Gaza: Wirtschaft durch israelische Bombardierung stark und langfristig geschwächt

Neben mehr als 260 Toten hat der 11-tägige Krieg im Mai aus palästinensischer Seite massive Schäden an lebenswichtiger Infrastruktur verursacht. Laut einem Bericht der UN, der EU und der Weltbank werden voraussichtlich mehr als 400 Millionen Dollar zum Wiederaufbau benötigt.

Neben schweren humanitären Schäden hat die 11-tägige israelische Offensive im Mai die ohnehin schwierige sozio-ökonomische Situation im Gazastreifen stark verschlechtert. Und das nicht zuletzt, indem vor allem soziale Ziele zerstört wurden. Die Kosten der Schäden belaufen sich auf 290 bis 380 Millionen US-Dollar. Zu dem Ergebnis kommt ein Bericht der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der Weltbank. Der am Dienstag veröffentlichte Gaza Rapid Damage and Needs Assessment (RDNA)-Bericht schätzt den Wiederherstellungsbedarf sogar auf 345 bis 485 Millionen Dollar. Die schweren Schäden betreffen die Infrastruktur, vor allem Wohnhäuser, Krankenhäuser, Gesundheitszentren sowie Wasser- und Sanitäreinrichtungen.

Die am dichtesten besiedelte Region der Welt war bereits vor dem letzten Krieg – dem schlimmsten seit 2014 – in einer schwierigen humanitären Lage, insbesondere durch die Blockade, welche die israelische Regierung seit knapp 15 Jahren aufrecht erhält. "Nach den Feindseligkeiten sind 62 Prozent der Bevölkerung im Gazastreifen ernährungsunsicher", so der Bericht. Laut ihm lag die Arbeitslosigkeit bereits vor der Eskalation bei 48 Prozent und die Armutsrate bei über 50 Prozent. Als Ernährungsunsicherheit wird die Situation einer Person bezeichnet, welche dauerhaft nicht in der Lage ist, sich täglich ausreichend zu ernähren.

Die 11-tägige Bombardierung durch die israelischen Streitkräfte aus der Luft, von Land und von der See haben insbesondere die im Bericht als sozialen Sektor bezeichneten Bereiche wie Wohnraum, Gesundheit, Bildung und soziale Absicherung in Trümmern gelegt. Allein hier sind über 90 Prozent des Gesamtschadens entstanden, der sich auf eine Summe von 140 bis 180 Millionen Dollar beläuft.
Auch der Bereich kommunale Dienstleistungen, der zum alltäglichen Leben wie auch zum Wiederaufbau unabdingbar ist, wurde schwerst beschädigt. Das betrifft das Verkehrswesen, Wasser- und sanitäre Anlagen, der Energiesektor und digitale Infrastruktur. In diesem Bereichen ist ein Schaden in Höhe von 60 bis 85 Millionen Dollar entstanden.

Dem Bericht zufolge wurden auch der produzierende Sektoren stark beschädigt, also Landwirtschaft, Industrie, Handel, Dienstleistungen und Finanzsektor. Der Schaden wird mit etwa 75 bis 90 Millionen US-Dollar beziffert. Die Wiederaufbaukosten sind immens. Den Berechnungen zufolge betragen sie allein in den kommenden sechs Monaten, bis Ende des Jahres 2021, etwa 125 bis 195 Millionen US-Dollar. Für die darauffolgenden 6 bis 24 Monate noch einmal 220 bis 290 Millionen. Der höchste Anteil ist für den sozialen Sektor – also das Leben und die Gesundheit der Zivilbevölkerung betreffende Bereiche – notwendig.

Aufgrund der Auswirkungen auf den Kapitalstock bzw. das Grundkapital und der aus dem Konflikt resultierenden Einstellung der wirtschaftlichen Tätigkeit wird das BIP im Gazastreifen voraussichtlich um rund 0,3 Prozent sinken. Vor dem Konflikt wurde es auf 2,5 Prozent Wachstum geschätzt. Das könnte sich im Fall einer stabilen Sicherheitssituation bessern, allerdings würde eine Erholung mindestens zwei Jahre dauern. Ohne schnellen Wiederaufbau wären die Wachstumsaussichten längerfristig beeinträchtigen. Nun müsse die internationale Gemeinschaft mehr leisten, sowohl durch Hilfsprogramme, humanitäre Hilfe und als auch durch die Verlegung kritischer medizinischer Fälle und Patienten aus dem Gazastreifen. Für den Wiederaufbau ist aber auch die Aufhebung bestehender Beschränkungen ausschlaggebend.

"Kurzfristig wird die sozio-ökonomische Erholung im Gazastreifen durch zwei Faktoren bestimmt: die Höhe der verfügbaren Finanzmittel, auch von Gebern, für den Wiederaufbau; und das Ausmaß der Beschränkungen für die Bewegung und den Zugang von Menschen und Gütern in den Gazastreifen, insbesondere für die Versorgung mit lebenswichtigen Wiederaufbaumaterialien", so der Bericht.

Es sei an Israel, Zugang zu einigen elementaren Materialien für den Wiederaufbau zu gewähren. Israel definiert beispielsweise Zement, Chemikalien und Rohre als "Dual-Use-Güter", welche demnach neben zivilen auch zu militärischen Zwecken genutzt werden könnten. Somit sind sie nicht unbeschränkt erhältlich. Israel müsse zudem einen Finanzierungsmechanismus einrichten und ausreichende Mengen an Treibstoff in den Gazastreifen lassen.

Im Bericht wird auch betont, dass trotz der Reparatur unmittelbarer Schäden durch Kämpfe ein nachhaltiger Frieden und Entwicklung nicht erreicht werden können, ohne eine politische Lösung. Diese müsse die Sicherheits- und Entwicklungsbedürfnisse beider Seiten berücksichtigen.

Die Offensive im Mai tötete mindestens 260 Palästinenser, darunter 66 Kinder. Sie verursachte große Schäden an der Infrastruktur und in Wohngebieten. Auf israelischer Seite wurden 13 Menschen durch Raketen getötet, die von bewaffneten palästinensischen Gruppen in der Küstenenklave abgefeuert wurden, darunter zwei Kinder. Viele Stimmen, zumindest außerhalb Deutschlands, haben die überproportionalen und tödlichen Angriffe Israels, welche trotz fortschrittlichster Waffensysteme die zivile Bevölkerung im Gaza schwer getroffen hat, verurteilt. Auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet forderte eine Untersuchung hinsichtlich möglicher "Kriegsverbrechen". Verstörend wirken vor dem Hintergrund der enormen zivilen Opferzahlen die Angaben des israelischen Militärs, dass im Gazastreifen neueste, angeblich effiziente KI-Waffensysteme gezielt eingesetzt werden konnten.

Auch lange nach dem Waffenstillstand gibt es Medien- und Augenzeugenberichte, wonach die israelischen Streitkräfte schweres Geschütz im Gazastreifen auffahren. So sollen Anfang Juli noch etwa zehn Quadrocopter-Flugzeuge in den Gazastreifen geflogen worden sein. Da würde einen Bruch des Waffenstillstands bedeuten.

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