Die Pro-Whistleblower-Organisation Courage Foundation hatte in einer Erklärung vom 11. März beklagt, dass die Führung der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) die Vorwürfe der Vertuschung im Zusammenhang mit dem angeblichen Chemiewaffenangriff im syrischen Duma am 17. April 2018 "komplett umgehe". Zu den Unterzeichnern der Erklärung gehört mit Sir Alan West auch einer der ranghöchsten Marineoffiziere Großbritanniens, der ehemalige Admiral der britischen Royal Navy. Sir Alan West, der seit 2006 nach seiner Versetzung in den Ruhestand Kanzler der Southampton Solent University ist und 2007 mit dem Titel Baron West of Spithead in den Adelsstand erhoben wurde, ist für (die Labour Party) Mitglied des House of Lords. Alan West äußerte nun ernsthafte Zweifel an den Untersuchungen der OPCW zum angeblichen Giftgaseinsatz in Duma. Als Reaktion auf die von ihm geäußerten Zweifel beschuldigte das britische Außenministerium den hochrangigen Marineoffizier nun, "Desinformation und Propaganda" zu betreiben.
Der Vorfall in Duma ereignete sich in einem von Dschihadisten kontrollierten Stadtteil von Damaskus, der zu diesem Zeitpunkt kurz davorstand, von den regulären Regierungstruppen der Syrischen Arabischen Armee eingenommen zu werden. Die vorherrschende Darstellung in den westlichen Medien war seitdem, die syrische Armee hätte Chlorgas eingesetzt, indem sie Kanister aus einem Hubschrauber abwarf und dadurch zahlreiche Zivilisten tötete. Die USA, Großbritannien und Frankreich feuerten Tage später als Vergeltung für die angebliche Gräueltat Raketen auf Ziele ab, die der syrischen Regierung zugeordnet wurden.
Der Abschlussbericht der OPCW zu dem Vorfall lieferte die nahezu schlüssige Rechtfertigung für den damaligen westlichen Angriff. Allerdings deuten bis heute zahlreiche Beweise auf eine mögliche politische Einmischung in die Arbeit der Organisation hin, denn von OPCW-Inspektoren vor Ort gesammelte Beweise, die der Theorie eines Angriffes der Regierung in Duma widersprachen, waren offenbar zurückgehalten worden, um die Schlussfolgerungen des schließlich veröffentlichten Abschlussberichtes nicht zu unterminieren. Für die britische Regierung dürfte es nun äußert unangenehm sein, dass eine im Vereinigten Königreich hochangesehene Persönlichkeit wie Sir Alan West, der unter Premierminister Gordon Brown von 2002 bis 2006 Erster Seelord Großbritanniens war und als Veteran im Falkland-Krieg gilt, die von den westlichen Medien proklamierte Version des Giftgasangriffs in Zweifel zieht.
Der ehemalige Marineoffizier beschwerte sich nun darüber, dass die britische Regierung ihn nach seinen Äußerungen beleidigt habe, denn er wurde vom Außenministerium öffentlich beschuldigt, "Desinformation und Propaganda" zu betreiben und dabei zu helfen, von den angeblichen Kriegsverbrechen des syrischen Regierungschefs Baschar al-Assad abzulenken. Denn in der Erklärung des Außenministeriums heißt es dazu:
"Die Untersuchungsmission der OPCW hat einen äußerst gründlichen und klar belegten Bericht über den Vorfall in Duma am 7. April 2018 erstellt. Wir sind von der Schlussfolgerung des Berichts überzeugt, dass eine giftige Chemikalie, wahrscheinlich Chlor, als Waffe eingesetzt wurde, und wir haben weiterhin volles Vertrauen in die OPCW. Diejenigen, die sich dafür entscheiden, die OPCW anzugreifen, tun dies, um die Aufmerksamkeit von dem wiederholten und reuelosen Einsatz von Chemiewaffen durch das Assad-Regime abzulenken und um Fragen über ihr eigenes Versagen bei der Einhaltung der Konvention abzulenken. Das ist Desinformation und Propaganda."
Sir Alan West reagierte empört auf die Vorwürfe:
"Es ist eine Beleidigung, diejenigen, die Bedenken gegen den Bericht haben, zu beschuldigen, dass sie den Wunsch haben, das Assad-Regime zu beschönigen."
Das Verteidigungsministerium hatte das Außenministerium bereits auch darauf aufmerksam gemacht, dass es mit dieser Einschätzung einen Marineoffizier, Geheimrat und ehemaligen Minister angreift. Das Außenministerium hatte jedoch nicht auf diesen Hinweis reagiert. Alan West selbst erklärte weiterhin, er befürchte, dass Druck auf die OPCW ausgeübt wurde, um zu dem gewünschten Ergebnis zu kommen. Gegenüber The Mail on Sunday erklärte West:
"Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Organisationen wie die OPCW blitzsauber sind. Geheimdienste müssen rein sein. Man sollte nicht versuchen, die Informationen so zu verdrehen, dass sie einem passen. Das ist sehr, sehr gefährlich und falsch."
Der Politiker aus dem Oberhaus stellte weiterhin klar, dass er Assad für "schrecklich" halte, dies gelte jedoch ebenso auch für die syrische Opposition:
"Was für ein Regime werden sie schaffen, wenn wir einen Regimewechsel bekommen?"
Man solle auch nicht alles, was die OPCW sagt, als wahr akzeptieren, wenn es Grund zum Zweifel gebe. Er beklagte auch, dass er auf eine Mauer gestoßen sei, als er sich wiederholt über Darstellungen beschwert habe, die manipuliert zu sein schienen. Die Denunziation des Außenministeriums bezeichnete er unterdessen als "eine ungeheuerliche Anschuldigung". Er wisse, dass er nun "unter Beschuss gerate", doch dies sei ihm bereits früher wiederfahren.
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