Die Folgen der Pandemie bzw. des Umgangs mit ihr kommen erst schrittweise ans Tageslicht. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat sich damit beschäftigt, wie sich die Folgen auf die Beschäftigung weltweit gestalten, und kommt zu dem Schluss, dass sie bisher bekannte Rezessionen weit in den Schatten stellen. Dabei beruhen diese Schätzungen auf den Zahlen, die bis April vorlagen; sollte es zu einer weiteren Runde von Lockdowns kommen, werden sie mit Sicherheit noch weit übertroffen.
Zwischen 2019 und 2020 ging der Beschäftigtenanteil an der Bevölkerung weltweit um 2,7 Prozent zurück. Das klingt nicht viel; aber der Rückgang infolge der Rezession 2008/2009 betrug nur 0,7 Prozent.
Nationale und örtliche Beschränkungen haben die Leistung von Unternehmen und Nachfrage wie Angebot für Arbeitskräfte beeinträchtigt und dadurch Kaskadeneffekte in den globalen Lieferketten, im internationalen Handel und in Auslandsinvestitionen ausgelöst. Der Höhepunkt dieser Beschränkungen lag im April 2020, als über 70 Prozent der globalen Arbeitskräfte in Regionen lebten, in denen alle außer den lebenswichtigen Arbeitsplätzen stillgelegt wurden.
Die hochindustrialisierten Länder wurden von diesen Folgen noch relativ gering betroffen; in anderen Ländern wurde eine Rezession zuvor unbekannten Ausmaßes ausgelöst.
Länder Zentralasiens wie Usbekistan und Kirgisistan, bei denen die Überweisungen von Arbeitsmigranten einen beträchtlichen Anteil des gesamten Nationaleinkommens darstellen, büßten allein durch die ausgefallenen Überweisungen über 2 Prozent des BIP (Usbekistan) ein; das würde für sich allein genommen schon eine Rezession bedeuten, addiert sich aber zu den COVID-Folgen im Land selbst.
Den höchsten Rückgang an geleisteten Arbeitsstunden erlebten Lateinamerika und die Karibik. Der Rückgang entspricht dem Verlust von 36 Millionen Vollzeitarbeitsplätzen, wobei ein Teil durch Arbeitszeitverringerung entstand. Die Folgen für die Betroffenen unterschieden sich extrem von Land zu Land. Während in Bolivien dadurch entstandene Lohnverluste weitgehend aufgefangen wurden, gab es in Chile und Peru wenige staatliche Hilfsmaßnahmen.
Indien musste über 600.000 gestrandete Arbeitsmigranten mit Sonderflügen und Schiffen heimholen. Viele davon waren in den Golfstaaten beschäftigt gewesen und verloren mit der Pandemie Arbeit und Einkommen, hatten aber durch die Stilllegung des internationalen Luftverkehrs keine Möglichkeit, zurückzukehren. Auch auf die Philippinen waren bis Oktober 2020 230.000 philippinische Arbeitskräfte zurückgekehrt, die Hälfte aller im Ausland beschäftigten Einwohner.
Die Karibik und Nordafrika dürften besonders deutlich vom Rückgang des Tourismus getroffen worden sein. Auch wenn es in Deutschland nur wenige Regionen gibt, die vor allem vom Tourismus abhängen, global sind es 10 Prozent aller Arbeitsplätze, die im oder rund um den Tourismus zu finden sind. 30 Prozent davon arbeiteten in kleinen Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und überwiegend informellen Arbeitsverhältnissen – beides Faktoren, die die Auswirkungen noch einmal verstärken, da die Firmen wenige Reserven haben und informelle Arbeitsverhältnisse weniger sicher sind. Einige karibische Inseln leben buchstäblich vom Tourismus und werden Jahre brauchen, sich von diesem Einbruch zu erholen – vorausgesetzt, der Tourismus erreicht überhaupt wieder das Volumen vor COVID.
Der zweite massiv betroffene Wirtschaftssektor war der Groß- und Einzelhandel, in dem weltweit etwa 15 Prozent der Beschäftigten arbeiten. Die Beschäftigung ging um 5,1 Prozent zurück, allerdings überwiegend in den ärmeren Regionen der Welt, in denen eine Verlagerung zu Onlinehandel und Lieferdiensten sowohl wegen der Einkommensverluste als auch wegen fehlender Infrastruktur gar nicht möglich war.
Teils bedingt durch die betroffenen Sektoren sind Frauen weltweit von den Folgen schwerer betroffen als Männer. Einzelhandel, häusliche Dienstleistungen und Tourismus sind Bereiche, in denen überproportional Frauen beschäftigt sind und durch deren massiven Rückgang dann auch überproportional Frauen betroffen sind. Aber selbst außerhalb der klassischen Frauenberufe haben nach Daten der ILO mehr Frauen als Männer durch COVID Arbeit und Einkommen verloren.
Die Folgen für die Ausbildung und den Arbeitsbeginn von Jugendlichen, die selbst hier bei uns massiv waren, sind noch einmal deutlich schlimmer in Gegenden wie dem Maghreb, wo Jugendarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung schon vor COVID 50 Prozent der 15- bis 25-Jährigen betrafen. Das dürfte den schon beträchtlichen Migrationsdruck aus dieser Region noch einmal deutlich verschärfen.
So, wie auch innerhalb Deutschlands zu beobachten, haben die Folgen von COVID die Ungleichheiten global verstärkt. Nur die wohlhabenderen Länder hatten die finanziellen Reserven, die Lohnverluste zumindest teilweise aufzufangen und dafür zu sorgen, dass die Arbeitsplätze nicht völlig verloren gehen.
Die ILO schätzt, dass die Ergebnisse der Armutsbekämpfung der letzten fünf Jahre durch COVID zunichtegemacht wurden. Die Beschäftigtenzahlen selbst sollen sich nach der ILO-Prognose bis 2023 wieder erholt haben, vorausgesetzt, es folgen keine weiteren Lockdowns. Aber die Wohlstandsverluste wie auch die Belastungen der Staatshaushalte in den Ländern des Südens werden länger erhalten bleiben. Das Ergebnis dieser Krise ist also eine Verschärfung der Armut und eine Verstärkung der Abhängigkeit.
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