Offshore-Windkraftanlagen hatten bislang eine entscheidende Limitierung: Da sie im Meeresboden verankert werden mussten, konnten diese Anlagen nur in Wassertiefen von maximal 60 Metern konstruiert werden. Über die Konstruktion von schwimmenden Windrädern lässt sich diese Limitierung aufheben, in Ländern wie Japan, Norwegen und Schottland laufen schon seit einigen Jahren entsprechende Pilotprojekte. Auch deutsche Unternehmen wie die Dresdner Firma Gicon und der Energiekonzern EnBW aus Baden-Württemberg forschen auf dem Gebiet, wie das Nachrichtenmagazin Telepolis berichtet.
Bei der herkömmlichen Konstruktionsweise der Offshore-Windkraftanlagen ruhen die Windräder auf Fundamenten – sogenannten Tripods, Jackets oder Monopiles: Tripods sind Dreibeine, die in den Meeresboden gerammt werden. Jackets sind fachwerkartige Stahlkonstruktionen, die unter Wasser das Windrad halten. Bei einem Monopile hält ein einziges festes Fundamentrohr die Anlage im Wind.
Da jedoch eine maximale Meerestiefe von 60 Metern das Limit ist, gibt es bislang nur wenige Küstengewässer, in denen Offshore-Windkraftanlagen gebaut werden können. Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, macht deutlich:
"Deutschland und andere Ostsee- und Nordsee-Anrainer haben Glück: In ihren Gewässern gibt es solche Wassertiefen."
Deshalb liegt Deutschland mit 1.300 Offshore-Windrädern in seinen Hoheitsgewässern hinter Großbritannien bei der Technologie auch auf Platz zwei. Weltweit aber sind solche Standorte selten, zwei Drittel aller Offshore-Räder drehen sich in Europa.
Andere Länder haben keine so günstigen Bedingungen. Japan zum Beispiel besitzt fast 39.000 Kilometern Küstenlinie – laut Telepolis "ein gewaltiges Offshore-Windpotenzial" –, allerdings fallen die Küsten in der Regel so schnell in Wassertiefen unter 500 Meter ab, dass herkömmliche Offshore-Technik vor den Küsten nicht möglich ist. Deshalb rief das japanische Wirtschaftsministerium bereits 2012 ein Projekt ins Leben, um Strom mit schwimmenden Windrädern zu produzieren. Seit 2013 speist die kleinste der drei Versuchsanlagen mit zwei Megawatt Leistung Strom ins japanische Netz ein, nach dem Schwimmkörper mit einem Sieben-Megawatt-Koloss ging 2017 ein drittes Windrad mit Fünf-Megawatt-Windrad in Betrieb.
Auch in Europa gibt es solche Projekte: Etwa in Norwegen, wo sich seit 2009 ein Versuchswindrad mit fünf Megawatt Leistung dreht. Vor der bretonischen Küste erzeugt seit 2018 ein Windrad auf einem Betonschwimmer namens "Floatgen" Strom. Vor der portugiesischen Küste betreibt unter anderem der spanische Energiekonzern Repsol mit "WindFloat" den ersten schwimmenden Offshore-Windpark in Südeuropa. Auf drei Spezialpontons sind jeweils 8,4 Megawatt-Rotoren montiert, die 20 Kilometer vor der Küste bei Viana do Castelo in Gewässern mit einer Tiefe von über 100 Metern schwimmen. Die Anlage liefert seit Sommer letzten Jahres Strom.
Führend in Europa ist derzeit Schottland. Im Meeresgebiet Buchan Deep, rund 25 Kilometer vor der schottischen Küste auf der Höhe von Aberdeen, ist der größte schwimmende Windpark ans Netz gegangen: Die fünf Anlagen liefern Strom für den Jahresbedarf von rund 20.000 Menschen. Für weitere Projekte endet die Ausschreibung diesen Monat.
Schwimmende Windräder
Schwimmende Windräder treiben auf Schwimmkörpern und sind nur auf dem Meeresgrund vertäut. "Als Inspiration dienen den Ingenieuren Plattformen der Erdöl- und Erdgasindustrie", sagt Quaschning. Ein entscheidender Vorteil sei demnach, dass sie an Land gefertigt werden können und von Schleppern aufs Meer gezogen werden. Das sei einfacher als eine Installation bei Wind und Wellen und spare deswegen Zeit und Geld.
Zudem sollen schwimmende Systeme laut Telepolis umweltfreundlicher sein: Die Rammarbeiten für das Setzen der Fundamente an den meeresbodengebundenen Offshore-Standorten fallen weg, Naturschützer kritisieren diese immer wieder, weil sie etwa Schweinswale vertreiben.
Die Anforderungen an die Technik beschreibt Telepolis als "gigantisch": Die Gondel eines Windrades wiege um die 450 Tonnen, dazu komme das Gewicht der Rotorblätter. Die Ingenieure müssen schwimmende Plattformen entwickeln, die ein solches Gewicht in 150 Metern Höhe stabil halten, obwohl es sich – je nach Windrichtung – um die eigene Achse dreht. Außerdem müssen die schwimmenden Konstruktionen auch hohen Wellengang und Stürme überstehen können.
Zwei deutsche Unternehmen forschen an unterschiedlichen Modellen, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Die Dresdner Firma Gicon nutzt einen zylindrischen Auftriebskörper, der von straff gespannten Ketten teilweise unter Wasser gezogen und so in Position gehalten wird. Gemeinsam mit Forschern der Bergakademie Freiburg und in Kooperation mit dem US-Ingenieurdienstleister Gloston entwickelte Gicon das sogenannte Tension-Leg-System.
Der Energiekonzern EnBW aus Baden-Württemberg nennt sein Konzept "Nezzy": Hierbei drehen sich gleich zwei Windräder auf einer schwimmenden Plattform. Unweit des ehemaligen Atomkraftwerks Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) war eine Modellanlage im Meeresboden der Ostsee verankert. EnBW-Projektleiter Ulf Baak war nach "erfolgreicher Absolvierung des Demonstratorprojektes" voll zufrieden. "Nezzy" soll bis zum kommenden Jahr in China in Zusammenarbeit mit einem chinesischen Partner im Maßstab 1:1 aufgebaut werden, um seine Eignung unter Beweis zu stellen.
Telepolis prognostiziert eine hohe weltweite Nachfrage nach den schwimmenden Windparks. Allein vor der kalifornischen Küste sollen Windräder mit 10.000 Megawatt Leistungen schwimmen. Ein neuer Markt öffnet sich, und noch ist nicht abzusehen, welcher Anbieter und welches Modell sich durchsetzen wird. Quaschning ist sich sicher:
"Die Systeme stehen technologisch kurz vor dem Durchbruch."
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