Nach Recherchen mehrerer Medienorganisationen, die Mitte Juli bekannt wurden, ist das Spionagetool Pegasus weltweit zum Einsatz gegen gut 180 Journalisten sowie Politiker eingesetzt worden. Der israelische Hersteller, die NSO Group, behauptet in seiner Selbstdarstellung, Pegasus diene zur Verfolgung von Schwerverbrechern und Terroristen. Doch die Recherchen der britischen Zeitung Guardian und 16 weiterer Medien deuten auf einen anhaltenden Missbrauch der Hacking-Spyware Pegasus hin, die es den Kunden ermöglicht, Gespräche sowohl auf iPhones als auch auf Android-Geräten mitzuhören, Kommunikation über vermeintlich sichere Messengerdienste mitzuverfolgen, Daten abzugreifen und beispielsweise selbständig die Kamera und das Mikrofon des Smartphones ein- und auszuschalten.
Die Medienberichte beziehen sich auf eine geleakte Liste mit 50.000 Telefonnummern von 180 Journalisten, Politikern und anderen Zielen in 20 Ländern, darunter Bahrain, Marokko, Saudi-Arabien, Indien, Mexiko, Ungarn, Aserbaidschan, Europa, Togo und Ruanda. Die an der Auswertung der Daten Beteiligten wiesen darauf hin, dass eine Telefonnummer auf der Liste nicht zwangsläufig bedeutet, dass ein Mobiltelefon mit Pegasus infiziert oder Gegenstand eines versuchten Hacks war, gehen aber davon aus, dass die Daten Schlüsse darauf zulassen, welche Ziele die Kunden von NSO für mögliche Spionageangriffe identifiziert haben.
Die in Paris ansässige gemeinnützige Medienorganisation Forbidden Stories und Amnesty International hatten zuerst Zugang zu der Liste und teilten ihre Erkenntnisse dann im Rahmen des Pegasus-Projekts in einem Recherchekonsortium. Zwar lässt sich das mutmaßlich gezielte Abhören von Politikern und Journalisten nur schwer mit der Massenabhörung durch den US-amerikanischen Geheimdienst NSA vergleichen, doch vermutlich wird es auch wie bei dem von Edward Snowden aufgedeckten Abhörskandal bei Entrüstung und verbalen Verurteilungen bleiben. Nach neuen Medienenthüllungen hat die Pariser Staatsanwaltschaft eine Untersuchung eingeleitet. Dabei geht es unter anderem um den Vorwurf der betrügerischen Gewinnung und Weitergabe von Daten. Auch ein Angriff auf die Privatsphäre sei Thema.
Es wird untersucht – und dann?
Auch in Deutschland gab es nach den Enthüllungen Snowdens im Jahr 2013 eine Untersuchung. Immerhin soll unter anderem das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört worden sein. Im Jahr 2017 erklärte die Bundesanwaltschaft dann, keine konkreten Hinweise auf Spionage des US-Geheimdienstes NSA in Deutschland gefunden zu haben. Die Bundesanwaltschaft hatte untersucht, ob britische und US-Geheimdienste massenhaft Telekommunikationsdaten der deutschen Bevölkerung erhoben hatten. Die Behörde sah zum Abschluss ihres Berichts keinen Raum für weitere staatsanwaltschaftliche Untersuchungen.
Schon am 16. August 2013 hatte der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich die NSA-Affäre in einem Interview mit der Rheinischen Post für beendet erklärt. Friedrich sagte gegenüber der Zeitung: "Alle Verdächtigungen, die erhoben wurden, sind ausgeräumt." Es handele sich bei der Snowden-Affäre um
"falsche Behauptungen und Verdächtigungen, die sich in Luft aufgelöst haben. (…) Wir können sehr zufrieden und auch sehr stolz darauf sein, dass unsere Nachrichtendienste bei unseren Verbündeten als leistungsfähige, bewährte und vertrauenswürdige Partner gelten."
Auch weitere Enthüllungen von WikiLeaks im Jahr 2015 – unter anderem wurde demnach fast die gesamte französische Regierung inklusive der Präsident von der NSA abgehört – blieben ohne Konsequenzen. Nachdem es im Mai dieses Jahres neue Erkenntnisse aus Dänemark gab, laut denen der dänische Geheimdienst dem US-Geheimdienst NSA dabei geholfen hat, Kanzlerin Merkel und andere europäische Spitzenpolitiker abzuhören, passierte ebenfalls wenig. Der dänische Auslands- und Militärgeheimdienst Forsvarets Efterretningstjeneste (FE) soll der NSA die Nutzung der geheimen Abhörstation Sandagergardan in der Nähe von Kopenhagen ermöglicht haben, berichteten der Dänische Rundfunk und weitere Medien.
Laut den Medienberichten nutzte die NSA in den Jahren 2012 bis 2014 dort einen wichtigen Internetknotenpunkt, um verschiedene Unterseekabel anzuzapfen. Die Abhöraktion habe sich laut den Berichten gegen führende Politikerinnen und Politiker aus Deutschland, Schweden, Norwegen, den Niederlanden und Frankreich gerichtet. In Deutschland soll dies neben Merkel und dem heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) auch den damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück betroffen haben.
Die Bundesregierung hatte den Medienberichten zufolge offenbar keine Kenntnis über die Bespitzelung führender Regierungsmitglieder. "Der Gegenstand Ihrer Recherche ist der Bundeskanzlerin durch Ihre Anfrage bekannt geworden", sagte ein Regierungssprecher. Darüber hinaus wolle man sich nicht äußern. CDU-Politiker Patrick Sensburg, im Jahr 2014 Leiter des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag, zeigte sich wenig überrascht. Man müsse das System von Nachrichtendiensten verstehen, so Sensburg gegenüber der ARD.
"Es geht hier nicht um Freundschaften. Es geht hier nicht um moralisch-ethische Ansprüche. Es geht darum, Interessen durchzusetzen."
Snowden hingegen sah sich durch die neueste Entwicklung bestätigt. In einem Tweet warf er der Bundesregierung indirekt eine politisch motivierte Entscheidung der Bundesanwaltschaft von 2017 vor. Er schrieb: "Schauen Sie zurück auf diese Geschichte und fragen Sie sich, ob diese Entscheidung frei von politischem Einfluss war."
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