Die chaotische Evakuierung aus Afghanistan habe gezeigt, dass die USA auf ein solches Szenario "völlig unzureichend vorbereitet" waren, so der US-Journalist Jim Laurie in einem Interview mit RT. Nun sei es viel zu spät, und viele "verdiente Afghanen" blieben zurück. Die laufende Evakuierung von Ausländern und Einheimischen, die früher für die Besatzungstruppen arbeiteten, weise frappierende Ähnlichkeiten mit früheren Fehlschlägen des US-Militärs auf, sagte Laurie, der sowohl die Evakuierung aus Kambodscha als auch den Fall von Saigon an das kommunistisch regierte Nordvietnam im Jahr 1975 miterlebt hatte.
"Das panische Ende jedes dieser Kriege ähnelt sich sehr", so Laurie. Und er fügte hinzu, dass die USA dieses Mal offenbar völlig unvorbereitet waren.
"Es ist beunruhigend, es ist nur allzu bekannt. Es ist nicht leicht, einen 20-jährigen Krieg zu verlieren. Und jetzt hat Amerika in 50 Jahren zwei 20-jährige Kriege verloren."
Es sei beunruhigend, wenn man sehe, dass die USA in Kabul auf diese Art der Evakuierung anscheinend völlig unvorbereitet gewesen seien. Die Evakuierung aus Saigon sei wesentlich besser organisiert gewesen und habe im Gegensatz zu Kabul lange vor dem Fall der Stadt begonnen. Laut Laurie hat auch die seit 1975 viel strenger und komplizierter gewordene US-Bürokratie einen Anteil an der Misere. Zudem seien die südvietnamesischen Truppen in der Lage gewesen, einen gewissen Widerstand zu leisten, was ihnen Zeit und Raum für eine Evakuierung gegeben habe – im Gegensatz zu den afghanischen Streitkräften.
"Im Fall von Vietnam war Zeit. Die südvietnamesischen Truppen, die von den Amerikanern unterstützt wurden, kämpften 55 Tage lang weiter, und in einigen Fällen kämpften sie sehr gut. Es war also genug Zeit, um viele der Verbündeten, die das Land verlassen wollten und den Amerikanern gegenüber loyal waren, zu evakuieren."
Darüber hinaus sei die Evakuierung in Afghanistan aufgrund der eingeschlossenen Landlage noch schwieriger gewesen, während es in Vietnam möglich gewesen war, das Land auf dem Seeweg zu verlassen.
Doch, so Laurie weiter, ganz gleich, was die USA jetzt täten, sie könnten auf keinen Fall alle verdienten Afghanen aus dem Land bringen. Es gebe einfach nicht genug Zeit oder Ressourcen, um weit über den Flughafen von Kabul hinauszugehen. Über die genauen Ursachen des plötzlichen Zusammenbruchs des afghanischen Militärs, das in weniger als zwei Wochen praktisch nicht mehr existierte, könne nur spekuliert werden, aber wahrscheinlich habe es unter denselben Problemen gelitten wie andere von den USA unterstützte Truppen zuvor, erklärte Laurie in dem Interview.
"Ich denke, dass wir ein grundsätzliches Problem haben, das auch in Vietnam und Kambodscha auftrat, nämlich eine ausländische Armee auszubilden und zuverlässige Kommandeure zu haben."
Und er ergänzte:
"Normalerweise liegt das Problem – zumindest in Vietnam und Kambodscha – nicht bei den Fußsoldaten. Das Problem liegt in der Kommandostruktur und in der Frage, ob es in Afghanistan gute, starke und engagierte Kommandeure gab, die eine loyale Gefolgschaft hatten."
Er wies in diesem Zusammenhang auch auf die Korruption in Afghanistan hin. Laurie erwähnte auch Berichte über "Geistersoldaten", die nur auf dem Papier existierten, als etwas, das sowohl in Kambodscha als auch in Afghanistan ein Problem darstellte.
"Wir haben über Phantomarmeen gelesen. Ich fand es interessant zu sehen, dass es Zahlen von afghanischen Militärs gab, die nicht wirklich existierten. Das Gleiche war der Fall gewesen, als ich in Kambodscha gearbeitet hatte."
In Kambodscha habe es "Tausende" von Soldaten nur auf dem Papier gegeben. Ein weiterer Punkt, der zum endgültigen Scheitern des US-Militärs in Afghanistan beigetragen habe, sei die Tatsache, dass die USA in dem vom Krieg zerrissenen Land eine "Nationenbildung" nach ihrer eigenen Vorlage betrieben hätten – eine praktisch unmögliche Aufgabe, so Laurie. Der US-Einsatz in Afghanistan "hätte in vielerlei Hinsicht mit der Tötung Osama bin Ladens enden sollen", so der preisgekrönte Journalist weiter. Doch, so Laurie:
"Leider neigen die Amerikaner, wann immer sie in fremde Kriege verwickelt werden, dazu, das Land wieder aufbauen zu wollen, manchmal nach dem Vorbild und der Art und Weise, wie die Amerikaner denken, dass die Dinge sein sollten. Das ist der Punkt, an dem sie in den Sog geraten."
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