Robert Habeck hat seine umstrittenen Äußerungen zu Waffenlieferungen an die Ukraine wiederholt und bekräftigt. Er wirft der Bundesregierung "Selbstgerechtigkeit" vor. Der Co-Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen hat dem Spiegel ein langes Interview gegeben, das am Freitag veröffentlicht wurde.
Gefragt, ob er sich während seines Besuches der Gebiete mit militärischen Konfrontationslinien in der Ukraine zu sehr von den Eindrücken beeinflussen ließ, beruft Habeck sich darauf, von einer "strategischen Analyse" ausgegangen zu sein.
"Die Situation in der Ukraine ist für die Europäische Union, für ihre Freiheit und Sicherheit von entscheidender Bedeutung. Die Ukraine hat noch jede Menge innenpolitische Probleme, die Korruption allen voran. Aber die Bevölkerung hat sich für die liberale Demokratie entschieden. Für diesen politischen Kurs haben Menschen beim Euromaidan ihr Leben verloren. Als Reaktion hat Russland die Krim besetzt und schürt einen Krieg im Donbass. Mein Besuch sollte in Erinnerung rufen, dass der Kampf der Ukraine der Kampf Europas ist."
Er kritisiert die Bundesregierung, die der Ukraine eine Beitrittsperspektive zur EU verweigere. Zur Frage von Waffenlieferungen wirft er ihr vor, mit zweierlei Maß zu messen. Sie liefere Panzer, Raketenteile und U-Boote an Länder wie Ägypten, das den Bürgerkrieg im Jemen anheizt.
"Aber an die Ukraine, die angegriffen wird, gehen nicht mal Fahrzeuge zum Krankentransport, Minensuchgeräte, ausgemusterte Geländewagen oder Nachtsichtgeräte. Ich verstehe nicht, wie man sich dessen rühmen kann. Die Selbstgerechtigkeit der Regierung erscheint mir unangebracht. An der Kontaktlinie werden Flugminen eingesetzt. Wenn wir übereinstimmen, dass es okay ist, Minen zu räumen, zu verhindern, dass sie in Hinterhöfen landen, wo sie den Menschen die Füße wegsprengen, wäre das ein Anfang."
Der Spiegel zieht einen historischen Vergleich: "Die Grünen haben sich 1999 über die Teilnahme am Kosovokrieg zerstritten. Verbindet die Diskussion heute etwas mit der damals?" Die Antwort:
"Es ist richtig, dass wir intensiv diskutieren, wie wir unserer Verantwortung gerecht werden, womit Leid größer oder geringer wird, was stabilisiert und was nicht. Alle reden dauernd von mehr europäischer Souveränität. Ich auch. Wenn diese Rede irgendeinen Sinn hat, dann muss sich das doch zum Beispiel im Donbass beweisen. Natürlich, die Lösung dieses Krieges kann nur diplomatisch erfolgen. Aber solange das nicht der Fall ist, sterben dort Menschen. Und ich finde, es ist eine gute Sache, einen Beitrag zu leisten, damit möglichst wenige sterben."
Abschließend berichtet Habeck vom Beginn seines politischen Engagements in den 1990er-Jahren. Den welthistorischen Umbruch habe er damals nicht deutlich erkannt. "Rückblickend auf 1989 und die Neunziger beschäftigt mich eine Frage mehr: Wie konnte ich das alles sehen, aber doch nicht begreifen? Ich habe den Balkan nach der Schule bereist, und obwohl ich eigentlich immer politisch interessiert gewesen bin, habe ich die Größe der Umbrüche nicht wahrgenommen. Jetzt, als Politiker, frage ich mich: Was siehst du nicht? Noch mal soll mir das nicht passieren, dass ich einen Zeitenumbruch nicht erkenne und nicht mitgestalte."
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