Die Entscheidung der Bundesnetzagentur, dass der Nord Stream 2 AG auf deutschem Hoheitsgebiet kein Ausschluss von den ab Mai 2019 in Kraft getretenen Änderungen der EU-Erdgasrichtlinie zu gewähren sei, wurde vom Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigt, berichtet das Handelsblatt. Dem Unternehmen steht es frei, die Entscheidung vor dem Bundesgerichtshof als der nächsthöheren Instanz anzufechten.
Die EU-Gasrichtlinie und ihr Geltungsbereich seit den Änderungen
Die Änderungen (und das an sie angepasste deutsche Energiewirtschaftsgesetz) sehen vor, dass die EU-Binnenmarktregulierung Verbindungsleitungen auch zwischen Drittstaaten und den EU-Mitgliedsstaaten (im Übrigen auch in den Hoheitsgewässern der Letztgenannten) erfasst, erinnerte seinerzeit der Energate Messenger – und diese Marktregulierung wiederum verlangt ein sogenanntes Unbundling. Damit sollen für die Förderung, den Transport und den Vertrieb von Erdgas jeweils getrennte Unternehmen zuständig sein – dies könne, so Handelsblatt mit Verweis auf die Bundesnetzagentur, neben einem Verkauf auch durch getrennte Buchhaltung bewerkstelligt werden.
Ferner sollen 50 Prozent der Durchsatzkapazität zur entgeltlichen Buchung für Drittanbieter freigehalten sowie die Netzentgelte zur Festlegung durch die Netzagenturen betreffender EU-Staaten (in diesem Fall vor allem der deutschen Bundesnetzagentur) freigegeben werden. Von der Gasrichtlinie können für immerhin 20 Jahre Ausnahmen gemacht werden – hierfür jedoch muss die betreffende Erdgasleitung vor dem 23. Mai 2019 fertiggestellt worden sein.
Nord Stream 2 AG: Auslegung der EU-Gasrichtlinie durch Bundesnetzagentur diskriminierend
Die Beschwerde der Nord Stream 2 AG richtete sich nun gegen die Entscheidung der Bundesnetzagentur, für die Pipeline der Projektgesellschaft keine Ausnahme von der EU-Gasrichtlinie zu gewähren. Wohl war die Erdgasleitung selbst zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderungen nicht fertiggestellt (sie steht zum Redaktionszeitpunkt, also erst über zwei Jahre danach, kurz vor der Fertigstellung).
Doch der technische Aspekt der Fertigstellung sei nur einer von mehreren relevanten, argumentierten die Rechtsprofessoren der Universität Tübingen Martin Nettesheim und Stefan Thomas in einem Rechtsgutachten für die Nord Stream 2 AG. Die wirtschaftliche Fertigstellung sei nämlich genauso relevant und sei mit dem weitgehenden Abschluss der notwendigen Investitionen gegeben. Die Argumente des Gutachtens der beiden Rechtswissenschaftler, die im Fachblatt Oil, Gas & Energy Law Intelligence veröffentlicht wurden, gab der Energate Messenger wie folgt sinngemäß wieder:
"Nur durch eine solche weite Auslegung werde das EU-Rechtsprinzip des Vertrauensschutzes gewährleistet. Bei einer engen, technischen Auslegung des Begriffs Fertigstellung käme es zudem zu einer Diskriminierung zwischen Investoren, die solche Verbindungsleitungen betreiben und die ihre Investitionsentscheidungen getroffen haben. Diese müssten gleichbehandelt werden, argumentieren die beiden Professoren, unabhängig davon, ob die Leitung technisch schon in Betrieb ist oder nicht."
Hierauf gestützt, argumentiert die Projektgesellschaft Nord Stream 2 AG gegenüber der russischen Nachrichtenagentur Interfax, dass genau diese wirtschaftliche Fertigstellung zum Stichtag der Änderungen der EU-Gasrichtlinie längst vorgelegen habe:
"Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderungen am 23. Mai 2019 war die Pipeline vom Aspekt der finanziellen Versorgung her abgeschlossen. Auf den damals geltenden Rechtsrahmen gestützt hatte das Unternehmen Investitionen in Höhe von mehreren Milliarden Euro getätigt – lange bevor die Europäische Kommission ihren Plan zur Änderung der EU-Gasrichtlinie bekannt gab."
Damit seien die Wirkung der Änderungen der EU-Gasrichtlinie als solcher ebenso wie ihre Auslegung und die Auslegung des an sie angepassten Energiewirtschaftsgesetzes durch die Bundesnetzagentur im Falle von Nord Stream 2 diskriminatorisch – und mehr noch, absichtlich und spezifisch gegen Nord Stream 2 konzipiert. Allgemeiner gesehen würden dadurch auch Grundsätze des Investitionsschutzes verletzt:
"Am 15. Mai 2020 lehnte die Bundesnetzagentur den Antrag der Nord Stream 2 AG auf einen Ausschluss von den Regeln der EU-Gasrichtlinie ab, die im Jahr 2019 speziell für Nord Stream 2 geändert wurde. Die Nord Stream 2 AG stellt hiermit in den Raum, [...] rechtswidrig diskriminiert zu werden, da alle anderen Gasimportpipelines in die EU, in die vor Inkrafttreten der neuen Vorschriften Investitionen getätigt wurden, im Zusammenhang mit Änderungen der Gasrichtlinie Anspruch auf einen solchen [20-jährigen] Ausschluss genießen.
Die Ablehnung des Antrags von Nord Stream 2 auf eine Ausnahmeregelung zeigt die diskriminierende Wirkung der geänderten EU-Gasrichtlinie. [...] Mit der Ablehnung des Freistellungsantrags der Nord Stream 2 AG durch die Bundesnetzagentur am 15. Mai 2020 wird durch eine enge Auslegung des Begriffs 'abgeschlossen' versäumt, grundlegenden Prinzipien des Investitionsschutzes Rechnung zu tragen."
Über weitere Schritte im Zusammenhang mit der Ablehnung der Beschwerde vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf will die Nord Stream 2 AG die breite Öffentlichkeit rechtzeitig informieren, hieß es. An solchen Schritten steht der Projektgesellschaft der Gang zum Bundesgerichtshof offen, merkt das Handelsblatt an.
Daneben läuft vor dem Gerichtshof der Europäischen Union auch eine Begutachtung der Beschwerden gegen die Änderung der EU-Gasrichtlinie, die die Nord Stream 2 AG auf den Vertrag über die Energiecharta gestützt im Jahr 2019 dort einreichte. Auch ein im selben Jahr in Gang gebrachtes Schiedsverfahren gegen die Europäische Union wegen Verletzung dieses Vertrags, den diese mit den Änderungen beging, läuft noch.
Die Änderung der EU-Gasregelung betrifft den Bau der Pipeline keineswegs, erinnert das Handelsblatt. Vielmehr würden Strafmaßnahmen fällig, falls bei Beginn des kommerziellen Betriebs eine Nichteinhaltung der Gasregelung und der betreffenden Passagen des Energiewirtschaftsgesetzes vorliegen.
Eine Restrukturierung des Gazprom-Tochterunternehmens würde Zeit kosten, so eine Einschätzung der Analytiker bei der US-Presseagentur Bloomberg; der Markt habe mit einem Preiszuwachs von 2,5 Prozent (TTF) reagiert.
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