Der Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Joe Biden wurde vor allem in den Reihen der transatlantisch geprägten Spitzenpolitiker mit tiefen Seufzern der Erleichterung aufgenommen. Nun bestehe die begründete Hoffnung, hieß es aus Brüssel, Paris und Berlin, dass man wieder gemeinsam für Freiheit und Menschenrechte in der Welt eintreten werde.
Die traditionell enge transatlantische Zusammenarbeit wieder aufleben zu lassen – diesen Geist beschworen am Freitagabend auch die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens bei einer Videokonferenz. Der erste vertiefende Austausch der drei europäischen Außenminister mit ihrem neuen US-Kollegen Antony Blinken seit Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden wäre durch eine vertrauensvolle und konstruktive Atmosphäre geprägt worden, hieß es weiter. Themen waren demnach das iranische Atomprogramm, der Umgang mit China und Russland, die internationale Klimapolitik sowie die COVID-19-Pandemie.
In einem Punkt waren sich die transatlantischen Spitzendiplomaten einig: Die globalen Herausforderungen sollten künftig gemeinsam angegangen werden.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftige in ihrem ersten Telefonat mit dem neuen Bewohner des Weißen Hauses ihren Willen zur "Zusammenarbeit bei der Bewältigung internationaler Herausforderungen".
In Sachen der "globalen Ordnung" legte Biden nun konkret nach. So erklärte das U.S. European Command (USEUCOM), dass die US-Luftwaffe 200 Mitarbeiter samt vier strategischen Bombern des Typs B-1 Lancer nach Norwegen verlegen werde, genauer gesagt zur Orland Air Base in der Nähe von Trondheim.
In einer Erklärung des USEUCOM hieß es dazu, dass es sich bei den verlegten Truppen nur um "ein Voraus-Team für geplante und zeitlich begrenzte Einsätze in den kommenden Wochen" handele.
Die Region ist geopolitisch zweifellos von allergrößtem Interesse. So heißt es zu dieser Entwicklung beim US-Branchendienst Defense News, dass das US-Militär damit seinen Fokus auf die "arktische Region" zum Ausdruck bringen wolle. Das NATO-Mitglied Norwegen grenzt darüber hinaus im Nordosten an Russland. Argwohn erregten im Pentagon zudem Moskaus militärische Modernisierungsarbeiten auf der russischen Halbinsel Kola. Daraus ergebe sich für die von den USA angeführte NATO ein mutmaßliches Bedrohungsszenario. General Jeffrey Harrigian, der Kommandeur der US-Luftstreitkräfte in Europa und Afrika versichert:
"Einsatzbereitschaft und unsere Fähigkeit, Verbündete und Partner zu unterstützen und schnell zu reagieren, sind entscheidend für den gemeinsamen Erfolg."
Man "schätze die dauerhafte Partnerschaft mit Norwegen" und freue sich "auf zukünftige Möglichkeiten, unsere gemeinsame Verteidigung zu stärken", ergänzte der US-General.
In den Medien der USA, aber auch hierzulande, besteht derweil kein Zweifel daran, was es im Kern mit der Verlegung des Bombergeschwaders auf sich hat. So hieß es dazu etwa beim US-Nachrichtenkanal CNN:
"Die US-Luftwaffe stationiert zum ersten Mal B-1-Bomber in Norwegen. Damit sendet sie eine klare Botschaft an Moskau, dass das US-Militär in der strategisch wichtigen arktischen Region operieren und demonstrieren wird, dass es die Verbündeten in der Region gegen jegliche russische Aggression nahe der Landesgrenze verteidigen wird."
Da es sich um strategische Bomber handele, dürfte das in "Russland natürlich Besorgnis auslösen", sind sich Forscher des Norwegian Defence Research Establishment sicher.
Der russische Botschafter im Arktischen Rat Nikolai Kortschunow erklärte:
"Niemand in der Arktis bereitet sich auf einen bewaffneten Konflikt vor. Allerdings gibt es Anzeichen für zunehmende Spannungen und militärische Eskalation."
Die aktuelle Militarisierung in der Region "könnte uns um Jahrzehnte in die Zeit des Kalten Krieges zurückversetzen", sagte er Anfang Februar gegenüber der russischen Nachrichtenagentur RIA.
Neben der obligatorischen angesprochenen "Annexion der Krim" äußere sich eine nun erneut ins Spiel gebrachte "russische Aggression" zuletzt etwa darin, dass ein russischer Kampfjet im Tiefflug in der Nähe des Zerstörers USS Donald Cook in den internationalen Gewässern des Schwarzen Meeres geflogen sei.
Bereits im März 2019 fühlte sich die norwegische Regierung im Namen der NATO angeblich von Moskau ernsthaft provoziert. So habe man "elektronische Beweise" dafür zusammengetragen, dass die russischen Streitkräfte während der NATO-Übungen in Norwegen mehrfach GPS-Signale gestört hätten. Bereits im November 2018 hatten Finnland und Norwegen gemutmaßt, das russische Militär könnte vor und während der Militärübungen desselben Jahres absichtlich diverse GPS-Signale gestört haben.
Inmitten wachsender Spannungen mit Russland hatte die NATO Ende Oktober 2018 ihre größten militärischen Übungen seit dem Ende des Kalten Krieges in Nordeuropa durchgeführt. Am "Trident Juncture 2018", so der Name des gigantischen Großmanövers, beteiligten sich mehr als 50.000 Soldaten aus 31 Ländern, darunter die 29 NATO-Mitglieder sowie auch (bis dato noch Nichtmitglieder) Schweden und Finnland.
Erst vor kurzer Zeit erklärte sich Norwegen auch dazu bereit, US-amerikanischen, britischen und französischen Atom-U-Booten Zugang zu einem Versorgungshafen in der Nähe der arktischen Stadt Tromsø zu gewähren. Ein Entschluss, der zweifellos die Spannungen in der arktischen Region bereits vor der Verlegung der strategischen Bomber weiter wachsen ließ.
Russland reagierte seinerseits auf die neuen geopolitischen Spannungen in der Region. Im März 2020 rief der russische Präsident Putin dazu auf, Russlands militärische Fähigkeiten in der Arktis zu verstärken und ordnete dementsprechend die "Schaffung und Modernisierung der militärischen Infrastruktur" bis 2035 an.
Russlands Nordflotte, die über 86 Schiffe – darunter 42 U-Boote – verfügt, erhielt im vergangenen Sommer als erste ein neues Atom-U-Boot der vierten Generation (Projekt 955, NATO-Bezeichnung: Borei-Klasse).
Der neue US-Präsident setzte schon im Vorfeld der erstmaligen Verlegung von strategischen Bombern in das NATO-Land Norwegen außenpolitische Akzente und habe demzufolge Ende Januar in seinem ersten Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bereits "Klartext" nach Moskau gesandt. Nach Angaben des Weißen Hauses habe Biden dabei Putinunter anderem wegen "der anhaltenden russischen Cyberattacken" sowie der "Vergiftung" des russischen Politbloggers die Leviten gelesen.
Man werde nicht zögern Sanktionen gegenüber Russland zu verhängen, um die eigenen Interessen und die der amerikanischen Bürger zu schützen, hatte Biden im Anschluss an sein Telefonat mit Putin Ende Januar verlauten lassen.
"Ich habe Präsident Putin auf eine ganz andere Art und Weise als mein Vorgänger klar gemacht, dass die Tage, an denen sich die Vereinigten Staaten angesichts der aggressiven Handlungen Russlands, der Einmischung in unsere Wahlen, der Cyberangriffe und der Vergiftung seiner Bürger wegdrehen, vorbei sind."
Man werde nicht zögern, die "Kosten für Russland zu erhöhen", um die eigenen Interessen und die der US-Bürger zu schützen, ergänzte Biden.
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