Die von den USA geführten Kriegsspiele in Nordafrika haben eine Kontroverse ausgelöst, nachdem Marokko, eines der gastgebenden Länder, sagte, dass einige Übungen im von Marokko beanspruchten Teil der Westsahara stattfinden würde. Die USA haben der Aussage Rabats jedoch widersprochen, dass die Übungen dort abgehalten werden.
Eine von den Vereinigten Staaten angeführte multinationale Truppe hat im Zuge der Militärübungen "African Lion" in Marokko Angriffe auf Einheiten des russischen Luftabwehrsystems S-400 geübt. Die Vereinigten Staaten hatten sich in den letzten Jahren heftig gegen die Verbreitung dieses Raketensystems gewehrt, bis hin zur Sanktionierung von engen Verbündeten wie der Türkei. Verschiedenen Berichten zufolge erwarb Marokkos Nachbarland Algerien ebenfalls Einheiten des S-400-Systems.
Die Militärübungen in Agadir, bei denen Angriffe auf S-400-Einheiten simuliert wurden, fanden Erwähnung in einem Video, das das Pentagon veröffentlichte. In dem Video ist eine Person in einem Besprechungszimmer zu sehen, die erklärt:
"Zwei Angriffe wurden gegen diese S-400 durchgeführt."
Zudem warte man noch auf die Beurteilung der Verluste durch "die gestrigen Schläge".
Die Übung wurde von der sogenannten Southern European Task Force-Africa durchgeführt, einer Formation der US-Armee, die die US-Armee für Afrika ersetzt hat, nachdem sie im November 2020 wieder mit der US-Armee in Europa verschmolzen wurde. Welche Waffen für den Angriff verwendet wurden, wird nicht erwähnt. Wahrscheinlich handelt es sich aber um die M142 High Mobility Artillery Rocket Systems (HIMARS), die in anderen Videos und Bildern von den Übungen dargestellt werden.
Es ist jedoch auch möglich, dass eine andere Armee als die der USA den Angriff durchführte. Die Luftstreitkräfte des Gastgeberlandes Marokko verfügen über Luft-Boden-Raketen des Typs AGM-88 High-Speed Anti-Radiation Missiles (HARMs), die das Land von den USA erworben habe. Sie können eingesetzt werden, um feindliche Radaranlagen zu treffen.
Das Portal The War Zone merkt an, es sei nicht klar, ob Marokkos Nachbar und regionaler Rivale Algerien S-400-Systeme erworben hat oder nicht. Daher muss die Übung nicht unbedingt gegen das algerische Militär gerichtet gewesen sein. Es ist dagegen bekannt, dass Algerien über das Vorgängermodell S-300PMU-2 verfügt, das äußerlich den S-400-Systemen sehr ähnelt, was zu der Verwirrung beigetragen haben könnte.
Neben Russland verfügen bereits eine Reihe anderer Staaten über S-400-Systeme, etwa die Türkei und China. Weißrussland und Saudi-Arabien befinden sich derzeit in Gesprächen, und Russland hat das System sowohl Iran als auch Irak angeboten. Den Käufern drohen allerdings Sanktionen durch die USA im Rahmen des Countering America's Adversaries Through Sanctions Act (CAATSA), der Staaten vom Kauf fortschrittlicher russischer Militärtechnik abhalten soll.
Obwohl die African-Lion-Militärübungen jährlich stattfinden, haben die diesjährigen Spiele eine besondere Kontroverse ausgelöst, nachdem Marokko erklärt hatte, ein Teil der Übungen würde in der Westsahara abgehalten werden. Der völkerrechtliche Status dieses Gebietes ist umstritten. Marokko besetzte den Landstreifen entlang der atlantischen Küste Afrikas nach dem Abzug der spanischen Kolonialmacht, jedoch erhebt die einheimische Organisation Polisario-Front Anspruch auf das Recht des westsaharischen Volkes auf Selbstbestimmung. Ein von den Vereinten Nationen vorgeschriebenes Referendum zu der Frage wird seit vielen Jahren nicht abgehalten. Im Dezember 2020 erkannten die USA die Ansprüche Rabats im Austausch für die Normalisierung der Beziehungen des nordafrikanischen Staates zu Israel an. Einen Monat davor war es in dem Gebiet zum ersten Mal seit 1991 zu einem bewaffneten Konflikt zwischen den marokkanischen Streitkräften und Polisario gekommen.
Wenige Tage vor Beginn der Übungen zog sich der NATO-Verbündete Spanien plötzlich zurück. In spanischen Medien wurde berichtet, dass Madrid diese Entscheidung getroffen habe, um Marokkos Ansprüche nicht durch seine Teilnahme zu legitimieren. Es gibt jedoch auch alternative Erklärungen. Die offizielle Begründung seitens Madrids waren Haushaltssorgen. Die USA erklärten ebenfalls, dass ihre Truppen an keinen Übungen in der Westsahara teilnehmen werden würden.
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