Afghanistan: Bundeswehr-Abzug inmitten "verschärfter Sicherheitslage" – Taliban auf dem Vormarsch

Während die Fraktionen des Bundestages in einer Aktuellen Stunde ihre Einschätzungen zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan gaben, verschärft sich die Sicherheitslage am letzten Standort der Truppe. Die Taliban erobern weite Gebiete im Norden und haben die Stadt Masar-e-Scharif offenbar eingekreist.

In einer Aktuellen Stunde am Mittwoch im Bundestag haben die Fraktionen ihre Einschätzungen zum Einsatz der Bundeswehr gegeben. Die Reden waren aus Anlass des Abzuges der NATO-Truppen aus Afghanistan angesetzt.  An der Mission waren 36 NATO-Staaten und andere Länder beteiligt. Deutschland stellte zuletzt mit 1.100 Angehörigen der Bundeswehr das zweitgrößte Kontingent nach den USA.

Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) dankten den an dem Einsatz beteiligten Soldaten für ihr Engagement. Vertreter aller Fraktionen sprachen ihnen ebenfalls Dank und Anerkennung aus.

Im kommenden September wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Abschlussappell eine Bilanz ziehen. Die Verteidigungsministerin sagte, es gelte, aus den "harten Lektionen" des Einsatzes in Afghanistan Lehren für künftige Auslandseinsätze der Bundeswehr zu ziehen. Dabei dürfe es sich nicht wiederholen, "überzogene politische Ambitionen und Ziele" zu setzen, so Kramp-Karrenbauer.

Der Außenminister versprach, Deutschland werde in enger Partnerschaft mit der Regierung in Afghanistan und mit zivilen Mitteln fortsetzen, wofür die deutschen Soldaten "so viele Opfer" gebracht hätten. Frieden und Stabilität dauerhaft zu sichern sei die größte Herausforderung, betonte Maas.

Maas und Kramp-Karrenbauer schätzten ein, dass das zivile und militärische Engagement in Afghanistan "viel Positives" bewirkt hat. Beispielsweise könnten Frauen und Mädchen jetzt Schulen sowie Universitäten besuchen und als Richterinnen sowie Journalistinnen arbeiten. Die Mütter- und Kindersterblichkeit im Land sei gesunken.

"Unklare Lage" nach dem Vorrücken der Taliban

Von der SPD-Fraktion sprach Aydan Özoğuz nach den jüngsten militärischen Erfolgen der Taliban von "harten Rückschlägen" und einer "unklaren Lage". Viele Bewohner müssten mit größter Unsicherheit in die Zukunft blicken. "Das Land wird daher weiterhin von internationaler Hilfe abhängig sein."

Nach Ansicht von Armin-Paulus Hampel (AfD) war der Krieg in Afghanistan "von Anfang an nicht zu gewinnen". Die internationale Gemeinschaft hätte sich "mit den übelsten Figuren des Landes verbündet", statt sich auf die traditionellen Stammeskulturen zu verlassen. Die NATO-Staaten haben den Drogenhandel als Finanzierung der Taliban ignoriert, setzte Hampel fort. Es sei jetzt wichtig, den "Bundeswehrsoldaten einen ehrenvollen Abmarsch in Sicherheit und Frieden zu gewährleisten".

Die FDP mahnte einen differenzierteren Blick auf den Einsatz an. Der Abgeordnete Bijan Djir-Sarai sagte, es sind Erfolge erzielt worden, doch ist die Gewalt seit 2020 wieder stark angestiegen. Den 59 gefallenen Soldaten der Bundeswehr und den traumatisierten Rückkehrern sei Deutschland schuldig, Lehren aus dem Einsatz zu ziehen.

Krieg gegen den Terror "gescheitert"

Der Krieg gegen den Terror sei gescheitert, schätzte Dietmar Bartsch, Die Linke, ein. Vielfach wären die Taliban an die Schalthebel der Macht zurückgekehrt. Schulen für Mädchen hätten wieder schließen müssen. "Die NATO hat dem Land keine Sicherheit gebracht." Bartsch warf der Bundesregierung vor, den USA zu folgen wie "ein Dackel".

"Wenn die Amerikaner in Afghanistan geblieben wären, hätten Sie eine Begründung für die Verlängerung des Einsatzes gefunden."

Eine Bilanzierung des Einsatzes bezeichnete Omid Nouripour von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen als überfällig. Es sei einiges erreicht worden, jedoch möglicherweise nicht nachhaltig. Er erinnerte an die wachsende Gewalt gegen Zivilisten und mahnte, die Zivilgesellschaft in Afghanistan nicht alleinzulassen.

Verschärfung der Sicherheitslage nahe dem Standort in Masar-e-Scharif

Unterdessen verläuft der Abzug der Bundeswehr nicht so komplikationslos, wie es die Einschätzungen in der Aktuellen Stunde im Bundestag glauben lassen können. Wie der Spiegel am Dienstag berichtete, kreisen die Taliban die Stadt Masar-e-Scharif ein, in der die Bundeswehr ihren letzten Standort Camp Marmal hat. Der Abzug der 1.000 deutschen Soldaten soll planmäßig bis zum 30. Juni erfolgen.

"Die Bundeswehr nimmt ständig eine Bewertung der aktuellen Sicherheitslage vor und passt die Schutzmaßnahmen entsprechend an. Im Camp Marmal verfügt das multinationale Kontingent unter Führung der Bundeswehr und mit Unterstützung der US-Amerikaner über Kräfte und Mittel, um auf Gefährdungen reagieren zu können", sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos in Potsdam. "Am Zeitplan für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan hat sich nichts geändert", fährt der Sprecher in einem Bericht von n-tv.de fort. 

Der Standort liegt im Norden Afghanistans, wo die Taliban seit dem Beginn des Abzuges der internationalen Truppen weite Gebiete besetzt haben. Die afghanische Regierung rief die Bevölkerung auf, die Sicherheitskräfte im Kampf gegen die Taliban zu unterstützen. Im Gebiet um Masar-e-Scharif haben sich etwa 2.000 Zivilisten den bewaffneten Kräften angeschlossen, wie n-tv.de weiter berichtet.

Ein Taliban-Sprecher sagte gegenüber dem Spiegel: "Große Städte wie Masar-e-Scharif einzunehmen, ist nicht unser erstes Ziel. Wir erobern erst einmal so viele Distrikte wie möglich." Sabihullah Mudschahed fuhr fort, die Talibankämpfer würden versuchen, dabei keine internationalen Truppen zu töten. "Wir sehen ja, dass ihr mit dem Abzug begonnen habt, dabei werden wir euch nicht durch Angriffe stören oder gar aufhalten."

Die Strategen der Bundeswehr hoffen, dass sich die Taliban an diese Linie halten. Tatsächlich haben sie seit Monaten keine NATO-Truppen angegriffen, wie der Spiegel berichtete. Stattdessen gingen die Taliban brutal gegen afghanische Sicherheitskräfte vor.

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