Die Staats- und Regierungschefs der Welt kehrten am 21. September 2021 zum ersten Mal in der Ära der Pandemie zur jährlichen Versammlung der Vereinten Nationen zurück. Diese wurde mit einer scharf formulierten Warnung des Leiters der internationalen Organisation eingeleitet: "Ich bin hier, um Alarm zu schlagen: Die Welt muss aufwachen", warnte Guterres zum Beginn der 76. Generaldebatte der UN-Vollversammlung in New York.
"Wir stehen am Rande des Abgrunds und bewegen uns in die falsche Richtung. Unsere Welt war noch nie in größerer Gefahr und noch nie gespaltener. Wir stehen vor der größten Kaskade von Krise unserer Lebenszeit."
In seiner Rede zur Lage der Welt warnte Guterres, die Menschen könnten nicht nur das Vertrauen in ihre Regierungen und Institutionen verlieren, sondern auch in die grundlegenden Werte. Wenn sie sehen, dass ihre Menschenrechte beschnitten werden, dass Korruption herrscht, dass ihr Leben hart ist, dass ihre Kinder keine Zukunft haben, und "wenn sie sehen, wie Milliardäre ins All fliegen, während Millionen auf der Erde hungern."
Die ungleiche Verteilung von Impfstoff gegen das Coronavirus bezeichnete Guterres als “Obszönität”. “Eine Mehrheit der reicheren Welt ist geimpft. Aber mehr als 90 Prozent der Afrikaner warten immer noch auf ihre erste Dosis. Das ist eine moralische Anklage des Zustands unserer Welt.”
“Wir haben den Wissenschaftstest bestanden. Aber in Ethik sind wir durchgefallen.”
Die Welt stehe angesichts von Krisen wie der Pandemie und dem Klimawandel nicht genügend zusammen, beklagte der UN-Chef. "Anstelle von Demut angesichts dieser epischen Herausforderungen sehen wir Anmaßung. Anstelle des Wegs der Solidarität, sind wir in einer Sackgasse der Zerstörung." Trotzdem habe er noch Hoffnung, so Guterres weiter. "Die Probleme, die wir geschaffen haben, sind Probleme, die wir lösen können. Die Menschheit hat gezeigt, dass wir große Dinge erreichen können, wenn wir zusammenarbeiten."
Die Generaldebatte war 2020 aufgrund der Corona-Pandemie hauptsächlich in Form von vorab aufgezeichneten Video-Reden abgelaufen. In diesem Jahr sind hingegen über 100 Staats- und Regierungschefs wieder nach New York gereist. Wenn auch mit deutlich kleineren Delegationen. Der Rest der Vertreter der 193 Mitgliedsstaaten nimmt online teil. Am Mittwoch sprechen die Staats- und Regierungschefs Saudi-Arabiens, des Vereinigten Königreichs, Jordaniens, Venezuelas und der Ukraine bei der UN-Vollversammlung. Für Deutschland wird am Freitag Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Rede halten.
NATO-Generalsekretär beschwört Einigkeit
In einem Interview am Rande der UN-Generalversammlung sagte der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg der Nachrichtenagentur AP, dass sich die NATO-Mitglieder "auf das große Ganze" konzentrieren müssten. Stoltenberg wollte in dem Streit zwischen den USA und Frankreich um einen neuen Sicherheitspakt im Indopazifik samt Rüstungsdeals nicht Partei ergreifen.
Ein geplantes Außenministertreffen der USA mit Frankreich, Großbritannien und Deutschland am Rande der UN-Vollversammlung war aufgrund des anhaltenden Streits zwischen Paris und Washington geplatzt beziehungsweise verschoben worden. Eine ranghohe Mitarbeiterin des US-Außenministeriums ließ am Dienstagabend verlauten, es müsse sich zeigen, ob ein Treffen in diesem Format im Laufe der Woche noch stattfinden werde oder nötig sei. Sie erwarte aber, dass US-Außenminister Antony Blinken und sein französischer Amtskollege Jean-Yves Le Drian noch in dieser Woche die Chance haben werden, sich auszutauschen.
Der neue Indopazifik-Pakt hat zu einer tiefen diplomatischen Krise zwischen den USA und Frankreich geführt. US-Präsident Joe Biden, Australiens Regierungschef Scott Morrison und der britische Premier Boris Johnson hatten in der vergangenen Woche eine neue Allianz auf den Weg gebracht, die gegen China im Indopazifik gerichtet ist.
Stoltenberg hingegen forderte die Mitglieder des Verteidigungsbündnisses auf, "zusammenzustehen, die NATO weiter zu modernisieren und an neue Probleme anzupassen." Außerdem ging er auf einen Vorschlag zur Schaffung einer europäischen Bereitschaftstruppe von etwa 5.000 Mann ein und meinte, dies solle nicht "etwas sein, das außerhalb der NATO passiert."
"Jeder Versuch, das transatlantische Band zwischen Europa und Nordamerika zu schwächen, wird nicht nur die NATO schwächen, sondern auch Europa spalten", sagte er. "Wir haben eine Reihe von Streitkräften, und wir müssen das meiste für die NATO zur Verfügung stellen."
Frankreich dementierte inzwischen einen Bericht der britischen Tageszeitung The Daily Telegraph vom Mittwoch. Das Land habe nicht die Absicht, seinen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat im Austausch für die Schaffung einer europäischen Armee aufzugeben. "Nein, Frankreich hat nicht angeboten, seinen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen aufzugeben. Er gehört zu Frankreich und wird es auch bleiben", so das Büro von Präsident Emmanuel Macron.
Der NATO-Generalsekretär kündigte an, das Verteidigungsbündnis solle zwar weiterhin den Terrorismus bekämpfen, müsse aber "die Ziele jeder Mission sorgfältig durchdenken."
"Je mehr wir in der Lage sind, Länder zu stabilisieren, ohne Tausende von Soldaten in Kampfeinsätze zu schicken, desto besser", so Stoltenberg. Dabei ging er aber nicht darauf ein, wie die NATO diese Aufgabe künftig angehen wird. Immerhin hatten die bisherigen Einsätze eher gescheiterte Staaten hervorgebracht. Stellenweise hatten sie aber auch zu einer Zunahme des Terrorismus geführt, und nicht zuletzt auch zu einer Zunahme der Probleme, die der UNO-Generalsekretär eingangs angeprangert hatte.
Am 21. September 2020 hatte US-Präsident Joe Biden das NATO-Bündnis in seiner Rede vor der Generalversammlung als "heilig" bezeichnet und sich bemüht, trotz der Reibereien der letzten Monate eine Kehrtwende gegenüber dem "America first"-Ansatz des früheren Präsidenten Donald Trump in der Außenpolitik einzuleiten.
Derweil ist der brasilianische Gesundheitsminister Marcelo Quiroga nur wenige Stunden nach seiner Teilnahme an der UN-Vollversammlung in New York positiv auf das Coronavirus getestet worden. Da viele Mitglieder der brasilianischen Delegation nicht geimpft sind, durften sie nicht in New Yorker Restaurants essen und waren stattdessen gezwungen, ihre Pizzen auf dem Bürgersteig zu verzehren. Das berichtete die Nachrichtenagentur Reuters. Quiroga wurde allerdings beim Händeschütteln mit dem britischen Premierminister Boris Johnson gefilmt.
Mehr zum Thema - Brasilien: Oberstes Wahlgericht fordert Ermittlungen gegen Präsident Bolsonaro