde, warnte Google, die Eigentümerin von Youtube, man werde eine Geldstrafe verhängen, wenn die Schließung der beiden Kanäle nicht rückgängig gemacht wird. Gleichzeitig warnte die Chefredakteurin der RT-Gruppe, Margarita Simonjan, dass dies "eine mediale Kriegserklärung Deutschlands gegen Russland" sei, und plädierte für Vergeltungsmaßnahmen gegen deutsche Medien, die in Russland operieren.
Die Zunahme der Zensur im Westen
Man muss die Schließung der Youtube-Kanäle des deutschsprachigen RT-Ablegers im Zusammenhang mit der zunehmenden Zensur im Westen und der Feindseligkeit gegenüber Medien aus Russland betrachten.
Zensur hat in den vergangenen Jahren eine Anzahl neuer Begriffe hervorgebracht, mit dem Aufkommen von Konzepten wie "Safe Spaces" (Sichere Umgebungen), "Cancel Culture" (die Kultur des sozialen Ausschlusses von Personen oder Organisationen) und "De-Platforming" (der Ausschluss von Personen oder Organisationen aus sozialen Medien), die Synonyme dafür sind, bestimmen zu wollen, was man sagen darf und was nicht. Begriffe wie "Hassrede" und "Propaganda" werden immer lockerer definiert, wodurch Zensur auf einer breiteren und widersprüchlicheren Grundlage stattfinden kann. Die US-Regierung arbeitet dabei Hand in Hand mit den privaten Technologiegiganten, um Zensur über die "Community-Standards", also die Richtlinien der Gemeinschaft einer sozialen Plattform, neu zu definieren.
Vor allem die Bemühungen um die Legitimation der Zensur von Nachrichten und Medien im Zusammenhang mit Russland, die in der Regel unter dem Deckmantel der "Gegenpropaganda" betrieben wird, werden immer intensiver. Wir werden ständig darüber informiert, dass Russland eine "Desinformations- und Propagandakampagne" gegen den Westen reitet, um dessen Demokratie zu untergraben. Die Antwort westlicher Regierungen auf diese angebliche Bedrohung ist eine entschlossene Kampagne einseitig ausgerichteter "Faktenprüfer" und Bemühungen, den vermeintlichen "Propagandisten" mit "Gegenpropaganda" zu begegnen.
Das Problem ist, dass das, was als Gegenpropaganda formuliert wird, normalerweise nicht von Propaganda zu unterscheiden ist und die Argumente auf der anderen Seite lediglich untergräbt und ignoriert. Propaganda ist die Wissenschaft, ein Publikum ohne faktenbasierte Grundlagen von etwas zu überzeugen, indem man auf Gruppenpsychologie und emotionale Rhetorik zurückgreift. Wenn Propaganda bedeutet, "den Geist vor Argumenten zu verschließen", dann bedeutet die Bekämpfung von Propaganda, sich an die Vernunft zu wenden, indem objektiv konkurrierende Argumente präsentiert werden.
Der britische Philosoph Bertrand Russell ist dafür bekannt, dass er während des Kalten Krieges argumentierte, dass die Bekämpfung der kommunistischen Propaganda nicht nur eine Zensur erforderte, da ein solcher Schritt nur der britischen Propaganda Raum gäbe. Stattdessen stellte er sich als Gegenpropaganda die Zulassung aller Perspektiven vor, indem man beispielsweise eine Debatte zwischen Stalin und dem Erzbischof von Canterbury organisieren könnte.
Durch die Neudefinition von Propaganda als alles, was Russland in einem positiven Licht präsentiert, werden Debatten, die russischen Argumenten eine Plattform und Legitimität geben, als gefährlich angesehen und rufen daher nach einer Zensur. Gemäß dieser neuen Definition von Propaganda gelten sogar der russische COVID-19-Impfstoff Sputnik V und russische Zeichentrickfilme als Propaganda.
Es ist erst ein Jahr her, dass sich der Laptop-Skandal um Hunter Biden im US-Präsidentschaftswahlkampf entfaltete, bei dem angeblich enthüllt wurde, dass der heutige US-Präsident Joe Biden in korrupte Machenschaften mit der Ukraine und China verwickelt war. Aus Angst, dass diese Enthüllung dazu führen könnte, dass Biden die Wahl verliert, übernahm die Biden-Kampagne dasselbe Manuskript, das die Clinton-Kampagne bei Russiagate verwendet hatte: Russland ist schuld.
Indem man den gesamten Skandal als Kampagne russischer Desinformation brandmarkte, entschieden sich die Medien, nicht über die Angelegenheit zu berichten, während Social-Media-Plattformen die Geschichte kurzerhand von ihren Plattformen verbannten. Nun, letzte Woche wurden die Beweise vorgelegt – die belastenden E-Mails von Hunter Bidens Laptop waren absolut authentisch, und Moskau hatte absolut nichts damit zu tun. Ähnlich wie bei der Verschwörungstheorie, die den ehemaligen Präsidenten Donald Trump mit dem Kreml in Verbindung gebracht hatte, und der Geschichte, dass Russland bei den Taliban Kopfgelder auf US-Truppen in Afghanistan ausgelobt haben soll – all diese Desinformation entstammt aus westlichen Medien.
In vielen Fällen haben Mainstream-Medien Behauptungen verbreitet, die zur Zeit ihrer Aktualität unbegründet waren und mittlerweile völlig diskreditiert sind, ohne dass sie sich jemals berichtigt oder die Geschichten zurückgezogen hätten. US-Netzwerke wie MSNBC und CNN haben einige der ungeheuerlichsten und unwahrsten Verschwörungstheorien über die angebliche "Russland-Affäre" verbreitet. Leute wie Rachel Maddow von MSNBC, die sich kompromisslos für diese Verschwörungstheorien eingesetzt hatten, mussten in der Folge nie negative Auswirkungen auf ihre Karriere erdulden, und ihre sensationellen Behauptungen und kruden Theorien finden sich immer noch hochmütig und unwidersprochen im Netz. Verantwortlichkeit, so scheint es, ist etwas, das nur für andere Menschen reserviert ist.
Westliche Staaten begegnen angeblicher russischer Desinformation mit "Faktenprüfern". Das Problem ist, dass diese Faktenprüfer nicht wirklich Fakten überprüfen, sondern Narrative überprüfen, um ihre eigenen durchzusetzen, und somit als Ministerien der Wahrheit agieren.
Ein krasses Beispiel dafür ist, dass die "Faktenprüfer" der EU die Bezeichnung "Staatsstreich" im Zusammenhang mit den Ereignisse in der Ukraine im Februar 2014 als russische Desinformation bezeichnen, weil die westliche Behauptung lautet, die Ereignisse in der Ukraine seien Folge einer "demokratische Revolution" gewesen, und der ehemalige Staatschef Wiktor Janukowitsch habe sich deshalb entschied, das Land freiwillig zu verlassen.
Echte Faktenprüfer würden die objektive Fakten überprüfen:
Hat die OSZE die Wahl von Präsident Janukowitsch als frei und fair bezeichnet? – Ja.
Verstieß die Amtsenthebung Janukowitschs gegen die ukrainische Verfassung? – Ja.
Wurde der Sturz Janukowitschs von einer demokratischen Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung unterstützt? – Nein.
Haben die USA und die EU die Absetzung Janukowitschs unterstützt? – Ja.
Anstatt Fakten zu überprüfen, verwenden die "Faktenprüfer" mehrdeutige und widersprüchliche Begriffe wie "demokratische Revolution", um die russische Position zu delegitimieren. Somit senden diese "Faktenprüfer" ein unmissverständliches Signal an westliche Medien, dass sie nicht darüber debattieren können, inwieweit ein Staatsstreich in der Ukraine stattgefunden hat, da dies als Verbreitung russischer Desinformation angesehen werden kann.
Perspektivenvielfalt erfordert Medienvielfalt
Die Medienlandschaft polarisiert, national wie international. In den USA werden Liberale, die auf konservativen Medienplattformen auftreten, für ihre mangelnde Loyalität gegenüber dem Liberalismus gerügt. Innerhalb Europas polarisieren die Medien zwischen Pro-Brexit und Anti-Brexit oder zwischen Pro-EU und Anti-EU. Das Gruppendenken wird verstärkt, und die anschließende Polarisierung impliziert, dass die Nuancen verschwinden, wenn politische Fragen als Kampf zwischen Richtig und Falsch oder Gut und Böse formuliert werden. Mit dem Tod der objektiven Berichterstattung ist die Lösung für das Publikum, um informiert zu bleiben, eine Vielfalt von Medien – sowohl CNN als auch Fox News, sowohl The Daily Telegraph als auch The Guardian, sowohl Haaretz als auch Al Jazeera.
Die westlichen Medien handeln in Übereinstimmung mit einer starken antirussischen Voreingenommenheit, die das Bündnissystem und die Sicherheitsarchitektur eines geteilten Europas widerspiegelt. Wer sich für russische Politik interessiert, sollte sich keinesfalls auf RT als alleinigen Wahrheitsvermittler beschränken, aber RT ist ein wichtiger Beitrag in einer stark polarisierten Medienlandschaft.
Die westlichen Medien berichten außergewöhnlich schlecht über Russland, da sie aus ideologischen Gründen daran gehindert werden, russische Sicherheitsbedenken anzuerkennen. Alle politischen Fragen werden durch die vereinfachenden und veralteten binären Stereotypen "Demokratie" versus "Autoritarismus" gefiltert, die wenig oder gar nicht zum Verständnis der Komplexität von sozioökonomischen, politischen oder militärischen Konflikten beitragen.
Die Unfähigkeit zu erkennen, dass der Westen die russische nationale Sicherheit bedrohen könnte, macht eine vernünftige Analyse der russischen Außenpolitik unmöglich. Durch die Vernachlässigung externer Bedrohungen und die Beschränkung der Analyse Russlands auf seine internen Merkmale kann die russische Politik nur durch Bezugnahme auf Putin als kriegerische Persönlichkeit oder seine angebliche Sehnsucht nach dem Imperium erklärt werden.
Der Informationsraum wird zu einem zentralen Schlachtfeld in der Rivalität zwischen Großmächten, und im Interesse einer informierten Bevölkerung müssen wir hoffen, dass dem, was manche als Propaganda ansehen, mit Vernunft begegnet wird – nicht mit noch mehr Propaganda.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Übersetzt aus dem Englischen. Glenn Diesen ist Professor an der Universität Südost-Norwegen und Redakteur des Journals Russia in Global Affairs. Man kann ihm auf Twitter unter @glenn_diesen folgen.
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